Er ist ein Mann im besten Alter, dieser Guido Guerrieri. Ein Rechtsanwalt, durchtrainierter Freizeitboxer, Literaturliebhaber, passionierter Kinogänger. Er ist in Bari zu Hause, der Hauptstadt von Apulien, und nicht nur das teilt er mit seinem Erfinder, dem Juristen Gianrico Carofiglio. Natürlich sieht Guido Guerrieri, Protagonist dreier Kriminalromane von Gianrico Carofiglio und mittlerweile zum unbestechlichen Verfechter der Gerechtigkeit avanciert, auch noch verdammt gut aus.
"Guido Guerrieri und ich verstehen uns ganz gut. Manchmal mischt er sich ein bisschen zu sehr in mein Leben ein, außerdem bin ich neidisch auf ihn, weil er bei Frauen so wahnsinnig gut landet, aber da er ziemlich nett ist, habe ich mich entschieden, ihn am Leben zu lassen und ihn noch ein paar Abenteuer bestehen zu lassen."
Ob da nicht ein bisschen Koketterie im Spiel ist? Denn auch Gianrico Carofiglio ist ein entwaffnend attraktiver Mann und kann sich über mangelnde Aufmerksamkeit nicht beklagen - mit über einer Million verkaufter Bücher zählt er zu den derzeit erfolgreichsten italienischen Autoren.
Jetzt lässt er Guido Guerrieri in Das Gesetz der Ehre seinen dritten Fall lösen, und damit scheint der schreibende Jurist einen Präzedenzfall geschaffen zu haben, denn der neue Band beginnt ausgerechnet mit dem Kinderwunsch seines Helden. Oder kennt irgendjemand einen Krimi, der mit Familiengründungssehnsüchten des Ermittlers anfängt? In dem als erstes von der Enttäuschung eines Mannes die Rede ist, dessen Freundin beruflich ins Ausland verschwindet, statt mit ihm ein Kind zu bekommen? Die Lebenskrisen von Guido Guerrieri waren allerdings von Anfang an Bestandteil der Serie.
"Es handelt sich um einen Menschen, der gegen seine eigenen Ängste kämpft, gegen seine eigene Zerbrechlichkeit. In dem Wissen darum besteht aber auch seine große Kraft. Nach außen ist er sehr entschieden und stark, man könnte ihn als männlich wahrnehmen, aber innerlich ist er empfindsam, verletzbar und hat viele Zweifel, das ist seine eher weibliche Seite. Wobei ich das gar nicht in einem geschlechtlichen Sinne meine. Guerrieris Entwicklung besteht darin zu lernen, mit diesen Ängsten und Fantasien umzugehen, was natürlich nie ganz gelingt. Aber jedes Mal kommt er einen kleinen Schritt weiter."
Carofiglio, Jahrgang 1961 und erfahrener Staatsanwalt, hat mit Guido Guerrieri einen Helden erfunden, der sich mit ganz normalen Problemen herum schlägt. Gleichzeitig gestand er ihm Lernfähigkeit zu; Guerrieri durfte sich verändern. Zu Beginn der Reihe in dem Roman Reise in die Nacht war der avvocato eher ein unangenehmer Zeitgenosse: ein Zyniker, der schmierige Betrüger und gewerbescheinlose Imbissbudenbesitzer vertrat, ohne größere Skrupel seine Frau betrog und kaum merkte, dass er seine Ideale längst über Bord geworfen hatte.
Auf das Scheitern seiner Ehe reagierte er mit Panikattacken. Erst das Mandat eines senegalesischen Straßenverkäufers, der schuldlos des Mordes bezichtigt wurde, versetzte ihm einen Reifeschub. Seitdem ist Guerrieri erwachsen geworden und weiß, wofür es sich zu kämpfen lohnt.
In seinem neuen Fall Das Gesetz der Ehre gerät der Anwalt allerdings wieder in die Bredouille. Ausgerechnet Fabio Paolicelli, ein geläuterter Ex-Faschist, überträgt ihm seine Verteidigung. Der Mann sitzt unschuldig hinter Gittern, weil jemand sein Auto auf dem Rückweg von Montenegro mit vierzig Kilogramm Kokain beladen hatte. Woran er sich nicht erinnern kann: Als Jugendlicher war er mit zwei Kumpanen brutal über Guerrieri hergefallen. Jahrelang hatte Guerrieri unter dem Übergriff gelitten und Rache geschworen. Deshalb zögert der avvocato mit der Annahme des Mandats. Die Schönheit von Paolicellis japanischstämmiger Frau Natsu und der Charme der kleinen Tochter geben schließlich den Ausschlag.
