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Comicgeschichte in der Bundeskunsthalle
Lechz, Hechel, Würg!

Die Bundeskunsthalle Bonn zeigt 120 Jahre Comicgeschichte mit Originalzeichnungen und virtuellen Rundgängen durch legendäre Bilderwelten von "Popeye", "Superman" oder "Tim und Struppi". Kurator Alexander Braun erklärt, wie die frühen Strips halfen, Zeitungen zu verkaufen und wieso das Etikett "Graphic Novel" bisweilen nur Marketing für Bildungsbürger ist.

Kurator Alexander Braun im Corsogespräch mit Bernd Lechler |
    Ausschnitt des Covers von Asterix Bd. 36: "Der Papyrus des Cäsar"
    Asterix kann in der Bundeskunsthalle im Original bewundert werden - in Tusche auf Papier (picture alliance / dpa /Editions Albert Rene / Ho)
    Bernd Lechler: Wilhelm Busch schrieb seine Reime noch unter die Zeichnungen. "The Yellow Kid" von Richard Outcault kommunizierte 1895 erstmals in Sprechblasen: Der Comic war geboren. Und die Auflage des "New York Journal", in dem er erschien, verdreifachte sich. Und dann kamen "Popeye" und "Mickey Mouse" und "Superman" und "Tim und Struppi" und "Asterix" - Western und Krimi, spannend oder lustig, hübsch gezeichnet oder explosiv - aus Amerika, Frankreich; die japanischen Mangas nicht zu vergessen. Aus den kurzen Strips in Zeitungen wurden bunte Heftchen und dann dicke Bücher. Und, nachdem ihnen lange etwas Triviales anhaftete, gilt längst: Comics können Kunst sein und Literatur. Popkultur sind sie sowieso.
    In der Bundeskunsthalle in Bonn eröffnet am Sonntag mit rund 300 Exponaten aus Amerika, Europa und Japan die Ausstellung "Comics! Mangas! Graphic Novels!" - jeweils mit Ausrufezeichen - zur Geschichte dieser Gattung in Deutschland. Alexander Braun ist einer der Kuratoren. Was gibt's zu sehen, Herr Braun?
    Alexander Braun: Es gibt spektakuläre Exponate zu sehen: Diese 300 Werke, die Sie erwähnt haben, sind Originalwerke, also die Originalzeichnungen aus 120 Jahren Comicgeschichte über drei Regionen verteilt: Amerika, das Geburtsland des Comics, dann Europa und schließlich eben die Manga-Abteilung aus Japan, wo der Comic eben auch eine sehr große Bedeutung hat.
    Diese Originale sind einfach unglaublich faszinierend, weil sie ja in der Regel sehr viel größer gezeichnet sind, als sie später gedruckt werden. Wenn man jetzt bei etwas ganz Populärem bleibt, "Asterix" oder "Tim und Struppi": Die Seiten sieht man nicht oft. Und da ich unterstelle, dass viele Deutsche ein "Asterix"-Album schon in den Händen gehalten haben – es ist absolut faszinierend, das in Tuschelinien auf Papier zu sehen, mit all den Korrekturen, die der Zeichner vorgenommen hat.
    Vom 19. Jahrhundert in die Virtual Reality
    Lechler: Und Sie gehen, glaube ich, aus dieser zweidimensionalen Darstellung auch in die dritte Dimension?
    Braun: Ja, wir haben gleich am Anfang, wo es also um die Pionierjahre um die Jahrhundertwende geht, Ende des 19. Jahrhunderts und frühen 20. Jahrhunderts, als der Comic in Amerika explodiert, quasi das Leitmedium in der Unterhaltungsindustrie ist, die Auflagen in die Millionen gehen und die Menschen ihre Zeitung nicht danach kaufen, wie gut das Feuilleton ist oder wie spannend die Sportberichterstattung, sondern danach, welche Zeitung welche Comic-Helden zu bieten hat. In dieser Zeit hat es unglaublich viele künstlerische Experimente gegeben. Wir haben im Anfangsbereich, als quasi da, wo der Comic beginnt, dann gleich das Allermodernste mit integriert, indem es nämlich drei Stationen mit Virtual Reality gibt. Man setzt eine Brille auf und befindet sich dreidimensional in einem zweidimensionalen Comic-Bild. Das kann man sehr schwer beschreiben, man muss es sehen: Es ist absolut verrückt und faszinierend! In dieser Art ist diese Technik wirklich ganz frisch und ganz neu und so, denke ich, erst von ganz, ganz wenigen Menschen ausprobiert worden.
    Kein Kindermedium
    Lechler: Sie sprechen jetzt von Experimenten und von Horizonterweiterung – hatten Comics denn von Anfang an literarische Qualitäten und waren nur lange verkannt? Oder hat irgendwann irgendein Autor das Genre revolutioniert, Richtung Ernsthaftigkeit?
    Braun: Nein. Alle unsere Klischees oder alle unsere Debatten um "Schund" oder ob es jugendgefährdend sein könnte oder ob es Literatur ist oder nicht, sind völlig obsolet. Der Comic ist zunächst einmal nicht ein Kindermedium, sondern ein Erwachsenenmedium – oder ein Familienmedium. Weil der Käufer einer Zeitung zur Jahrhundertwende war in der Regel der Patriarch, der Ernährer, der Mann in der Familie. Wir haben aber ganz zu Beginn auch explizit Comic-Serien, die so, ja, surrealistisch oder so befremdlich sind, dass sie für eine kindliche Leserschaft überhaupt nicht geeignet sind. Die erschienen dann zum Beispiel in den Wochentags-Abendzeitungen. Abends lasen Kinder keine Zeitung, abends lasen Besucher von Varietés oder Theatern in der Bar, im Restaurant eine Zeitung.
