Susanne Luerweg: Sie ist die "Grande Dame" des Comics: Die 1940 in Nantes geborene Claire Bretécher hat sich schon früh überaus erfolgreich in der von Männern dominierten Comicwelt behauptet. Der internationale Durchbruch gelang ihr in den 70ern mit der Serie "Die Frustrierten". "Agrippina" ist eine weitere Serie von Claire Bretécher, der letzte Band um die jugendliche Agrippina kommt in diesen Tagen bei Rowohlt heraus. "Fix und Fertig" heißt der Titel auf Deutsch. Martina Zimmermann sprach in Paris mit der berühmten Comiczeichnerin.
Martina Zimmermann: Claire Bretécher, "Agrippina - Fix und Fertig" kommt in diesen Tagen in Deutschland heraus. In Frankreich kam der Comicband 2009 auf den Markt, Sie haben es also schon vorher gezeichnet - lebt das Baby dann sein Leben alleine weiter, wenn es mal da ist oder erinnern Sie sich noch daran?
Claire Bretécher: Ich habe es vergessen! Würde ich darin blättern, würde es mir wieder einfallen, aber so erinnere ich mich nicht. Außer wenn ich es wieder lesen würde. Aber Deutsch verstehe ich ohnehin nicht, das würde nichts bringen.
Zimmermann: Wir werden die Geschichte nicht verraten, aber man kann sagen, dass Sie sich in diesem Comic über die Medien und die Realityshows lustig machen. Agrippina verstreitet sich mit ihrer Großmutter, weil diese die Stiefel kauft, die sie selbst so gerne möchte, die aber nur noch in der Größe der Großmutter da sind. "Ich wünschte du wärst tot" sagt sie. Als diese dann stirbt, fühlt sich Agrippina schuldig. Mehr wollen wir nicht verraten... Ich fand die Groß- und die Urgroßmutter sehr sympathisch, die Großmutter tut was sie will, egal was ihre Kinder denken, die Urgroßmutter genauso, die Urgroßmutter macht Graffitis. Auch das schockiert Agrippina, die Graffitis überall in Ordnung findet, aber nicht in einem Altenheim. Bis sie entdeckt, dass ihre Urgroßmutter diese macht.
Bretécher: Das ist unglaublich. In Wirklichkeit gibt es nicht viele Großmütter, die Graffitis sprayen. Damals machte mein Sohn Graffitis, er war nicht so alt wie eine Großmutter. Er gehörte zu einer Bande von Graffitikünstlern. Das ist ein paar Jahre her. Heute findet er Graffitis doof - so ändert sich das.
Zimmermann: Ihr Sohn hat Sie also inspiriert?
Bretécher: Er hat mir nicht die Idee geflüstert, aber er machte Graffitis. Man stellt sich vor, dass Ideen überall um einen zu finden sind, aber auf mich trifft das nicht zu. Das ist vielleicht bei talentierteren Menschen so, ich bin nicht sehr begabt. Ich will mich nur amüsieren. Aber es ist nicht leicht, eine Idee zu finden, die ein ganzes Heft füllt.
Zimmermann: Die berühmte Seite 20, die oft schwierig ist?
Bretécher: Ja - das geht meinen Kollegen genauso: Wenn wir auf der Seite 20 ankommen, reicht es uns. Wir haben genug von der Geschichte. Das kommt vor, ist aber nicht jedes Mal so.
"Wenn ein Mann kritisiert, wie eine Frau gekleidet ist, ist das absolut grotesk"
Zimmermann: Sie haben das Leben der Frauen und der Gesellschaft seit den 1960er-/ 1970er-Jahren gezeichnet. Wie sehen Sie die Frauen heute? Gerade haben Pariser Journalistinnen einen Appell unterzeichnet, in dem sie die Machosprüche der Politiker anprangern...
Bretécher: Das ist mir völlig egal. Würde ich Politik machen, wäre das vielleicht anders. Ich denke das sind Typen, die nicht professionell sind, die solche Sprüche machen. Das ist nicht sehr interessant.
Zimmermann: Bloß dass die Journalistinnen darunter leiden.
Bretécher: Ja, aber dafür auf die Barrikaden zu gehen, schaffe ich nicht. Es ist ärgerlich, wenn man mit Herablassung behandelt wird. Aber das gilt für jeden.
Zimmermann: Wie sehen Sie die Frauen heute?