Guerrieri freundet sich mit Natsu an. Da er mittlerweile an Introspektion gewöhnt ist, durchschaut er seine niederen Beweggründe, zumal er noch an der Kränkung durch seine Ex-Freundin laboriert. Es kommt wie es kommen muss, und am Ende haben wir nicht nur etwas über die Sehnsüchte eines einsamen Advokaten gelernt, sondern auch über italienische Gerichtsverfahren und die Kunst des Plädoyers. Einen Teil seiner Ideen schöpft Gianrico Carofiglio aus seiner beruflichen Erfahrung. Seinen Job bei der Anti-Mafia-Behörde in Bari hat er seit seinem literarischen Durchbruch allerdings an den Nagel gehängt.
"Seit Mai letzten Jahres bin ich nicht mehr Anti-Mafia-Staatsanwalt, sondern arbeite als Berater der Regierung für Fragen der organisierten Kriminalität. Das ist eine Beschäftigung, die einen etwas weniger anstrengenden Rhythmus hat, als die Arbeit in der Staatsanwaltschaft. Als Staatsanwalt steht man wirklich in der ersten Reihe. Jetzt bin ich mehr ein Experte im Hintergrund, fertige Untersuchungen an, kümmere mich um Parlamentsausschüsse, unterbreite Gesetzesänderungen, kläre juristische und kriminologische Fragen. Ich habe jetzt schlichtweg mehr Zeit zum Schreiben und kann beide Aktivitäten gut miteinander verbinden. Als Staatsanwalt wurde das schwierig, weil man häufig am Wochenende oder nachts unterwegs ist, es gibt Schichtdienst, man hat unvorhergesehene Einsätze, Festnahmen und so weiter. Und man ist natürlich auch Tag für Tag mit dieser unglaublich delikaten Materie beschäftigt"
In seinem neuen Roman liefert Carofiglio einen routiniert gebauten Plot, ordentliche Dialoge, Bezüge auf das Zeitgeschehen, Einblicke in die italienische Gesellschaft und, nicht zu vergessen, auch eine zarte Romanze. Die sozialen Umbrüche sind in Das Gesetz der Ehre weniger zugespitzt als in den ersten beiden Guido-Guerrieri-Fällen, die Anspielungen auf Casablanca und andere Filmklassiker wirken ein wenig bemüht, und die Nebenfiguren sind längst nicht so plastisch. Dafür rücken die seelischen Nöte des Protagonisten noch stärker in den Vordergrund.
Dem Roman schadet das eher, aber Carofiglios Popularität tut es keinen Abbruch. Seit dem Erscheinen seines ersten Krimis vor sechs Jahren steht Carofiglio ununterbrochen auf der Bestsellerliste, häufig mit mehreren Titeln, und allesamt sind Verkaufsschlager. Im deutschsprachigen Raum griffen immerhin 150.000 Krimileser zu den ersten beiden Fällen des avvocato aus Bari.
"Unter Druck setzt mich der Erfolg nicht. Erfolg ist natürlich etwas sehr Positives. Erfolg bedeutet Anerkennung, und er bringt viele angenehme Dinge mit sich, ich mache neue Bekanntschaften, reise herum, mache Erfahrungen. Es gibt natürlich auch weniger positive Aspekte. Weniger positiv ist, dass man immer größeren Gefallen an diesen angenehmen Begleiterscheinungen des Erfolgs findet. Es ist so, als tränke man sehr guten Wein - man möchte mehr davon, es entsteht eine gewisse Abhängigkeit. Das weiß man natürlich, man setzt etwas dagegen, aber es ist nicht unbedingt die ideale Voraussetzung, um wieder produktiv zu werden, die geeignete Konzentration zu finden und etwas Neues zu schreiben. Man muss sich also von diesen vielen schönen angenehmen Seiten des Erfolges ein bisschen befreien, um wieder in die richtige Haltung zum Schreiben zu finden."