    Also: Es ist kein Kindermedium. Es ist auch ein Kindermedium. Und wenn wir heute 120 Jahre in die Gegenwart springen und die Graphic Novel haben, wo Erwachseneninhalte abgehandelt werden, wo Art Spiegelman den Holocaust thematisiert – das sind ja auch Dinge, die können Jugendliche lesen, die lesen aber auch Erwachsene.
    Lechler: Eine klassische Abteilung für jung und alt ist die der Superhelden. Die sind ja zuletzt - von Batman bis Spiderman und X-Men und Avengers - sehr erfolgreich ins Kino gewandert. Hat das denn die Hefte und die Alben mitbefördert oder hat das die obsolet gemacht, weil selbst noch so dynamisch gezeichnete Panels nicht mit 3-D-Explosionen mithalten können?
    Braun: Nein, der Comic war immer gut vernetzt. Also, der Comic ist natürlich auch ein wirtschaftliches Medium. Von daher gab es immer Verwertungsketten in andere Bereiche, auch in den Pioniertagen gab es sofort von populären Comic-Serien Musicaladaptionen, Notenhefte, die man kaufen konnte, populäre Songs… und das funktioniert heute genauso.
    Natürlich, wenn ein erfolgreicher Superhelden-Film im Kino ist, dann verkaufen sich auch die entsprechenden Comics. Aber es spricht ja eigentlich für den Comic, dass das auch schon in der Imaginationsleistung, als Linien auf Papier, immer funktioniert. Und der Comic ist in diesem Fall dem Film überlegen, weil er mit zeichnerischen Mitteln etwas darstellen konnte, was die Leute nicht nur spannend und interessant, sondern auch als glaubwürdig rezipiert haben, dass der Film dann eben erst so modern und so computertechnologisch aufgewertet werden musste, bevor er überhaupt erst in der Lage war, so etwas zu verfilmen.
    Gefahr der Banalisierung
    Lechler: Es gibt bei uns gerade den Trend, glaube ich, Weltliteratur von Musil bis Brecht – oder auch einen Roman wie Marcel Beyers "Flughunde" – als Comic umzusetzen. Bringt das jetzt große Dichtkunst verstärkt unter die Leute oder ist das auch eine Banalisierung?
    Wir haben noch länger mit Alexander Braun gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Braun: Das ist in vielen Bereichen eine Banalisierung. Wir sehen das eigentlich, die wir vom Comic kommen, nicht ganz so gerne. Weil: Comic hat auch immer schon literarische Inhalte gehabt. Dieser Zauberbegriff der Graphic Novel hat den Comic fürs Feuilleton interessant gemacht. Es gibt ganz wunderbare Literaturadaptionen, das sind meistens die, die die literarische Vorlage sehr frei nehmen, wie zum Beispiel der Österreicher Nicolas Mahler, der Bernhard-Stoffe in Comic verwandelt hat. Ist ganz, ganz großartig, weil er, quasi, den Geist von Bernhard erkennt und umsetzt in eine eigene Kreation.
    Es gibt aber auch ganz schauderhafte Sachen, wenn also eine Comic-Adaption zu Henry David Thoreau "Waldenbuch" glaubt, die Essenz dieser philosophischen Schrift des 19. Jahrhunderts auf 40 Comic-Seiten darzustellen, wo man dann Wälder sehen kann und Tiere. Dann ist das tatsächlich eine Banalisierung.
    Seitenstark und ausdifferenziert
    Lechler: Im Titel der Ausstellung eigens genannt sind die japanischen Mangas, ein riesiger Markt. Mich als Comic-Leser, haben die Mangas nie groß angesprochen. Was habe ich nicht begriffen?
    Braun: Dafür kenne ich Sie zu schlecht. Nein, das weiß ich nicht. Ich bin auch nicht mit Mangas sozialisiert worden. Mangas sind insofern interessant, dass sie ja schon immer diese größere literarische Breite hatten. Mangas sind ja sehr seitenstark, das heißt, die Erzählbögen sind traditionell viel länger und ausführlicher.
    Am Manga finde ich sehr spannend: Als der sich so vor 30 Jahren in Deutschland begann durchzusetzen, dass er sehr viele weibliche Leser anspricht, und der Manga differenziert sehr stark, also der Manga macht Produkte für Zielgruppen. Deswegen auch attraktiv für Mädchen, die dann Romantik-Geschichten lesen und kreative Prozesse in Gang setzen – wenn Sie an diese Cosplay-Bewegung denken –, dass die sich dann in der Art ihrer Helden verkleiden und sich wieder zu Conventions zusammenschließen. Das find ich ganz toll, weil es eine ganz lebendige Form von Jugendkultur ist. Das find ich ganz toll, ja.
    Lechler: Kurator Alexander Braun, zur Ausstellung "Comics! Mangas! Graphic Novels!", ab morgen bis zum 10. September in der Bundeskunsthalle Bonn.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.