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Comicroman von Ulli Lust
Sexgeschichte mit Handlung

Ulli Lust zeichnet Momente ihres Lebens als Comic-Mehrteiler nach, zuletzt eine ziemlich sexlastige Geschichte mit zwei Männern. Klingt schamlos, setzt aber eigentlich besondere Sensibilität voraus, sagt die Autorin im Dlf. Der nächste Teil müsse noch warten - es sei noch nicht genug Gras drüber gewachsen.

Ulli Lust im Corsogespräch mit Thekla Jahn |
    "Wenn es eine intelligente Geschichte gibt und in der kommt Sex vor, dann bildet das einfach das Leben ab", sagte Ulli Lust im Dlf
    "Wenn es eine intelligente Geschichte gibt und in der kommt Sex vor, dann bildet das einfach das Leben ab", sagte Ulli Lust im Dlf (Ulli Lust/Suhrkamp)
    Thekla Jahn: Wenn eine Frau es geschafft hat, sich in der Comic-Branche einen Namen zu machen, dann ist es Ulli Lust. Nach zahlreichen Comicreportagen hat sie 2009 ihren ersten autobiografischen Comicroman veröffentlicht, und der brachte ihr alle entscheidenden deutschen und internationalen Preise ein. "Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens" wurde in 22 Sprachen übersetzt und seither ist Ulli Lust in der Szene sozusagen "weltberühmt". Es folgte 2013 eine Comicadaption des Romans "Flughunde" von Marcel Beyer -und dieser Tage erscheint nun wieder ein autobiografisches Zeichenwerk: "Wie ich versuchte ein guter Mensch zu sein" - und darüber wollen wir jetzt reden mit Ulli Lust. Schönen Guten Tag.
    Ulli Lust: Guten Tag.
    Jahn: Der neue Comicroman ist wieder autobiografisch - wir tauchen ein in Ihr Leben Mitte 20 in Österreich. Sie führen eine offene Dreierbeziehung - mit Georg, eher langweilig, aber verlässlich und ein guter Gesprächspartner, und mit Kimata, einem Afrikaner, der erstaunliche Loverqualitäten besitzt. Und die werden auch deutlich gezeichnet. Haben Sie kein Problem damit, so aus Ihrem Nähkästchen Ihres Lebens zu plaudern?
    Lust: Ja, das ist der unangenehme Aspekt am autobiografischen Erzählen, dass die Menschen immer denken, das wäre jetzt tatsächlich… also, ich würde eins zu eins aus meinem Leben beichten. Also natürlich ist das ein Kollateralschaden, dass man Intimes preisgibt. Aber ich meine, in der heutigen Zeit ist das nicht so ein Problem. Man wird nicht mehr verurteilt für seine Charakterfehler, und als Literat kann man die benutzen.
    Jahn: Das heißt, wenn ich das richtig gehört habe, herausgehört habe: Dann ist nicht alles genauso passiert.
    Lust: Doch, schon. Nur die Konzentration… Also man sucht ja aus, welche Stellen man erzählt. Also ich habe ja nicht die ganzen drei Jahre erzählt, die abgebildet sind. Also das Buch umfasst einen Zeitraum von drei Jahren und ich habe nicht alles erzählt, sondern ich habe bestimmte Aspekte ausgewählt, die für die Geschichte am interessantesten sind. Deshalb entsteht ein etwas verfremdetes Bild von mir.
    "Ich würde rassistisch handeln, wenn ich das weglasse"
    Jahn: In Ihren Comicromanen und jetzt auch gerade in diesem hier geht es viel um Sex - nicht nur, es geht auch um Kunst, den Clash der Kulturen und die Suche nach einer romantischen Utopie - aber Sex ist schon ziemlich zentral. Es handelt sich jetzt aber nicht um ein Comicporno. Wie schaffen Sie es, dass Sie zeichnerisch nicht abdriften?
    Lust: Dass ich zeichnerisch nicht abdrifte, wie meinen Sie das?
