Mit diesem neuen Jugendschutzgesetz wollen wir die Computerspiele in gleicher Weise regeln wie das im Bereich der Videomaßnahmen und des Films geregelt ist. Es wird also Alterskennzeichnungen geben, die dazu beitragen, dass entsprechende Computerspiele, die nicht dem Alter eines Kindes, eines Jugendlichen entsprechen, dann auch nicht vertrieben werden dürfen. Wenn es ab 16 vorgesehen ist, dann darf es eben nicht an Kinder ab acht Jahren vergeben werden. Und wenn es dann doch verliehen oder verkauft wird, dann würden entsprechende Bußgeld-Ordnungswidrigkeitsmaßnahmen, Strafmaßnahmen greifen.
Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen von SPD und Grünen soll bereits in der kommenden Woche in den Bundestag eingebracht und dort in erster Lesung behandelt werden, so dass die neuen Vorschriften bereits in gut zwei Monaten gelten könnten. Ob sie Wirkung zeigen, bleibt abzuwarten. Und die Wissenschaft streitet sich unterdessen weiter, ob Computerspiele tatsächlich Aggressionsdrogen für Jugendliche sind. Diese Frage untersucht Brigitte Baetz:
Die untere Mitte des Bildschirms zeigt beim Spiel "Doom" eine Hand, die eine Pistole hält. Sie steht im Zentrum der Aktion. Immer, wenn ein Mensch oder ein Monster auftaucht, muss sofort geschossen werden. Die anderen oder Du, nur wer schneller ist, hat eine Chance aufs Überleben. Das Spiel steht auf dem Index. In der Indizierungsentscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften heißt es über das Computerspiel "Doom": Die sofortige Betätigung der eigenen Waffe ist unumgänglich, da sonst umgekehrt der Erschießungstod bzw. eine Zerfleischung droht. Die Tötungsszenarien werden sehr realistisch und überaus blutig inszeniert: das jeweilige Opfer verwandelt sich in blutig auseinanderstrebende Fleischfetzen. Auf der Tonspur werden Geräusche des Einwirkens der Waffe sowie Todesschreie simuliert.
Spiele wie Doom heißen im Fachjargon Ego-Shooter-Spiele und sind genauso gewaltverherrlichend wie beliebt. Und das, gerade weil viele von ihnen, wie eben auch Doom, auf dem Index stehen. Sie dürfen Jugendlichen eigentlich gar nicht zugänglich sein. Seitdem bekannt wurde, dass der Attentäter von Erfurt mindestens sechs indizierte Spiele auf seinem Computer gespeichert hatte, hat die Debatte über die virtuelle Gewalt auf den PC-Schirmen eine neue Dimension bekommen.
In deutschen Haushalten gibt es mehr als 13 Millionen Videospielkonsolen und tragbare Spielgeräte von Herstellern wie Nintendo, Playstation und Sega. Hinzu kommen über 16 Millionen Heimcomputer. Das Bundesfamilienministerium hat ermittelt, dass mehr als 54 Prozent aller Haushalte mit Kindern zwischen drei und 17 Jahren, einen PC besitzen. Dieser wird auch - oder häufig sogar ausschließlich - von den Cids genutzt. Und zwar vor allem zum Spielen.
Die meisten Computerspiele sind eher harmlosen Inhalts. Dazu zählen Ratespiele, die Quizsendungen im Fernsehen nachahmen, wie "You don´t know Jack", oder sogenannte "Adventures", in denen eine comic-ähnliche Figur unterschiedliche Aufgaben meistern muss, mit deren Hilfe eine Abenteuergeschichte erzählt wird. Auch Strategiespiele zählen zu den Computerspielen, die Pädagogen für erzieherisch wertvoll halten. Hier sollen zum Beispiel die Spieler fremde Kontinente besiedeln oder in der Rolle von Firmenchefs den meisten Gewinn erwirtschaften.
In Actionspielen werden Reaktionsvermögen, Schnelligkeit und Konzentration trainiert. Soweit das Positive. Allerdings kann sich Action genauso auf das geschickte Fahren eines Autos beziehen als auch darauf, möglichst viele Menschen in möglichst kurzer Zeit zu töten. Mit 23 Prozent führen Kampfspiele die Liste der populärsten Spiele an.