Wie kann man Carofiglios bahnbrechenden Erfolg erklären? Das liegt zum einen an Guido Guerrieri. Serienhelden haben immer etwas für sich: Man kennt ihre Marotten, gewöhnt sich an ihre Gesellschaft und möchte wissen, wie sie neue Herausforderungen meistern. Außerdem hat Carofiglio dem melancholischen Rechtsanwalt genau die richtige Mischung aus Gebrochenheit und ungebundenem Cowboytum verpasst. Guerrieri sehnt sich nach einer Familie, ist gefühlvoll und sensibel, stromert dennoch allein durch Bari und überlässt am Ende Paolicelli das Feld. Er ist einer von uns, zugleich aber ein kleines bisschen mutiger, offener und anständiger als wir. Mit anderen Worten: Er hat sogar das Zeug zu einem Vorbild.
Gleichzeitig scheint es mit ihm voran zu gehen, er arbeitet an sich und kommt weiter. Carofiglio packt also Elemente des Entwicklungsromans in eine klassische Krimistruktur hinein, unterfüttert das Ganze mit Lokalkolorit und zeichnet ein leicht verdauliches Porträt seiner Generation. Es gibt aber noch einen Grund für Carofiglios Erfolg. Der Staatsanwalt aus Bari hat ein Genre importiert, das in Italien bisher kaum verbreitet war, den legal thriller, den Gerichtskrimi. In seiner Serie kommen die Funktionsweisen des Rechtsstaates zur Darstellung, die dank Guido Guerrieri den Unschuldigen und Schwachen nützen. Statt auf Verfolgungsjagden mit heulenden Sirenen und Schießereien läuft es bei Carofiglio auf Aktennotizen, Prozesstage, Verhandlungstermine und brisante Verteidigungsstrategien hinaus, was aber genauso spannungsgeladen erzählt wird.
Während sittliche Verwahrlosung allenthalben um sich greift, der Müll in Neapels Vororten vergammelt und sich Abgeordnete Unflätigkeiten an den Kopf werfen, herrscht in den Gerichtsälen der Krimis Ordnung. Hier wird der Rechtsstaat verteidigt, hier haben Argumente eine Chance, hier zählen Beweise. Deswegen stellt sich auch am Schluss von Das Gesetz der Ehre die Erkenntnis im Vordergrund: Solange es Männer wie Guido Guerrieri gibt, ist Italien nicht verloren.
Gianrico Carofiglio: Das Gesetz der Ehre
Aus dem Italienischen von Claudia Schmitt
Goldmann Verlag, München 2008, 271 Seiten, 19, 95 Euro
"Guido Guerrieri und ich verstehen uns ganz gut. Manchmal mischt er sich ein bisschen zu sehr in mein Leben ein, außerdem bin ich neidisch auf ihn, weil er bei Frauen so wahnsinnig gut landet, aber da er ziemlich nett ist, habe ich mich entschieden, ihn am Leben zu lassen und ihn noch ein paar Abenteuer bestehen zu lassen."
Ob da nicht ein bisschen Koketterie im Spiel ist? Denn auch Gianrico Carofiglio ist ein entwaffnend attraktiver Mann und kann sich über mangelnde Aufmerksamkeit nicht beklagen - mit über einer Million verkaufter Bücher zählt er zu den derzeit erfolgreichsten italienischen Autoren.
Jetzt lässt er Guido Guerrieri in Das Gesetz der Ehre seinen dritten Fall lösen, und damit scheint der schreibende Jurist einen Präzedenzfall geschaffen zu haben, denn der neue Band beginnt ausgerechnet mit dem Kinderwunsch seines Helden. Oder kennt irgendjemand einen Krimi, der mit Familiengründungssehnsüchten des Ermittlers anfängt? In dem als erstes von der Enttäuschung eines Mannes die Rede ist, dessen Freundin beruflich ins Ausland verschwindet, statt mit ihm ein Kind zu bekommen? Die Lebenskrisen von Guido Guerrieri waren allerdings von Anfang an Bestandteil der Serie.
"Es handelt sich um einen Menschen, der gegen seine eigenen Ängste kämpft, gegen seine eigene Zerbrechlichkeit. In dem Wissen darum besteht aber auch seine große Kraft. Nach außen ist er sehr entschieden und stark, man könnte ihn als männlich wahrnehmen, aber innerlich ist er empfindsam, verletzbar und hat viele Zweifel, das ist seine eher weibliche Seite. Wobei ich das gar nicht in einem geschlechtlichen Sinne meine. Guerrieris Entwicklung besteht darin zu lernen, mit diesen Ängsten und Fantasien umzugehen, was natürlich nie ganz gelingt. Aber jedes Mal kommt er einen kleinen Schritt weiter."
