Archiv

Computerspiele
"Die Politik ist kein Nebeneffekt mehr, sondern Absicht"

Entführte Prinzessinnen waren gestern: Immer häufiger widmen sich Computerspiele politischen Themen. Sie behandeln Flucht oder haben homosexuelle Hauptfiguren. Diese Auseinandersetzung mit Politik verharrt jedoch oft an der Oberfläche, sagte der Kulturwissenschaftler Christian Huberts im Dlf.

Christian Huberts im Gespräch mit Ulrich Biermann |
    Landschaftszene aus dem Computerspiel "Far Cry 5" mit Auto und einer Farm
    Szene aus dem Computerspiel "Far Cry 5" (Ubisoft)
    Ulrich Biermann: Jump and Run, das war gestern. Vorbei die Zeiten, in denen man mit Supermario nur die entführte Prinzessin Peach retten musste. Moderne Computerspiel-Helden- und Heldinnen, muss man sagen, die wagen sich aktuell in Krisengebiete, kontrollieren Grenzübergänge oder bekämpfen den Nationalsozialismus und die Figuren werden dabei auch immer diverser. Nicht nur die erwähnten starken Frauen, auch homosexuelle Menschen oder Geflüchtete sind mittlerweile Protagonisten. Werden Computerspiele also immer politischer? Darüber will ich gern mit dem Kulturwissenschaftler Christian Huberts sprechen. Guten Tag, Herr Huberts.
    Christian Huberts: Guten Tag.
    Ulrich Biermann: Politik und Computerspiel, kein wirklich neues Phänomen oder?
    Christian Huberts: Das kann man so sagen, ja. Auch wenn Super Mario die entführte Prinzessin Peach rettet, steckt darin ja bereits ein bestimmtes Gesellschaftsbild. Die Frau bleibt passiv, der Mann ist aktiv und löst das Problem. Wie andere Kulturformen auch, spiegeln Computerspiele die gesellschaftlichen Werte und politische Ideen ihrer Entstehungszeit wieder. In den vergangenen Jahren ist aber eine neue Qualität hinzugekommen: Spielentwickler*innen treffen zunehmend gezielt politische Aussagen und reflektieren stereotype Darstellungen. Die Politik ist kein Nebeneffekt mehr, sondern Absicht.
    Ulrich Biermann: Also, die politische Agenda gesellt sich dem Spielspaß hinzu. Das könnte Spieler auch abschrecken.
    Christian Huberts: Ja, das ist tatsächlich nicht so einfach. Gerade bei Entwicklungen großer Publisher kann man den Eindruck gewinnen, dass die Auseinandersetzung nur soweit reicht, wie sie den Gewinnerwartungen nicht im Weg steht. Zuletzt deutete der Ego-Shooter "Far Cry 5" von Ubisoft an, sich mit rechtsgerichteten Milizen und religiösen Kulten in den USA zu beschäftigen. Das Endprodukt vermeidet aber feinsäuberlich, Partei zu ergreifen. Niemand soll vom Kauf abgeschreckt werden.
    "Das Spiel bezieht klar Stellung gegen autoritäre Regime"
    Ulrich Biermann: Aber es gibt doch auch Gegenbeispiele. Wir haben gerade in Corso über antifaschistische Spiele, die neu entstehen und auf dem Markt sind, berichtet.
    Christian Huberts: Ja, solche Produktionen findet man vor allem bei den kleineren Studios, wo das finanzielle Risiko nicht so groß ist. Ein Spiel, das immer wieder als Paradebeispiel genannt wird und sich außerdem millionenfach verkauft hat, ist "Papers, Please". Hier übernehmen die Spielenden die Rolle eines Grenzbeamten und müssen bei der täglichen Arbeit immer wieder zwischen Regeltreue und Menschlichkeit abwägen. Das Spiel bietet keine einfachen Antworten, aber es bezieht klar Stellung gegen autoritäre Regime. Ähnlich erfolgreich ist auch "This War of Mine". Hier stehen Zivilisten im Mittelpunkt, die zwischen den Fronten eines Bürgerkriegs um ihr Überlegen kämpfen. Eine sehr eindringliche Spielerfahrung, die aber auch ein wiederkehrendes Problem aufzeigt: das Strategiespiel versteht sich als Antikriegsspiel, das Regelsystem ist aber auf Fairness und Planbarkeit ausgerichtet. Trifft man die richtigen Entscheidungen und optimiert Ressourcen, ist der Krieg gar nicht mehr so schlimm.
    Ulrich Biermann: Das ist ja nicht gerade das, was man spielen möchte. Ich meine, da sind die Spielregeln auch schon wieder orientiert an der realen politischen Dimension.
    Christian Huberts: Genau. Der Medienwissenschaftler Ian Bogost redet etwa von "prozeduraler Rhetorik". So wie uns ein Werbeplakat mit visueller Rhetorik zu einem Kauf überreden möchte, drücken sich auch in den Regelprozessen von Computerspielen bestimmte Zusammenhänge aus, die rhetorisch überzeugend sein können. Ein Spiel kann an der Oberfläche sehr progressiv sein – zum Beispiel durch die Repräsentation marginalisierter Gruppen – und mit seiner Spielmechanik dennoch ein eher konservatives Weltbild vermitteln.
    Ulrich Biermann: Wie passiert das dann, wie geschieht das?
    Christian Huberts: Nun, kulturhistorisch betrachtet sind Computerspiele ein Nebenprodukt der Entwicklung wissenschaftlicher und militärischer Mess- und Kontrollinstrumente. Dieses Erbe merkt man ihren Spielstrukturen bis heute an. In der Mehrzahl geht darum, Kontrolle zu optimieren und Leistung auszumessen. Konkret: Lara Croft mag mittlerweile menschlichere Charakterzüge haben, aber ihre Abenteuer sind nach wie vor eine Abfolge von zu optimierenden Leistungsabfragen. Der Rhetorikforscher Christopher A. Paul unterstellt Computerspielen daher auch einen Hang zu meritokratischer Ideologie. Wer mitspielen möchte, muss es sich verdienen. Und auch viele Spielende sind in dieser Weise ideologisiert und lehnen andere Spielerfahrungen kategorisch ab.
    Huberts: Computerspiel als explizite Propaganda bisher selten
    Ulrich Biermann: Ist dann das Computerspiel quasi Propaganda?
    Christian Huberts: Ja, noch passiert das so ganz explizit selten. Seit 2002 versucht etwa das US-Militär mit dem kostenlosen Ego-Shooter America’s Army aktiv neue Rekruten anzuwerben. Und die islamistische Hisbollah hat dasselbe 2003 mit dem Ego-Shooter Special Force probiert. Meist sind es jedoch auch hier kleinere Entwicklerstudios und Privatpersonen, die propagandistische Spiele und Spielmodifikationen entwickeln. Ihr Einfluss ist bislang aber minimal. Entscheidend wird dafür in Zukunft aber auch sein, wie mit der angesprochenen, unbewussten Tradierung von Ideologien auf spielmechanischer Ebenen weiter umgegangen wird. Von vielen Spielenden wird der starke Fokus auf meritokratische Normen schlicht als Normalzustand angesehen und erst die Abweichung davon als politische Aussage, wenn nicht sogar als progressive Propaganda. Computerspiele werden sich hier also noch eine Weile mit sich selbst auseinandersetzen müssen, bevor sie politisch im vollen Umfang diskursfähig sind.
    Ulrich Biermann: Politik im Computerspiel. Der Kulturwissenschaftler Christian Huberts. Vielen Dank!
    Christian Huberts: Sehr gern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.