Blut spritzt, wenn die Kugeln ihr Ziel treffen, in Zeitlupe stürzt der Gegner zu Boden, krümmt sich, stöhnt. Spiele wie Max Payne beziehen ihren Reiz aus dem Töten und sind damit ein Fall für die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in Bonn. Diese Behörde wird immer auf Antrag tätig, zum Beispiel dann, wenn Jugendämter ein Spiel, einen Film oder ein Buch als potentiell jugendgefährdend einstufen, also erst, wenn es schon auf dem Markt ist. Für Elke Monssen-Engberding, die Vorsitzende der Bundesprüfstelle, dennoch ein sinnvolles Verfahren:
Die prophylaktische Wirkung ist da auf keinen Fall zu unterschätzen, und man sieht ja auch an dem Aufwand, den letztendlich die Hersteller betreiben, um unter Umständen Dinge umzuprogrammieren, dass sie also durchaus die wirtschaftlichen Einbussen nach der Indizierung fürchten.
Die Tatsache, dass ein Medium auf dem Index steht, heißt allerdings nicht, dass es dann nicht mehr verkauft werden kann. Die Unternehmen dürfen keine Werbung mehr für das Produkt machen, es nicht im Versandhandel verkaufen oder Kindern und Jugendlichen zugänglich machen. Auf bis zu 2,5 Millionen Euro schätzt Matthis Wehner, Marketingdirektor der Firma take2interactive, die Umsatzeinbussen bei einem indizierten Spiel.
Speziell international ist es bereits bekannt, dass es diese Behörde in Deutschland gibt, dass Spiele in Deutschland indiziert werden und man versucht halt im Vorfeld, mit den Entwicklern in Kontakt zu treten, um für eine deutsche Version bestimmte kritische Punkte, hauptsächlich in der Gewaltdarstellung zu entschärfen, wie zum Beispiel keine Darstellung von Blut in deutschen Versionen.
Mehr als 900 Spiele werden Jahr um Jahr von der Computerindustrie auf den Markt gebracht. Sie alle werden vorab einer Prüfung durch die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle, kurz USK, unterzogen. Trotzdem werden noch knapp 30 weitere durch die Bonner Bundesprüfstelle indiziert. Vor allem die immer realistischer werdenden Grafiken machen den Jugendschützern Sorge, da durch sie die Virtualität der Gewaltszenen immer mehr abnimmt. Doch wie so häufig in der Diskussion um Gewalt in den Medien: ob Aggressionen im Spiel abgebaut oder erst aufgebaut werden, war lange Zeit in der Öffentlichkeit so umstritten, dass auch die Vorsitzende der Bundesprüfstelle Elke Monssen-Engberding lieber vorsichtig argumentiert.
Die bisherigen Forschungsergebnisse zur Wirkungsforschung bei Computerspielen ist nicht sehr groß, letztendlich greift man auch da zurück auf die Wirkungsforschung im Hinblick auf Videofilme, die natürlich durchaus Anhaltspunkte dahingehend bietet, dass Kinder und Jugendlich in Konfliktsituationen geneigt sein können, ebenfalls aggressiv zu handeln.
Vor der Bluttat von Erfurt galt in der Öffentlichkeit als Außenseiter, wer eine Beziehung zwischen Gewaltkonsum und Aggressivität herstellte. Zumindest musste immer ein Nebensatz folgen, dass es keine gesicherten Erkenntnisse durch die Wissenschaft gebe. Das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend schrieb noch Anfang letzten Jahres auf die Frage: Wie wirken Computerspiele auf die Benutzer?:
Generelle Aussagen hierzu sind nicht möglich und vielleicht auch gar nicht sinnvoll. Denn das komplexe Wechselwirkungsverhältnis zwischen dem Nutzer, seiner Motivation und Bedürfnislage einerseits und dem Computerspiel andererseits ist einer ständigen Veränderung unterworfen. So können Computerspielen auch nicht generell negative Wirkungen unterstellt werden, wie dies in Teilen der Öffentlichkeit geschieht.
Dabei ist die Wissenschaft der Öffentlichkeit schon lange voraus. Entgegen der landläufigen Annahme sehen die meisten Jugendforscher und Psychologen einen klaren Zusammenhang zwischen gewalttätigen Computerspielen und Aggressionen. Der renommierte Medienforscher L. Rowell Huesmann von der Universität von Michigan stellt fest, dass Kinder durch Nachahmung lernen. Sie imitieren das Verhalten, von dem sie wissen, dass es erfolgreich ist. Wird in Kinderspielen Gewalt ausgeübt und belohnt, so besteht die Gefahr, dass die Spieler gegenüber der Gewalt toleranter werden.