Carofiglio, Jahrgang 1961 und erfahrener Staatsanwalt, hat mit Guido Guerrieri einen Helden erfunden, der sich mit ganz normalen Problemen herum schlägt. Gleichzeitig gestand er ihm Lernfähigkeit zu; Guerrieri durfte sich verändern. Zu Beginn der Reihe in dem Roman Reise in die Nacht war der avvocato eher ein unangenehmer Zeitgenosse: ein Zyniker, der schmierige Betrüger und gewerbescheinlose Imbissbudenbesitzer vertrat, ohne größere Skrupel seine Frau betrog und kaum merkte, dass er seine Ideale längst über Bord geworfen hatte.
Auf das Scheitern seiner Ehe reagierte er mit Panikattacken. Erst das Mandat eines senegalesischen Straßenverkäufers, der schuldlos des Mordes bezichtigt wurde, versetzte ihm einen Reifeschub. Seitdem ist Guerrieri erwachsen geworden und weiß, wofür es sich zu kämpfen lohnt.
In seinem neuen Fall Das Gesetz der Ehre gerät der Anwalt allerdings wieder in die Bredouille. Ausgerechnet Fabio Paolicelli, ein geläuterter Ex-Faschist, überträgt ihm seine Verteidigung. Der Mann sitzt unschuldig hinter Gittern, weil jemand sein Auto auf dem Rückweg von Montenegro mit vierzig Kilogramm Kokain beladen hatte. Woran er sich nicht erinnern kann: Als Jugendlicher war er mit zwei Kumpanen brutal über Guerrieri hergefallen. Jahrelang hatte Guerrieri unter dem Übergriff gelitten und Rache geschworen. Deshalb zögert der avvocato mit der Annahme des Mandats. Die Schönheit von Paolicellis japanischstämmiger Frau Natsu und der Charme der kleinen Tochter geben schließlich den Ausschlag.
Guerrieri freundet sich mit Natsu an. Da er mittlerweile an Introspektion gewöhnt ist, durchschaut er seine niederen Beweggründe, zumal er noch an der Kränkung durch seine Ex-Freundin laboriert. Es kommt wie es kommen muss, und am Ende haben wir nicht nur etwas über die Sehnsüchte eines einsamen Advokaten gelernt, sondern auch über italienische Gerichtsverfahren und die Kunst des Plädoyers. Einen Teil seiner Ideen schöpft Gianrico Carofiglio aus seiner beruflichen Erfahrung. Seinen Job bei der Anti-Mafia-Behörde in Bari hat er seit seinem literarischen Durchbruch allerdings an den Nagel gehängt.
"Seit Mai letzten Jahres bin ich nicht mehr Anti-Mafia-Staatsanwalt, sondern arbeite als Berater der Regierung für Fragen der organisierten Kriminalität. Das ist eine Beschäftigung, die einen etwas weniger anstrengenden Rhythmus hat, als die Arbeit in der Staatsanwaltschaft. Als Staatsanwalt steht man wirklich in der ersten Reihe. Jetzt bin ich mehr ein Experte im Hintergrund, fertige Untersuchungen an, kümmere mich um Parlamentsausschüsse, unterbreite Gesetzesänderungen, kläre juristische und kriminologische Fragen. Ich habe jetzt schlichtweg mehr Zeit zum Schreiben und kann beide Aktivitäten gut miteinander verbinden. Als Staatsanwalt wurde das schwierig, weil man häufig am Wochenende oder nachts unterwegs ist, es gibt Schichtdienst, man hat unvorhergesehene Einsätze, Festnahmen und so weiter. Und man ist natürlich auch Tag für Tag mit dieser unglaublich delikaten Materie beschäftigt"
In seinem neuen Roman liefert Carofiglio einen routiniert gebauten Plot, ordentliche Dialoge, Bezüge auf das Zeitgeschehen, Einblicke in die italienische Gesellschaft und, nicht zu vergessen, auch eine zarte Romanze. Die sozialen Umbrüche sind in Das Gesetz der Ehre weniger zugespitzt als in den ersten beiden Guido-Guerrieri-Fällen, die Anspielungen auf Casablanca und andere Filmklassiker wirken ein wenig bemüht, und die Nebenfiguren sind längst nicht so plastisch. Dafür rücken die seelischen Nöte des Protagonisten noch stärker in den Vordergrund.