Bretécher: Ich sehe nicht mehr viel. Man hat soviel darüber geredet, dass ich davon genug habe. Als ich beim Nouvel Observateur arbeitete, machte ich zu dieser Frage viele Zeichnungen. Heute ist mir das egal. Wenn irgendwo etwas Schreckliches geschrieben steht, merke ich das schon. Ich habe gerade kein Beispiel zur Hand, aber wenn ein Mann kritisiert, wie eine Frau gekleidet ist, ist das absolut grotesk. Ich hoffe, dass sich das keiner mehr traut.
Zimmermann: Ich habe gelesen, dass Sie in einem Interview sagten, dass schwanger werden in Ihrer Jugend war, wie Krebs zu haben: Sie hatten Angst schwanger zu werden.
Bretécher: Klar doch, es gab damals keine Pille, das war schrecklich. Ich habe das noch erlebt. Als ich jung war, war es tragisch, schwanger zu werden. Tragisch. Heute hängt es davon ab, wo Frau lebt, aber in annähernd zivilisierten Ländern wie den unseren wird man heute im Prinzip schwanger, wenn man es möchte. Es gibt sicher Mädchen, die Dummheiten machen, aber das endet nicht tragisch.
Zimmermann: Sie sind Frau und Zeichnerin. Heute gibt es viele Journalistinnen, Politikerinnen, aber immer noch wenige Comic-Zeichnerinnen.
Bretécher: Es gibt immer mehr, auf jeden Fall in Frankreich sogar viele. Viele bitten mich um eine Art Hilfe. Eine Art Patenschaft. Das mache ich aber nicht, keine Lust. Wenn sie Comic zeichnen wollen, sollen sie es tun und fertig.
Zimmermann: Sie haben an dieser Bewegung des neuen Comics ab den 60er-, 70er-Jahren teilgenommen. Sie waren die einzige Frau...
Bretécher: Wir waren nicht viele.
Zimmermann: War es damals für Sie eher angenehm, die einzige Frau zu sein unter all diesen Zeichnern?
Bretécher: Das war mir egal. Weder angenehm noch unangenehm, ich machte meine Arbeit, das war alles.
"Charlie hat immer alles getan, damit auf sie geschossen wird"
Zimmermann: Ich kann nicht mit Ihnen reden, ohne vom Attentat in der Redaktion von Charlie Hebdo zu sprechen. Zeichner werden heute ermordet wegen ihrer Zeichnungen.
Bretécher: Ich weiß absolut nicht was ich zu Charlie Hebdo sagen soll. Man kann nur bedauern, dass Menschen ermordet werden, das ist fürchterlich. Aber es ist nicht erstaunlich, dass das bei Charlie passierte. Ich persönlich bin deprimiert vom Tod von zwei oder drei Typen, aber was soll ich mehr dazu sagen? Das ist bedauerlich. Es ist lächerlich, auf Zeichner zu schießen. Ich finde Charlie hat immer alles getan, damit auf sie geschossen wird. Aber wenn man das sagt, bringt das nicht weiter.
Zimmermann: Das ist doch seltener zu hören in Frankreich. Der Rapper Booba sagte, er sei traurig, aber es wundere ihn, dass das nicht schon früher passiert sei. Das gab einen Skandal.
Bretécher: Ich bin auch der Meinung, dass Charlie immer provoziert hat, aber man kann nicht einfach auf Leute schießen, auch nicht auf einen Idioten, der provoziert.
Zimmermann: Wir werden von Ihrem Werk reden. "Fix und Fertig" ist der letzte Band von Agrippina. Danach haben Sie Tarotkarten gezeichnet und ein Buch mit ihren Malereien veröffentlicht. Gehen Sie in den letzten Jahren mehr Richtung Kunst?
Bretécher: Nein. Man hat ein Buch bestellt und ich habe es gemacht. Es ist angenehm, ein Buch mit Malereien zu machen.
Zimmermann: Wenn man Sie um einen weiteren Agrippina-Band bittet, machen Sie einen weiteren?
Bretécher: Ich glaube, ich habe die Nase voll von Agrippina. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wenn ich Lust auf etwas habe, kann ich es immer noch tun. Ich kann es sogar selbst herausbringen. Aber momentan mache ich gar nichts. Ich trödele vor mich hin. Ich bin zur Zeit nicht sehr dynamisch. Ich bereite eine Ausstellung für das Centre Pompidou vor, das beschäftigt mich ein bisschen. Mit Zeichnungen und Malereien.