Der Psychologe Ralf Streibl hat sich in einem Forschungsprojekt am Fachbereich Informatik der Uni Bremen mit kriegerischen Computerspielen auseinandergesetzt. Sein Fazit: Kinder werden in einem bestimmten Umfang auf Gewaltanwendung konditioniert.
Das Wesentliche an Aggressivität im kindlichen Spiel ist eigentlich, die Freiheit, zum Beispiel jederzeit die Regeln ändern zu können. Ich hab die Gelegenheit, mich jederzeit mit dem Gegner auch zu versöhnen, ich kann aus dem Feld gehen, ich kann ausweichen und dieser ganze Bereich ist im Computerspiel natürlich sehr stark eingeschränkt.
Dass sich mit Computerspielen Menschen aufs Töten trainieren lassen können, beweist auch die Ausbildung bei den amerikanischen Streitkräften. Eine Untersuchung über das Verhalten im Zweiten Weltkrieg hatte ergeben, dass lediglich 15 bis 20 Prozent der Soldaten es über sich gebracht hatten, auf einen für sie sichtbaren Gegner zu schießen. Mit den Mitteln der Desensibilisierung, Konditionierung und dem Aufbauen von Rollenmodellen wurde dieses "Problem" der Militärs in der Folgezeit behoben. Heute hat - so die Untersuchung - nur noch einer von zehn Soldaten Hemmungen, auf einen sichtbaren Feind zu schießen. Eine der beliebtesten Trainingsmethoden der US Marines zum Beispiel ist das Computerspiel Doom.
Desensibilisierung gegenüber menschlichem Leid, Konditionierung auf schnelles und gezieltes Schiessen, der Aufbau eines positiv besetzten Rollenmodells vom "guten" Killer, der das Böse vernichtet - all das können Folgen von häufigem Umgang mit sogenannten Ballerspielen sein. Wie der amerikanische Psychologe und ehemalige Lieutenant Colonel der US Army Dave A. Grossman festgestellt hat, sei es auffällig, dass bei den Schiessereien an amerikanischen Schulen das erste Opfer häufig die Ex-Freundin des Täters ist. Warum aber töten die Jugendlichen weiter, obwohl ihr eigentliches Ziel schon getroffen ist? Weil sie darauf konditioniert wurden, vermutet Grossman.
Der Erfurter Schüler, der sechzehn Menschen mit in den Tod nahm, die beiden Täter von Littleton in den USA, die 1999 in ihrer High School ein Blutbad anrichteten und sich danach selbst erschossen, hatten unter dem Eindruck von Ego-Shooter-Spielen ihre Tat geplant, vorbereitet und durchgeführt. Doch was war ausschlaggebend: hat das Spiel die Jugendlichen ermutigt oder wären sie auch ohne Spiele wie Doom oder Counterstrike zu Tätern geworden?
Die Wissenschaft weiß, dass zur Durchführung einer Mordtat mehr gehört als die Erfahrung aus einem Computerspiel, so brutal es auch sein mag. Das familiäre Umfeld, Freunde, das Eingebundensein in soziale Strukturen - all dies verhindert Vereinzelung und das Abtauchen in eine Scheinwelt aus Gut und Böse. Wäre dem nicht so, dann wären hundert Tausende von deutschen Computerspielern mögliche Killer.
Psychologen von der Ruhr-Universität Bochum haben jedoch festgestellt, dass auch bei Kindern mit einer guten Bindung an ihre Eltern die Fähigkeit zum Mitleid nachlässt, wenn sie Gewaltspiele gespielt haben. Noch bedenklicher ist, dass die meisten Eltern offenbar keine Ahnung haben, mit welcher Art von Spielen sich ihre Kinder die Zeit vertreiben. 24 Prozent der Mütter und 17 Prozent der Väter, die im Rahmen des Bochumer Forschungsprojekt befragt wurden, kannten nicht ein einziges der Computerspiele ihrer Kinder. 87 Prozent der Mütter und 71 Prozent der Väter spielten nie oder sehr selten mit ihrem Nachwuchs am Computer.
