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Comiczeichner Kannemeyer
Meister der Schwarz-Weiß-Klischees

Das Spiel mit Schwarz-Weiß-Klischees und mit rassistischen Vorurteilen im Stil von Hergés Ligne Claire sind die Markenzeichen des in Kapstadt geborenen Künstlers Anton Kannemeyer. Seine Illustrationen hängen mittlerweile sogar in Museen wie dem MoMa in New York. Jetzt sind einige seiner Comics auch auf Deutsch erschienen.

Anton Kannemeyer im Gespräch mit Leonie March |
    Leonie March: Herr Kannemeyer, den meisten Hörern in Deutschland, die mit Ihrer Arbeit nicht vertraut sind, wird zuerst die Ähnlichkeit vieler Figuren mit Tim auffallen – dem Comichelden aus „Tim und Struppi“. Wie kommt es dazu?
    Anton Kannemeyer: Ich bin mit "Tim und Struppi" aufgewachsen – so wie viele Jungen auf der ganzen Welt und ich mochte Tim wirklich sehr gern. Für mich ist Hergé der wahrscheinlich beste Comiczeichner des 20. Jahrhunderts. Sein Stil ist einfach fantastisch und wirkt auch heute nicht veraltet. Ich denke, es ist die Klarheit seiner Zeichnungen, die einen sofort anspricht. In meinen Zeichnungen habe ich vor allem Schatten hinzugefügt und Tim damit an ziemlich dunkle Orte geführt. Denn so empfand ich meine Kindheit. Ich bin ohne Mutter aufgewachsen. Mein Vater war ein herrischer, sehr strenger Patriarch. Wenn ich heute daran zurückdenke, war das eine unglaublich depressive Zeit. Das einzige, was mir damals Hoffnung, oder das Gefühl gab, dass es neben Elend noch etwas anderes geben könnte, war Tim. Er bedeutete mir also wirklich sehr viel, als ich jung war.
    March: Hat sich dieses Gefühl und die Verehrung für Hergé verändert, nachdem sie mitbekamen, welche Kontroverse "Tim im Kongo" ausgelöst hat? Über diesem zweiten Abenteuer von "Tim und Struppi" hängt ja der Vorwurf des Rassismus – denn Hergé stellt Schwarze als rückständige, kindlich-naive Wilde dar. Ein Klischee, gegen das Sie als Südafrikaner, der während der Apartheid aufgewachsen ist, ja durchaus aufbegehrt haben.
    Kannemeyer: Ja, das stimmt schon. Ich sehe "Tim im Kongo" sehr kritisch. Es ist zweifellos ein sehr rassistischer Band, egal aus welcher Perspektive man ihn betrachtet. Viele Leute ärgert es, wenn ich das sage. Sie werfen mir vor, den Helden ihrer Kindheit anzugreifen und nehmen ihn in Schutz. Sie sagen, man müsse den Comic in seiner Zeit sehen, dass er einfach nur widerspiegelt, was weiße Leute damals dachten. Aber das stimmt einfach nicht. Hergé wurde schon Rassismus vorgeworfen, als er den Comic Anfang der 30er Jahre zeichnete.
    March: In Ihrem gerade auf Deutsch erschienenen Buch "Papa in Afrika" parodieren sie ja diese rassistischen Klischees aus "Tim im Kongo". Sie zeichnen beispielsweise einen Weißen mit Tropenhelm, der mit einem Jagdgewehr auf einen Schwarzen schießt und sich ärgert, weil er scheinbar nicht trifft – nur um später festzustellen, dass er ein ganzes Dutzend umgebracht hat. Sie sahen alle gleich aus. Warum zeichnen Sie Schwarze ganz bewusst ebenso stereotyp wie damals Hergé?
    Kannemeyer: Als Satiriker habe ich viele visuelle Metaphern in meinem Köcher und dazu gehört die Übertreibung. Indem ich die schwarzen Gesichter stark vereinfache und so anonym wie möglich aussehen lasse, stoße ich den Betrachter ohne Umwege direkt auf das Thema Rassismus. Ich muss nichts Weiteres andeuten – ein schwarzes Gesicht reicht. Diesem Stereotyp stelle ich die Figur des "Papa" gegenüber, einen älter gewordenen “Tim” mit Glatze, den Archetyp des weißen Kolonialisten.
    "Als ich jünger war, war ich definitiv sehr wütend"
    March: Und diese Weißen sehen ihnen selbst erstaunlich ähnlich.
    Kannemeyer: Ja. Das ist natürlich Absicht. Denn so gern ich auch mit dem Finger auf andere und deren Fehler zeige, so kann ich mich selbst nicht ausklammern. Ich bin schließlich auch ein Weißer, der in Afrika lebt. Zuerst war ich nur ein weißer Künstler, aber mittlerweile habe ich zwei Kinder und bin damit selbst ein "Papa in Afrika". Daher gibt es viele Selbstbezüge – sowohl in den Geschichten, als auch in den einzelnen Illustrationen.