Dem Roman schadet das eher, aber Carofiglios Popularität tut es keinen Abbruch. Seit dem Erscheinen seines ersten Krimis vor sechs Jahren steht Carofiglio ununterbrochen auf der Bestsellerliste, häufig mit mehreren Titeln, und allesamt sind Verkaufsschlager. Im deutschsprachigen Raum griffen immerhin 150.000 Krimileser zu den ersten beiden Fällen des avvocato aus Bari.
"Unter Druck setzt mich der Erfolg nicht. Erfolg ist natürlich etwas sehr Positives. Erfolg bedeutet Anerkennung, und er bringt viele angenehme Dinge mit sich, ich mache neue Bekanntschaften, reise herum, mache Erfahrungen. Es gibt natürlich auch weniger positive Aspekte. Weniger positiv ist, dass man immer größeren Gefallen an diesen angenehmen Begleiterscheinungen des Erfolgs findet. Es ist so, als tränke man sehr guten Wein - man möchte mehr davon, es entsteht eine gewisse Abhängigkeit. Das weiß man natürlich, man setzt etwas dagegen, aber es ist nicht unbedingt die ideale Voraussetzung, um wieder produktiv zu werden, die geeignete Konzentration zu finden und etwas Neues zu schreiben. Man muss sich also von diesen vielen schönen angenehmen Seiten des Erfolges ein bisschen befreien, um wieder in die richtige Haltung zum Schreiben zu finden."
Wie kann man Carofiglios bahnbrechenden Erfolg erklären? Das liegt zum einen an Guido Guerrieri. Serienhelden haben immer etwas für sich: Man kennt ihre Marotten, gewöhnt sich an ihre Gesellschaft und möchte wissen, wie sie neue Herausforderungen meistern. Außerdem hat Carofiglio dem melancholischen Rechtsanwalt genau die richtige Mischung aus Gebrochenheit und ungebundenem Cowboytum verpasst. Guerrieri sehnt sich nach einer Familie, ist gefühlvoll und sensibel, stromert dennoch allein durch Bari und überlässt am Ende Paolicelli das Feld. Er ist einer von uns, zugleich aber ein kleines bisschen mutiger, offener und anständiger als wir. Mit anderen Worten: Er hat sogar das Zeug zu einem Vorbild.
Gleichzeitig scheint es mit ihm voran zu gehen, er arbeitet an sich und kommt weiter. Carofiglio packt also Elemente des Entwicklungsromans in eine klassische Krimistruktur hinein, unterfüttert das Ganze mit Lokalkolorit und zeichnet ein leicht verdauliches Porträt seiner Generation. Es gibt aber noch einen Grund für Carofiglios Erfolg. Der Staatsanwalt aus Bari hat ein Genre importiert, das in Italien bisher kaum verbreitet war, den legal thriller, den Gerichtskrimi. In seiner Serie kommen die Funktionsweisen des Rechtsstaates zur Darstellung, die dank Guido Guerrieri den Unschuldigen und Schwachen nützen. Statt auf Verfolgungsjagden mit heulenden Sirenen und Schießereien läuft es bei Carofiglio auf Aktennotizen, Prozesstage, Verhandlungstermine und brisante Verteidigungsstrategien hinaus, was aber genauso spannungsgeladen erzählt wird.
Während sittliche Verwahrlosung allenthalben um sich greift, der Müll in Neapels Vororten vergammelt und sich Abgeordnete Unflätigkeiten an den Kopf werfen, herrscht in den Gerichtsälen der Krimis Ordnung. Hier wird der Rechtsstaat verteidigt, hier haben Argumente eine Chance, hier zählen Beweise. Deswegen stellt sich auch am Schluss von Das Gesetz der Ehre die Erkenntnis im Vordergrund: Solange es Männer wie Guido Guerrieri gibt, ist Italien nicht verloren.
Gianrico Carofiglio: Das Gesetz der Ehre
Aus dem Italienischen von Claudia Schmitt
Goldmann Verlag, München 2008, 271 Seiten, 19, 95 Euro