Gerade bei Jungen wäre aber eine Kontrolle durch die Eltern notwendig: In ihrer Sozialisation zum Erwachsenen setzen die sich wesentlich stärker als Mädchen mit Gewalt auseinandersetzen. Ego-Shooter-Spiele werden vor allem von männlichen Jugendlichen gespielt. Technische Feinheiten, die Auflösung der Grafiken etwa oder die Ladegeschwindigkeit sind für die Wertschätzung eines Spieles sehr wichtig. Da ist es egal, ob indiziert oder nicht. Über Freunde oder das Internet sind alle Spiele über kurz oder lang zugänglich. Durch den Spaß an fortschrittlicher Technik findet eine Ästhetisierung der Gewalt statt. Die Darstellung blutrünstiger Szenen wird nicht eins-zu-eins auf die Wirklichkeit übertragen, weiß der Psychologe Ralf Streibl:
Die meisten Spieler, die solche Spiele spielen, sagen: man nimmt das während des Spiels gar nicht mehr wahr, sondern das sind Seitenreize, die gehören zum Spiel auch dazu, das macht die Spiele für die Spieler auch oftmals attraktiv. Also Stichwort: Supergrafik und geiler Sound, usw. Das hört man ja aller Orten, wenn über solche Spiele geredet wird.
Wer sich gerne mit gewalttätigen Computerspielen die Zeit vertreibt, sieht sich nach den Ereignissen von Erfurt an den Pranger gestellt. Eines der beliebtesten, weil realitätsnahesten Spiele, die auf dem Markt sind, heißt "Counterstrike". Es soll nun auf den Index gesetzt werden. Eine Forderung, die auch der Medienpsychologe und Direktor des Europäischen Medieninstituts, Jo Groebel, unterstützt:
Counterstrike zeichnet sich dadurch aus, dass es eben sehr nah an einer sehr realen Simulation der Wirklichkeit ist und ist damit was anderes als die üblichen Ablenkungsspiele, die es im Internet, die es auf Videospielen, im Computerbereich auch gibt. Es geht schon sehr nah an das Trainieren des Tötens anderer Menschen heran und ist damit besonders problematisch. Ganz problematisch ist die Tatsache, dass Gewalt als hip, in und Kult verkauft wird.
Die Fans von "Counterstrike" sehen das allerdings ganz anders. Nachdem das Indizierungsverfahren bekannt geworden ist, unterzeichneten mehr als 25.000 Spieler eine vom Szene-Magazin "Gamestar" initiierte Online-Petition. Tenor: "Counterstrike" sei kein primitives Ballerspiel, sondern ein sportlicher Wettkampf, bei dem es in erster Linie auf Taktik ankomme und nicht auf die Visualisierung von Gewalt. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften aufgrund diesen Protestes für ihre Verhandlung über "Counterstrike" am 16. Mai in Bonn auch Spieler zur Verhandlung eingeladen.
Werden also die Liebhaber von Gewaltspielen missverstanden? Wahrscheinlich gibt es dort wie in jeder subkulturellen Szene solche und solche. So war jedenfalls auch die Redaktion des Software-Magazins PC-Player erschrocken über die Reaktionen, die eine negative Besprechung des blutrünstigen Spieles Duke Nukem 3D bei einigen Lesern hervorrief.
Die Rezensentin hatte - Zitat- "das gnadenlose Abknallen nackter Frauen, die wehrlos gefesselt von der Decke hängen" als, wie sie schrieb: "gelinde gesagt, daneben" gefunden. Nach etlichen empörten Leserbriefen und E-Mails schrieben ihre männlichen Kollegen in einer offenen Stellungnahme:
Die brutale sadistische Darstellung in Duke Nukem 3D findet offensichtlich Freunde in der Zielgruppe. Allen Redakteuren dreht sich jedoch der Magen um, wenn unsere Monika wegen ihrer Meinung tatsächlich Drohbriefe erhält - offensichtlich ist hier bei einige Lesern tatsächlich schon die Gewalt-Sicherung durchgeschmolzen.
Immerhin scheint es nach der Bluttat von Erfurt ein Umdenken in der Internet- und Computerbranche in Deutschland zu geben. Unternehmen wie der Chiphersteller Intel, die bei sogenannten LAN-Partys als Sponsoren auftreten, haben ihren Rückzug angekündigt. LAN steht für Local Area Network. Auf LAN-Partys sind Hunderte von Computern miteinander verknüpft, um möglichst vielen Spielern Gelegenheiten zu geben, in Gewaltspielen gegeneinander antreten zu können.