    March: Für mich war es interessant, dass in diesem Buch sowohl ältere als auch aktuellere Zeichnungen gesammelt sind und man so auch ihre künstlerische Entwicklung nachvollziehen kann – von eher autobiografischen Arbeiten bis zu einer grundsätzlicheren Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus.
    Kannemeyer: Ja, Sie haben wahrscheinlich recht, auch wenn ich diese Dinge nicht ständig reflektieren kann. Als ich jünger war, war ich definitiv sehr wütend und das spiegelt sich auch in meiner Arbeit wieder: Mein Hass gegen meine eigene Herkunft als weißer Bure, gegen die Schule, das Militär und die Kirche, gegen diese christlich-nationale Erziehung. Es war vielleicht im Ansatz so, wie es in der Nazi-Jugend gewesen sein muss. Aus dieser persönlichen Aufarbeitung entwickelten sich bei mir zunächst ein soziopolitisches und später ein rein politisches Interesse, weg von den sehr autobiografisch geprägten frühen Arbeiten.
    March: Früher hatten Sie ein klares Feindbild – den konservativen, rassistischen Buren, die schwarz-weiße Welt der Apartheid. Heute ist Südafrika eine Demokratie, die Konflikte im Land sind vielschichtiger, die Sprache politisch-korrekt. Gegen wen kämpfen sie heute?
    Kannemeyer: Die natürlichen Feinde des Satirikers sind diejenigen, die an der Macht sind. Denn mit der Macht kommt immer auch Missbrauch und ihn muss man anprangern. Damit setze ich mich leider zwischen alle Stühle: Die Buren haben meine Arbeit schon immer gehasst, auch wegen meiner Sex-Comics aus den 90ern. Sie haben mir viele Drohbriefe geschrieben. Heute leben wir in einer neuen Ära, aber sobald man die Regierung angreift, heißt es, man sei ein Rassist; nur weil man als Weißer Schwarze kritisiert. Rassismus ist also ein Thema, mit dem ich mich weiterhin viel beschäftige.
    Kannemeyer: Unsere Professoren waren besorgt, dass wir Schwierigkeiten mit der Militärpolizei bekommen würden
    March: Derart gesellschaftskritische Comics sind in Südafrika ja eher Mangelware, die Comicszene an sich ist überschaubar. Haben Sie trotzdem das Gefühl, dass ihre Arbeit – vor allem das von Ihnen mitbegründete Kultmagazin "Bitterkomix" - die junge Generation von Zeichnern beeinflusst hat?
    Kannemeyer: Als ich noch an der Universität gelehrt habe, hatte "Bitterkomix" sicherlich einen großen Einfluss auf unsere Studenten und ihre Karrieren. Mein Partner Conrad Botes und ich sind oft von Werbeagenturen angesprochen worden, die am Bitterkomix-Stil interessiert waren. Wir hatten also sicherlich einen ziemlich großen visuellen und konzeptuellen Einfluss auf die Design- und Illustrationsszene in Südafrika. Auch wenn es eine kleine Szene ist. Unsere auflagenstärkste Ausgabe waren 4.000 Magazine, von allen andern wurden maximal 2.500 gedruckt. Aber viele von ihnen sind heute ausverkauft, Sammler interessieren sich dafür. Selbst das "Museum of Modern Art" in New York hat eine Sammlung und uns freut es natürlich, dass damit der Wert der älteren Hefte gestiegen ist.
    March: Museen sammeln ihre Comics und stellen ihre großformatigen Illustrationen aus, Galerien verkaufen ihre Bilder auf dem Kunstmarkt – auch weil sie für einen bestimmten Zeitgeist in Südafrika stehen. Sehen Sie Ihr Werk selbst auch als Teil der Geschichtsschreibung?
    Kannemeyer: Ich kann nur wiedergeben, was andere gesagt oder geschrieben haben: Dass "Bitterkomix" eine gute visuelle Darstellung der Jahre unmittelbar nach dem Ende der Apartheid ist. Viele Zeichnungen wären während der Apartheid nie veröffentlicht worden. 1989, ein Jahr vor Mandelas Freilassung aus dem Gefängnis veröffentlichten Conrad und ich unseren ersten Comic – damals gegen die Wehrpflicht. Ich erinnere mich noch, wie besorgt unsere Professoren selbst damals noch waren, dass wir Schwierigkeiten mit der Militärpolizei bekommen würden. Aber es blieb bei ein paar kleineren Zwischenfällen, etwas wirklich Ernstes ist nie passiert. Ich habe mich bis zur Jahrtausendwende intensiv mit dem politischen und gesellschaftlichen Wandel in Südafrika beschäftigt. Es freut mich, wenn die Leute denken, dass meine Arbeit diese Zeit gut verkörpert. Und ich hoffe, dass es auch der Wahrheit entspricht!