    Jahn: Naja, das ist ja schon schwierig. Wie zeichne ich so, dass es nicht zum Porno wird, immer noch Roman bleibt.
    Lust: Das hängt immer davon ab, in welche Geschichte eine erotische Szene eingebunden ist. Ein Porno bedeutet, dass Körperteile sich aneinander reiben und es gibt keinerlei Kontext dazu, außer dass es ein Mann und eine Frau ist oder eben egal welche Menschen auch immer. Wenn es eine intelligente Geschichte gibt und in der kommt Sex vor, dann bildet das einfach das Leben ab.
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    Panel aus Ulli Lusts "Wie ich versuchte, ein besserer Mensch zu sein" (Ulli Lust/Suhrkamp)
    Jahn: Jetzt sind die Zeichnungen von Ihnen in diesem Buch in schwarz und rosa. Rosa, weil es um Sex aus femininer Sicht geht?
    Lust: Weil es eine warme und weiche Farbe ist, die stimmungsmäßig gut zum Buch passt.
    Jahn: Sie werden in dem Buch - beziehungsweise diejenige, die Ulli ist, also ob Sie das waren oder nicht - vom Afrikaner auch verprügelt, nachdem Sie ihn geheiratet haben, damit er ein Aufenthaltsberechtigung bekommt. Andere würden so etwas nicht thematisieren. Peinlich ist Ihnen das nicht?
    Lust: Es ist der Schluss einer sehr langen und sehr intensiven Liebesgeschichte. Es gibt auch österreichische Männer, die ihre Frauen schlagen. Ich dachte, ich würde rassistisch handeln, wenn ich das weglasse, dass er gewalttätig wurde, nur weil er ein Schwarzer ist. Ich muss es auch erzählen dürfen.
    "Es ging darum, was die Gesellschaft denkt, was ein guter Mensch ist"
    Jahn: Der Titel dieses Comicromanes lautet: "Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein". Und da drängt sich bei einem natürlich die Nachfrage auf: Was ist denn für Sie ein guter Mensch, das Ideal, zu dem sie werden?
    Lust: Es ging nicht wirklich darum, was ich denke, was ein guter Mensch ist, sondern was die Gesellschaft denkt, was ein guter Mensch ist, respektive eine gute Frau. Ich hatte ein Kind, das ich sehr jung bekommen habe. Und man kann eigentlich nur eine gute Frau sein, wenn man für sein Kind selbst sorgt. Nun ist mein Sohn bei meinen Eltern aufgewachsen, und das war ein großer Gewissenskonflikt. Also, das ist ein Aspekt des Gut-sein-Wollens. Oder beziehungsweise: Ich wollte in dem vorherigen Buch aus der Gesellschaft ausbrechen. Eine Punk-Geschichte war das: "Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens". Das ist eine sehr wilde und exzessive Geschichte, wo ich exakt das Gegenteil von dem machen wollte, was die Gesellschaft von den Jugendlichen verlangte. Mit 22 hatte ich das große Bedürfnis, wieder einen Platz zu finden in dieser Gesellschaft. Das heißt: Ich wollte wieder "gut" werden. Aber der Titel suggeriert das auch schon, dass es nicht wirklich gelingt.
    "Ich bin immer froh, dass ich jahrelang an einem Buch zeichnen kann"
    Jahn: "Mach dich selten, dann wirst du gelten!" Das könnte so ein Ulli-Lust-Motto sein. Von Ihnen liest man lange nichts und dann sind Sie mit einem Mal wieder da, und zwar ganz gewaltig. Und auch der neue Comicroman wird ja schon sehr begeistert besprochen. Warum brauchen Sie im Schnitt vier Jahre für ein Buch? Andere sind da wesentlich schneller mit dem Stift.