Vor allem die Politik fordert nun weitgehende Verbote. Doch diese müssen wirkungslos bleiben, solange eine ausgedehnte Schwarzmarktszene existiert und sich weltweit Spiele über das Internet herunterladen lassen. Zudem ist die Darstellung von Gewalt ein Garant für finanzielle Erfolge. Sie ist ein billiges Mittel, um Spiele und Filme attraktiv zu machen. Computerspiele bilden dabei nur einen Teil der Gewalt ab, mit denen Kinder und Jugendliche tagtäglich über die Medien konfrontiert werden.
Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen von SPD und Grünen soll bereits in der kommenden Woche in den Bundestag eingebracht und dort in erster Lesung behandelt werden, so dass die neuen Vorschriften bereits in gut zwei Monaten gelten könnten. Ob sie Wirkung zeigen, bleibt abzuwarten. Und die Wissenschaft streitet sich unterdessen weiter, ob Computerspiele tatsächlich Aggressionsdrogen für Jugendliche sind. Diese Frage untersucht Brigitte Baetz:
Die untere Mitte des Bildschirms zeigt beim Spiel "Doom" eine Hand, die eine Pistole hält. Sie steht im Zentrum der Aktion. Immer, wenn ein Mensch oder ein Monster auftaucht, muss sofort geschossen werden. Die anderen oder Du, nur wer schneller ist, hat eine Chance aufs Überleben. Das Spiel steht auf dem Index. In der Indizierungsentscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften heißt es über das Computerspiel "Doom": Die sofortige Betätigung der eigenen Waffe ist unumgänglich, da sonst umgekehrt der Erschießungstod bzw. eine Zerfleischung droht. Die Tötungsszenarien werden sehr realistisch und überaus blutig inszeniert: das jeweilige Opfer verwandelt sich in blutig auseinanderstrebende Fleischfetzen. Auf der Tonspur werden Geräusche des Einwirkens der Waffe sowie Todesschreie simuliert.
Spiele wie Doom heißen im Fachjargon Ego-Shooter-Spiele und sind genauso gewaltverherrlichend wie beliebt. Und das, gerade weil viele von ihnen, wie eben auch Doom, auf dem Index stehen. Sie dürfen Jugendlichen eigentlich gar nicht zugänglich sein. Seitdem bekannt wurde, dass der Attentäter von Erfurt mindestens sechs indizierte Spiele auf seinem Computer gespeichert hatte, hat die Debatte über die virtuelle Gewalt auf den PC-Schirmen eine neue Dimension bekommen.
In deutschen Haushalten gibt es mehr als 13 Millionen Videospielkonsolen und tragbare Spielgeräte von Herstellern wie Nintendo, Playstation und Sega. Hinzu kommen über 16 Millionen Heimcomputer. Das Bundesfamilienministerium hat ermittelt, dass mehr als 54 Prozent aller Haushalte mit Kindern zwischen drei und 17 Jahren, einen PC besitzen. Dieser wird auch - oder häufig sogar ausschließlich - von den Cids genutzt. Und zwar vor allem zum Spielen.
Die meisten Computerspiele sind eher harmlosen Inhalts. Dazu zählen Ratespiele, die Quizsendungen im Fernsehen nachahmen, wie "You don´t know Jack", oder sogenannte "Adventures", in denen eine comic-ähnliche Figur unterschiedliche Aufgaben meistern muss, mit deren Hilfe eine Abenteuergeschichte erzählt wird. Auch Strategiespiele zählen zu den Computerspielen, die Pädagogen für erzieherisch wertvoll halten. Hier sollen zum Beispiel die Spieler fremde Kontinente besiedeln oder in der Rolle von Firmenchefs den meisten Gewinn erwirtschaften.
In Actionspielen werden Reaktionsvermögen, Schnelligkeit und Konzentration trainiert. Soweit das Positive. Allerdings kann sich Action genauso auf das geschickte Fahren eines Autos beziehen als auch darauf, möglichst viele Menschen in möglichst kurzer Zeit zu töten. Mit 23 Prozent führen Kampfspiele die Liste der populärsten Spiele an.
Blut spritzt, wenn die Kugeln ihr Ziel treffen, in Zeitlupe stürzt der Gegner zu Boden, krümmt sich, stöhnt. Spiele wie Max Payne beziehen ihren Reiz aus dem Töten und sind damit ein Fall für die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in Bonn. Diese Behörde wird immer auf Antrag tätig, zum Beispiel dann, wenn Jugendämter ein Spiel, einen Film oder ein Buch als potentiell jugendgefährdend einstufen, also erst, wenn es schon auf dem Markt ist. Für Elke Monssen-Engberding, die Vorsitzende der Bundesprüfstelle, dennoch ein sinnvolles Verfahren:
Die prophylaktische Wirkung ist da auf keinen Fall zu unterschätzen, und man sieht ja auch an dem Aufwand, den letztendlich die Hersteller betreiben, um unter Umständen Dinge umzuprogrammieren, dass sie also durchaus die wirtschaftlichen Einbussen nach der Indizierung fürchten.
