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Computerspiel "Etherborn"
Sanfte Rätsel-Tortur

Leicht und zart kommt "Etherborn" daher. Doch der Schein trügt: Rein äußerlich wirkt das Game wie ein mediatives Zen-Spiel. Aber unter seiner pastellfarbenen Oberfläche wartet ein knallhartes Rätselspiel.

Von Christian Schiffer |
Auf dem Bild ist ein Screenshot aus dem Computerspiel "Etherborn". Eine Figur springt durch eine Welt, in der die Gesetze der Schwerkraft nicht mehr greifen.
Ein Screenshot aus dem Computerspiel "Etherborn". (Altered Matter)
Das erste was auffällt ist die Sanftheit, die Etherborn ausstrahlt: Die sanften Piano-Klänge, die sanften Pastellfarben, die sanften Bewegungen, die die zerbrechliche Spielfigur macht. Etherborn wirkt so sanft wie ein Papiertaschentuch in einer Werbung für Papiertaschentücher.
So sanft wie eine Nackenmassage an einem lieblichen Sommertag. So sanft wie die Stimme des Fernseh-Malers Bob Ross. Mit der halbtransparenten Spielfigur laufen wir anmutig über wuchtige Äste, über filigrane Marmor-Bögen und über grüne Wiesn.
Das Spiel mit der Schwerkraft
Der Clou: Die Schwerkraft wirkt nicht von oben nach unten, sondern immer senkrecht zu der Oberfläche, auf der man steht.
Im Klartext: Man kann kopfüber gehen, man kann im 90 Grad Winkel nach oben oder unten gehen und klebt trotzdem am Boden. Wechselt man aber die Ebene, dann ändert sich auch die Schwerkraft, im schlimmsten Fall fällt man dann ins Nichts.
Eine missglückte Nordig-Walking-Tour
Das klingt auf den ersten Blick verwirrend und das bleibt auch auf den zweiten Blick verwirrend. Das Spiel mit der Schwerkraft führt dazu, dass man erst einmal tausend Tode stirbt, bis man das Prinzip halbwegs verstanden hat. Und auch danach bleibt es weiter knifflig.
Die ganze Sanftheit des Spiels, die Musik, die Pastellfarben, die sanften Bewegungen der Spielfigur, das ist alles so lange phantastisch, bis man nicht mehr weiterkommt. Dann wird man ungeduldig, dann frustriert - und zum Schluss aggressiv. Die ach so sanfte Musik scheint plötzlich zu verhöhnen, die Pastellfarben wirken unangenehm grell, und warum kann sich die Spielfigur nicht einfach mal irgendwo rustikal festhalten oder einen richtigen Satz machen, anstatt da so ballerina-mäßig durch die Gegend zu tänzeln?
"Etherborn" wirkt dann eher wie eine missglückte Nordig-Walking-Tour: Begann total entspannend, jetzt aber hat man sich verlaufen und will nur noch nach Hause, egal, wie wunderschön bezaubernd und verwunschen der Wald aussieht, in dem man nun steckt. Aber dann - findet man doch eine Lösung!
Ein kompliziertes Rätselspiel
Ein paar sanfte Worte streicheln das Gemüt und es kann weitergehen bis zum nächsten Graviationsrätsel, an dem man sich die Zähne ausbeißt.
Das unterscheidet "Etherborn" von Spielen wie "Journey", "Flower" oder "Flow", von anderen Spielen also, die sich irgendwie "sanft" anfühlen. Bei "Etherborn" ist die Präsentation sanft, die Verpackung. Unter der seidenschalartigen Haube pulsiert aber ein knallhartes Rätselspiel.
Ein kleines Spielestudio aus Barcelona hat "Etherbor" entwickelt, genau wie "Gris", das letztes Jahr die Computerspielwelt verzauberte. Auch "Gris" war leicht, anmutig, elegant und sehr sehr sanft. Auch Gris enthielt Rätsel, aber war nicht ganz so frustrierend.
Das spricht nicht unbedingt gegen "Etherborn", die Rätsel sind raffiniert, manchmal vielleicht zu raffiniert, aber was für den einen eine herausfordere Kopfnuss ist, ist für den anderen Anfänger-Sudoku. Und so muss jeder für sich selbst herausfinden, ob "Etherborn" eher Zen-Spiel oder Rätsel-Tortour ist.