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Computerspiel "The Longing"
Entschleunigung spielen

Computerspiele bieten kurzweilige Unterhaltung und verlangen schnelle Reaktionen. Nicht so "The Longing", bei dem die Spielenden hauptsächlich warten. Insgesamt 400 Tage! "Eine Auseinandersetzung mit Leistung und Zeitlichkeit", sagte der Kulturwissenschaftler Christian Huberts im Dlf.

Christian Huberts im Gespräch mit Susanne Luerweg |
Auf dem Bild ist ein koboldartiges Wesen zu sehen, das in einem Wohnzimmer in einer Höhle sitzt
Ein Screenshot aus dem Computerspiel "The Longing" (Studio Seufz)
Susanne Luerweg: Es gibt Computerspiele, die kann man ganz entspannt während einer Fahrt mit der U-Bahn durchspielen, eine kurze Runde Tetris zum Beispiel. Ein episches Rollenspiel kann hingegen auch schon einmal mehrere hundert Stunden Lebenszeit beanspruchen. Morgen erscheint allerdings ein Spiel, das dauert nicht nur viele Stunden, sondern gleich 400 Tage. "The Longing", heißt es, und es ist dem Genre der sogenannten Idle-Games zuzurechnen. "Idle" heißt frei übersetzt soviel wie Müßiggang, und man muss schon sehr viel Muße haben oder Leerlauf und vermutlich jede Menge Geduld, um "The Longing" zu spielen. Warum Menschen freiwillig in einem Computerspiel warten und was "The Longing" sonst noch zu bieten hat, darüber spreche ich mit dem Kulturwissenschaftler Christian Huberts. Herr Huberts, 400 Tage das ist wirklich mehr als ein Jahr. Was genau machen die Spielenden denn in der ganzen Zeit?
Christian Huberts: In "The Longing" übernehmen die Spielenden die Rolle eines sogenannten Schattens. Das ist eine koboldartig aussehende Gestalt, die den Auftrag hat, einen schlafenden König 400 Tage lang zu bewachen. Und im Grunde genommen müssen die Spielenden auch einfach nur diese 400 Tage irgendwie absitzen. Es ist sogar möglich in dem Spiel, weil die Uhr immer weiter tickt, selbst wenn es gar nicht an ist, einfach mal ein Jahr Pause zu machen und dann zum Spiel zurückzukehren. Und dann hat man es eigentlich durchgespielt, einfach nur durchs Warten.
Luerweg: Ach, das heißt selbst wenn man eingeschlafen ist, läuft die Uhr weiter. Auch schön. Was kann man denn aktiv machen?
Huberts: Der Schatten hat so einen Unterschlupf, in dem kann man zum Beispiel gemeinfreie Bücher lesen, da gibt es einige Dutzend wie "Moby Dick" oder "Also sprach Zarathustra". Man kann Bilder malen und an die Wände hängen, sogar ein bisschen musizieren. Vor allem geht es dann aber darum, aktiv die Höhle des Spiels zu erkunden, in der der König schläft. Das ist aber auch mit viel Wartezeit verbunden. Die Spielfigur läuft sehr langsam. Ich hab mir jetzt beim Ausprobieren immer mal wieder eine Kaffee gemacht, bis der Schatten irgendwo ankommt. Und teilweise kann es sogar richtig lange dauern. Ich musste mehrere Stunden darauf warten, dass sich eine Steintür öffnet und an einer Stelle hat sich so ein Loch im Boden - Tropfen für Tropfen - mit Wasser gefüllt, das hat sogar einen ganzen Monat gedauert, in dem ich quasi an dieser Stelle nicht weitergekommen bin.
Müßiggang als Möglichkeit
Luerweg: Das heißt, man kann auch viele lustige Dinge nebenher erledigen, während man "The Longing" spielt. Aber warum spielt man das überhaupt?
Huberts: Nun, in den letzten Jahren sind Computerspiele immer umfangreicher und komplexer geworden, vollgestopft mit Aufgaben. Das erwarten die Spielenden auch so ein bisschen für ihr Geld. Nur dieser Trend hat mittlerweile einen Grad erreicht, wo zum Beispiel der US-Künstler Aaron Rauch in Anlehnung an die sogenannte "Gamification" von Arbeit eigentlich schon von der "Workification" des Computerspiels redet. Hier noch Quests erledigen, da noch zwölf Sterne sammeln...
Luerweg: Da muss ich mal ganz kurz reingrätschen, damit ich das verstehe. Also, das Spielen wird im Grunde genommen zur Arbeit, und man muss da permanent Aufgaben lösen?
Huberts: Genau, es ist nicht mehr dieses entspannende Spiel, sondern man wird die ganze Zeit gefordert, Aufgaben zu erledigen. Und gerade für Spielende, die das jetzt neben ihrem beruflichen und privaten Alltag noch irgendwie erledigen wollen, wird es natürlich immer uninteressanter, diese permanente Forderung von Leistungen, Aufmerksamkeit und genau da in diese Zielgruppe, da sind dann plötzlich Idle Games interessant, also dieses Genre, wo es mehr um Atmosphäre oder das Erzählen geht. Und Müßiggang eine Möglichkeit ist, das Spiel zu spielen und man sich in so einem Spiel auch mal zurücklehnen und einfach nur untätig dem beiwohnen kann.
Luerweg: Kann man sagen, "The Longing" ist am Ende auch nur ganz schlichter Zeitvertreib?
Eine Auseinandersetzung mit Zeitlichkeit
Huberts: Nein, also "The Longing" hebt sich da glücklicherweise sehr stark von seinen oder von vielen Genre-Kollegen ab. Das Spiel wurde von einem kleinen Entwicklerstudio namens "Seufz" aus Stuttgart entwickelt, die da wirklich mehr so eine Art künstlerisches Experiment angestrebt haben. Es wurde dafür auch schon nominiert, zum Beispiel für den Innovationspreis des diesjährigen Independent Games Festival in San Francisco. Und was das Spiel vor allen Dingen nicht macht, ist eben diese Wartezeit künstlich zu belohnen. Es gibt kein virtuelles Geld oder andere Gegenstände, die man dort in Mengen sammeln kann. Die wenigen Ressourcen, die man überhaupt sammeln kann, sind dann eher so etwas wie zum Beispiel Enttäuschungen. Jedes Mal, wenn man nach einem minutenlangen Marsch in einer Sackgasse steckt, kriegt man eine Enttäuschung. Insgesamt ist "The Longing" und seine Entwicklerinnen und Entwickle da sehr kompromisslos. Selbst der Trailer des Spiels, der zuletzt veröffentlicht wurde, dauert vier Stunden, ist wahrscheinlich der längste Trailer der Computerspielgeschichte. Das heißt, man braucht sehr viel Geduld für das Spiel, aber man wird eben auch eingeladen, sich auseinanderzusetzen mit dieser Zeitlichkeit, mit der titelgebenden Sehnsucht nach einem Ende des Wartens
Luerweg: Wer genug Zeit und Lust hat zu warten, für den ist "The Longing" sicher das Richtige. Der Kulturwissenschaftler Christian Huberts über das Spiel "The Longing", und das Spiel ist ab morgen erhältlich für PCs. Herr Huberts, vielen Dank für das Gespräch.
Huberts: Sehr gern.