Die Tatsache, dass ein Medium auf dem Index steht, heißt allerdings nicht, dass es dann nicht mehr verkauft werden kann. Die Unternehmen dürfen keine Werbung mehr für das Produkt machen, es nicht im Versandhandel verkaufen oder Kindern und Jugendlichen zugänglich machen. Auf bis zu 2,5 Millionen Euro schätzt Matthis Wehner, Marketingdirektor der Firma take2interactive, die Umsatzeinbussen bei einem indizierten Spiel.
Speziell international ist es bereits bekannt, dass es diese Behörde in Deutschland gibt, dass Spiele in Deutschland indiziert werden und man versucht halt im Vorfeld, mit den Entwicklern in Kontakt zu treten, um für eine deutsche Version bestimmte kritische Punkte, hauptsächlich in der Gewaltdarstellung zu entschärfen, wie zum Beispiel keine Darstellung von Blut in deutschen Versionen.
Mehr als 900 Spiele werden Jahr um Jahr von der Computerindustrie auf den Markt gebracht. Sie alle werden vorab einer Prüfung durch die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle, kurz USK, unterzogen. Trotzdem werden noch knapp 30 weitere durch die Bonner Bundesprüfstelle indiziert. Vor allem die immer realistischer werdenden Grafiken machen den Jugendschützern Sorge, da durch sie die Virtualität der Gewaltszenen immer mehr abnimmt. Doch wie so häufig in der Diskussion um Gewalt in den Medien: ob Aggressionen im Spiel abgebaut oder erst aufgebaut werden, war lange Zeit in der Öffentlichkeit so umstritten, dass auch die Vorsitzende der Bundesprüfstelle Elke Monssen-Engberding lieber vorsichtig argumentiert.
Die bisherigen Forschungsergebnisse zur Wirkungsforschung bei Computerspielen ist nicht sehr groß, letztendlich greift man auch da zurück auf die Wirkungsforschung im Hinblick auf Videofilme, die natürlich durchaus Anhaltspunkte dahingehend bietet, dass Kinder und Jugendlich in Konfliktsituationen geneigt sein können, ebenfalls aggressiv zu handeln.
Vor der Bluttat von Erfurt galt in der Öffentlichkeit als Außenseiter, wer eine Beziehung zwischen Gewaltkonsum und Aggressivität herstellte. Zumindest musste immer ein Nebensatz folgen, dass es keine gesicherten Erkenntnisse durch die Wissenschaft gebe. Das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend schrieb noch Anfang letzten Jahres auf die Frage: Wie wirken Computerspiele auf die Benutzer?:
Generelle Aussagen hierzu sind nicht möglich und vielleicht auch gar nicht sinnvoll. Denn das komplexe Wechselwirkungsverhältnis zwischen dem Nutzer, seiner Motivation und Bedürfnislage einerseits und dem Computerspiel andererseits ist einer ständigen Veränderung unterworfen. So können Computerspielen auch nicht generell negative Wirkungen unterstellt werden, wie dies in Teilen der Öffentlichkeit geschieht.
Dabei ist die Wissenschaft der Öffentlichkeit schon lange voraus. Entgegen der landläufigen Annahme sehen die meisten Jugendforscher und Psychologen einen klaren Zusammenhang zwischen gewalttätigen Computerspielen und Aggressionen. Der renommierte Medienforscher L. Rowell Huesmann von der Universität von Michigan stellt fest, dass Kinder durch Nachahmung lernen. Sie imitieren das Verhalten, von dem sie wissen, dass es erfolgreich ist. Wird in Kinderspielen Gewalt ausgeübt und belohnt, so besteht die Gefahr, dass die Spieler gegenüber der Gewalt toleranter werden.
Der Psychologe Ralf Streibl hat sich in einem Forschungsprojekt am Fachbereich Informatik der Uni Bremen mit kriegerischen Computerspielen auseinandergesetzt. Sein Fazit: Kinder werden in einem bestimmten Umfang auf Gewaltanwendung konditioniert.