    Lust: Andere Comiczeichner, die kürzere Geschichten zeichnen, ja. Autoren, die lange Bücher ab 300 Seiten schreiben, brauchen auch Jahre dafür. Also für so ein Buch, für einen Comic mit 300 bis 400 Seiten kann man mindestens drei bis vier Jahre Arbeit rechnen. Und dasselbe gilt auch für ein geschriebenes Werk, außer man heißt Konsalik.
    Die Figur Ulli torkelt verliebt umher und singt
    Der Comicroman "Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein" ist der zweite Teil einer autobiografischen Trilogie (Ulli Lust/Suhrkamp)
    Jahn: Ja, da gibt es auch noch andere Kandidaten. Wenn Sie jetzt jahrelang an einem Buch schreiben und zeichnen, da stelle ich mir vor, das ist ganz schön schwierig, dass man da nicht in so ein Loch hineinfällt. Immer das Gleiche.
    Lust: Also, ehrlich gesagt bin ich immer froh, dass ich jahrelang an einem Buch zeichnen kann und immer neue Szenen entwickeln, als jahrelang in dem selben Laden Schuhe verkaufen oder irgendwelche sehr langweiligen und immer gleich bleibenden Arbeiten zu verrichten. Also ich finde das Zeichnen von Comics sehr abwechslungsreich, selbst wenn es eine lange Geschichte ist.
    Jahn: Sie fallen nicht in ein Loch hinein?
    Lust: Ich falle in das Loch, wenn die Geschichte fertig gezeichnet ist. Ich bin jetzt sehr gefährdet, weil das fertig ist, das Buch.
    Dritter Teil: "Ich muss noch ein bisschen Gras darüber wachsen lassen"
    Jahn: Ulli Lust, Ihr Comicroman "Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein" ist der zweite Teil einer angekündigten autobiografischen Trilogie. Der erste, wir hatten es ja schon angesprochen, ist "Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens". Der umfasst die Jugend. Jetzt das Buch umfasst die Zeit um Mitte 20. Der dritte Teil, der ja noch kommen wird, ist der schon passiert? Oder warten Sie noch ab, dass es spannende Geschichten in Ihrem Leben gibt, die Sie dann zeichnen können?
    Lust: Ja, den dritten Teil kenne ich bereits, weil er schon passiert ist. Ich habe den in Amerika mal in einem Interview angekündigt. Aber ich kann im Moment noch nicht daran arbeiten, weil es noch nicht lange genug her ist und es Teilnehmer gibt, die keine Freude damit haben, dass ich die Geschichte öffentlich erzähle. Also ich muss noch ein bisschen Gras darüber wachsen lassen.
    Jahn: Wie machen Sie das überhaupt mit den anderen? Fragen Sie, ob Sie die Geschichte schreiben und zeichnen dürfen?
    Lust: Das ist ein großes Problem. Ich muss die Privatsphäre von anderen Menschen natürlich viel mehr respektieren als meine eigene. Es gibt eine Figur, Georg, die in dem Buch sehr intim abgebildet wird. Und er hat alle Seiten zu lesen bekommen, in denen er vorkommt und dann auch noch einmal das ganze Buch, ob er da wirklich damit leben kann, dass ich das veröffentliche. Er hat mir geantwortet, dass er sehr gerührt war, als er das Buch gelesen hat. Also er ist selber Künstler und weiß… Er kennt die Erfordernisse der ehrlichen künstlerischen Arbeit und kann damit leben.
    Jahn: Wir werden etwas warten müssen, bis der dritte Teil der Trilogie erscheint. Haben Sie denn schon einen Titel?
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    Lust: Den kann ich nicht sagen.
    Jahn: Warum nicht?
    Lust: Nein, das geht nicht. Sorry.
    Jahn: Okay, wir warten ab. Danke erst einmal, Ulli Lust, Comiczeichnerin und Autorin. Ihr Buch, "Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein", ist gerade bei Suhrkamp erschienen. Danke Ihnen.
    Lust: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Ulli Lust: "Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein"
    Suhrkamp Taschenbuch: Berlin 2017. 367 Seiten, 25 Euro