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Computerspiel "Animal Crossing"
Musizieren auf der Insel

Das digitale Paradies des Konsolenspiels "Animal Crossing" animiert nicht nur zum eskapistischen Zeitvertreib. Die niedliche Pixelwelt des Echtzeitsimulators regt auch die Kreativität an. Der Soundtrack des Spiels inspirierte zahlreiche Produzenten zu eigenen Stücken und virtuellen Bandgründungen.

Von Gesine Kühne |
Auf dem Bild sieht man einen Screenshot, auf dem die DJs das Spiel "Animal Crossing" spielen
Beim Musizieren in der Welt von "Animal Crossing". (Gesine Kühne)
David Muallem: "Ich hab mein neues Haus bekommen, bin so glücklich gerade."
Denny Garcia: "Ich hab jetzt ein drittes Zimmer und auf jeden Fall richte ich heute Nachmittag unseren Proberaum ein."
Vier DJs, drei Städte, alles Freunde. David Muallem aus München betreibt unter anderem dort den Club "Blitz". Ansonsten reist er viel um die Welt, um aufzulegen. Im Moment aber bereitet ihm sein kleines virtuelles Haus große Freude.
Eine Insel namens "Happy Place"
Denny Garcia, Socialmedia-Managerin, veranstaltet Techno-Partys in Würzburg und legt ebenfalls auf. Aktuell steckt sie ihre Kreativität in einen Proberaum, der auf ihrer Insel namens "Happy Place" zu finden ist.
"Du strandest auf einer Insel, da ist nichts weiter als ein Racoon..."
Andreas Baumecker, besser bekannt als nd Baumecker, sitzt in seiner Berliner Wohnung zusammen mit seinem Mann Jenus auf der Couch.
Jenus Baumecker: "Ich bin hier grad im Museum..."
Im Hintergrund, im echten Wohnzimmer, steht ein großes Plattenregal, Baumeckers arbeiten sonst als DJ. Die Tage verbringen sie jetzt in einer Welt, die aussieht, als wäre sie aus bunter Knete entstanden.
Andreas Baumecker: "Du musst diese Insel quasi florieren lassen. Du musst auf der Insel Zelte aufstellen und Häuser bauen, damit da Leute einziehen."
"Animal Crossing" ist eine Videospielreihe von Nintendo, der neuste Teil "New Horizons" ist für die hauseigene Konsole "Nintento Switch" konzipiert. Es ist ein Simulationsspiel in Echtzeit. Jeder Spieler bastelt sich einen Avatar mit großen Comicaugen. Der kann aussehen wie man selbst, muss er aber nicht. Wichtig ist nur, dass diese Figur gut wirtschaftet, denn die Inseln gehören dem Tanuki, japanisch für Marderhund, Tom Nook. Der gewiefte Kapitalist lockt mit dem "Reif für die Insel"-Paket. Angekommen auf der Insel, erfahren die Aussteiger, dass sie nun aber auch für ihr Paradies arbeiten müssen.
Andreas Baumecker: "Du hast halt immer was zu tun, selbst wenn es Muschelsammeln ist. Du sammelst halt und verkaufst, du musst ja deine unheimlichen großen Schulden irgendwie abbezahlen."
Schulden abbezahlen, ständiger Wachstum, erst Zelt dann Haus, dann zwei und mehr Häuser – was sich nach dem täglichen Kapitalismusterror der ersten Welt anhört, ist für die DJs eine schöne Ablenkung von der aktuellen Situation. Denny Garcia:
"Klar, da ist viel Realitätsflucht dabei. Wenn ich mich konsequent mit den Medien auseinandersetze, dann kann ich abends nicht mehr schlafen, weil: meine ganze Familie ist in Spanien, die haben seit 20 Tagen in Madrid das Haus nicht verlassen. Ich habe meine Insel "Happy Place" genannt, weil genau das ist es: mein happy Place!"
Treffen im virtuellen Proberaum
Ihre drei Freunde trifft sie jeden Tag virtuell, denn die Inselbewohner können sich gegenseitig besuchen. Für die Musikschaffenden ist ganz klar, was sie bei den Besuchen machen wollen. Sich bei Denny im virtuellen Proberaum treffen und jammen. Ach ja, die Instrumente sind teilweise selbst gebaut oder gefunden.
Denny Garcia: "Was wir jetzt alles haben: drei E-Gitarren, eine Akustikgitarre, eine Holzblocktrommel, das Metronom, ein Tamburin, eine Okarina, die ich selbst aus Ton gegossen habe und die Blechtrommel aus einer gefundenen Dose, die man aus dem Fluss gefischt hat."
Seit 2001, seit dem Beginn der Videospielserie, inspiriert "Animal Crossing" Musikschaffende mit seinen verspielten Sounds und einfachen Melodien, neue Stücke zu produzieren. Shelby Cinca ist so jemand. Der umtriebige Musiker hat diverse Bands und Projekte, macht größtenteils Hardcore und Punk, als Catbeats kreiert er "Lofi Chill-Hop". So nennt Shelby Cinca seine Animal Crossing inspirierte Musik.
Bei Zencha ist der Sound deutlich voller – da hört man auch schon mal ein Gitarrenriff. Das ist auch die Absicht des kalifornischen Bedroomproduzenten: den spärlichen Klang der "Animal Crossing" Sounds aufblasen. Herausgekommen ist ein ganzes Remix-Album. Und auch im Spiel selbst gibt es einen virtuellen Musiker: K.K. Slider, ein Hippie-Hund mit Gitarre, der aber auch DJ ist.
Doch zurück zu den echten DJs. Sie haben inzwischen zusammen geprobt. Doch die Musik, die auf der Insel gespielt wird, bleibt auf der Insel.
Jenus Baumecker: "Das ist einfach ne schöne Alternative zum Abschalten."
Ideenaustausch für Post-Corona-Zeiten
Jenus Baumecker guckt einen Moment von seiner Konsole hoch. Dass heißt aber nicht, dass sich hier keiner mehr Gedanken um die stillgelegte, echte Clubszene macht. Für David Muallem aus München ist das Spiel wie eine Art soziales Netzwerk, in dem nicht nur die vier DJ-Freunde Ideen austauschen, wie es zu Post-Corona-Zeiten weitergehen kann.
Denny Garcia: "Manchmal ist so ein Computerspiel ja auch eine Anregung zum Austausch, wie es mit dieser ganzen Kultur weitergeht. Was da passiert, geht weit über das Spiel hinaus."