Das Wesentliche an Aggressivität im kindlichen Spiel ist eigentlich, die Freiheit, zum Beispiel jederzeit die Regeln ändern zu können. Ich hab die Gelegenheit, mich jederzeit mit dem Gegner auch zu versöhnen, ich kann aus dem Feld gehen, ich kann ausweichen und dieser ganze Bereich ist im Computerspiel natürlich sehr stark eingeschränkt.
Dass sich mit Computerspielen Menschen aufs Töten trainieren lassen können, beweist auch die Ausbildung bei den amerikanischen Streitkräften. Eine Untersuchung über das Verhalten im Zweiten Weltkrieg hatte ergeben, dass lediglich 15 bis 20 Prozent der Soldaten es über sich gebracht hatten, auf einen für sie sichtbaren Gegner zu schießen. Mit den Mitteln der Desensibilisierung, Konditionierung und dem Aufbauen von Rollenmodellen wurde dieses "Problem" der Militärs in der Folgezeit behoben. Heute hat - so die Untersuchung - nur noch einer von zehn Soldaten Hemmungen, auf einen sichtbaren Feind zu schießen. Eine der beliebtesten Trainingsmethoden der US Marines zum Beispiel ist das Computerspiel Doom.
Desensibilisierung gegenüber menschlichem Leid, Konditionierung auf schnelles und gezieltes Schiessen, der Aufbau eines positiv besetzten Rollenmodells vom "guten" Killer, der das Böse vernichtet - all das können Folgen von häufigem Umgang mit sogenannten Ballerspielen sein. Wie der amerikanische Psychologe und ehemalige Lieutenant Colonel der US Army Dave A. Grossman festgestellt hat, sei es auffällig, dass bei den Schiessereien an amerikanischen Schulen das erste Opfer häufig die Ex-Freundin des Täters ist. Warum aber töten die Jugendlichen weiter, obwohl ihr eigentliches Ziel schon getroffen ist? Weil sie darauf konditioniert wurden, vermutet Grossman.
Der Erfurter Schüler, der sechzehn Menschen mit in den Tod nahm, die beiden Täter von Littleton in den USA, die 1999 in ihrer High School ein Blutbad anrichteten und sich danach selbst erschossen, hatten unter dem Eindruck von Ego-Shooter-Spielen ihre Tat geplant, vorbereitet und durchgeführt. Doch was war ausschlaggebend: hat das Spiel die Jugendlichen ermutigt oder wären sie auch ohne Spiele wie Doom oder Counterstrike zu Tätern geworden?
Die Wissenschaft weiß, dass zur Durchführung einer Mordtat mehr gehört als die Erfahrung aus einem Computerspiel, so brutal es auch sein mag. Das familiäre Umfeld, Freunde, das Eingebundensein in soziale Strukturen - all dies verhindert Vereinzelung und das Abtauchen in eine Scheinwelt aus Gut und Böse. Wäre dem nicht so, dann wären hundert Tausende von deutschen Computerspielern mögliche Killer.
Psychologen von der Ruhr-Universität Bochum haben jedoch festgestellt, dass auch bei Kindern mit einer guten Bindung an ihre Eltern die Fähigkeit zum Mitleid nachlässt, wenn sie Gewaltspiele gespielt haben. Noch bedenklicher ist, dass die meisten Eltern offenbar keine Ahnung haben, mit welcher Art von Spielen sich ihre Kinder die Zeit vertreiben. 24 Prozent der Mütter und 17 Prozent der Väter, die im Rahmen des Bochumer Forschungsprojekt befragt wurden, kannten nicht ein einziges der Computerspiele ihrer Kinder. 87 Prozent der Mütter und 71 Prozent der Väter spielten nie oder sehr selten mit ihrem Nachwuchs am Computer.
Gerade bei Jungen wäre aber eine Kontrolle durch die Eltern notwendig: In ihrer Sozialisation zum Erwachsenen setzen die sich wesentlich stärker als Mädchen mit Gewalt auseinandersetzen. Ego-Shooter-Spiele werden vor allem von männlichen Jugendlichen gespielt. Technische Feinheiten, die Auflösung der Grafiken etwa oder die Ladegeschwindigkeit sind für die Wertschätzung eines Spieles sehr wichtig. Da ist es egal, ob indiziert oder nicht. Über Freunde oder das Internet sind alle Spiele über kurz oder lang zugänglich. Durch den Spaß an fortschrittlicher Technik findet eine Ästhetisierung der Gewalt statt. Die Darstellung blutrünstiger Szenen wird nicht eins-zu-eins auf die Wirklichkeit übertragen, weiß der Psychologe Ralf Streibl:
Die meisten Spieler, die solche Spiele spielen, sagen: man nimmt das während des Spiels gar nicht mehr wahr, sondern das sind Seitenreize, die gehören zum Spiel auch dazu, das macht die Spiele für die Spieler auch oftmals attraktiv. Also Stichwort: Supergrafik und geiler Sound, usw. Das hört man ja aller Orten, wenn über solche Spiele geredet wird.
Wer sich gerne mit gewalttätigen Computerspielen die Zeit vertreibt, sieht sich nach den Ereignissen von Erfurt an den Pranger gestellt. Eines der beliebtesten, weil realitätsnahesten Spiele, die auf dem Markt sind, heißt "Counterstrike". Es soll nun auf den Index gesetzt werden. Eine Forderung, die auch der Medienpsychologe und Direktor des Europäischen Medieninstituts, Jo Groebel, unterstützt:
Counterstrike zeichnet sich dadurch aus, dass es eben sehr nah an einer sehr realen Simulation der Wirklichkeit ist und ist damit was anderes als die üblichen Ablenkungsspiele, die es im Internet, die es auf Videospielen, im Computerbereich auch gibt. Es geht schon sehr nah an das Trainieren des Tötens anderer Menschen heran und ist damit besonders problematisch. Ganz problematisch ist die Tatsache, dass Gewalt als hip, in und Kult verkauft wird.
Die Fans von "Counterstrike" sehen das allerdings ganz anders. Nachdem das Indizierungsverfahren bekannt geworden ist, unterzeichneten mehr als 25.000 Spieler eine vom Szene-Magazin "Gamestar" initiierte Online-Petition. Tenor: "Counterstrike" sei kein primitives Ballerspiel, sondern ein sportlicher Wettkampf, bei dem es in erster Linie auf Taktik ankomme und nicht auf die Visualisierung von Gewalt. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften aufgrund diesen Protestes für ihre Verhandlung über "Counterstrike" am 16. Mai in Bonn auch Spieler zur Verhandlung eingeladen.
Werden also die Liebhaber von Gewaltspielen missverstanden? Wahrscheinlich gibt es dort wie in jeder subkulturellen Szene solche und solche. So war jedenfalls auch die Redaktion des Software-Magazins PC-Player erschrocken über die Reaktionen, die eine negative Besprechung des blutrünstigen Spieles Duke Nukem 3D bei einigen Lesern hervorrief.
Die Rezensentin hatte - Zitat- "das gnadenlose Abknallen nackter Frauen, die wehrlos gefesselt von der Decke hängen" als, wie sie schrieb: "gelinde gesagt, daneben" gefunden. Nach etlichen empörten Leserbriefen und E-Mails schrieben ihre männlichen Kollegen in einer offenen Stellungnahme:
Die brutale sadistische Darstellung in Duke Nukem 3D findet offensichtlich Freunde in der Zielgruppe. Allen Redakteuren dreht sich jedoch der Magen um, wenn unsere Monika wegen ihrer Meinung tatsächlich Drohbriefe erhält - offensichtlich ist hier bei einige Lesern tatsächlich schon die Gewalt-Sicherung durchgeschmolzen.
Immerhin scheint es nach der Bluttat von Erfurt ein Umdenken in der Internet- und Computerbranche in Deutschland zu geben. Unternehmen wie der Chiphersteller Intel, die bei sogenannten LAN-Partys als Sponsoren auftreten, haben ihren Rückzug angekündigt. LAN steht für Local Area Network. Auf LAN-Partys sind Hunderte von Computern miteinander verknüpft, um möglichst vielen Spielern Gelegenheiten zu geben, in Gewaltspielen gegeneinander antreten zu können.
Vor allem die Politik fordert nun weitgehende Verbote. Doch diese müssen wirkungslos bleiben, solange eine ausgedehnte Schwarzmarktszene existiert und sich weltweit Spiele über das Internet herunterladen lassen. Zudem ist die Darstellung von Gewalt ein Garant für finanzielle Erfolge. Sie ist ein billiges Mittel, um Spiele und Filme attraktiv zu machen. Computerspiele bilden dabei nur einen Teil der Gewalt ab, mit denen Kinder und Jugendliche tagtäglich über die Medien konfrontiert werden.