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Computerspiele
Faszination Endzeit

Endzeitszenarios sind seit einigen Jahren ein immer beliebteres Setting für Filme und Bücher. Apokalyptische Welten erfreuen sich aber auch in Computerspielen einer großen Popularität. Nicht nur unter spielerischen Gesichtspunkten. Sie konfrontieren die Gamer auch mit moralischen Grundproblemen.

Von Tobias Nowak |
Die Szene aus dem Spiel "Metro: Exodus" zeit zwei ungeheuerähnliche Gestalten, die den Abhang zu einem Industrieschrottplatz herunterlaufen
Ein Computerspiel mit postapokalyptischem Setting: "Metro: Exodus" (Koch Media)
"Anybody out there? Do you hear me? Let me be the first to welcome you to the end."
Das Spiel "DayZ" – was so viel bedeuten soll wie "Tag der Zombies" – entlässt die Spieler ohne Nahrung, Ausrüstung, Waffen und Freunde in die Wälder, verlassenen Städte und Industrieruinen der fiktionalen Insel Chernarus. Menschen gibt es dort so gut wie keine mehr, nur Zombies, deren Aufmerksamkeit man nicht erregen sollte. Eine Story gibt es auch nicht, nur das Überleben zählt, durch unablässige Vorsicht, Sammeln von Kleidung, Waffen, Medizin und Lebensmitteln, sowie ausreichend Mißtrauen gegenüber allen anderen Spielern, denen man auf Chernarus begegnet.
"Society has fallen. Now it’s every man for himself. Stay alive!"
Wachsende Anzahl von Games mit postapokalyptischem Setting
Bemerkenswerter als das Spiel an sich ist aber, wofür "DayZ" steht: Eine seit Jahren wachsende Anzahl von Computerspielen, die zwar nicht zwingend das Genre, aber das Setting teilen, nämlich die Post-Apokalypse. Hier ist die Welt bereits untergegangen; der Spieler muss sich also gar nicht mehr bemühen, sie zu retten, er muss in dieser feindlichen Umgebung nur überleben – "nur".
"Du verstehst es: Es gibt keine andere Möglichkeit! Der Mensch ist ein Tier!"
"Es scheint momentan innerhalb der gesamten Popkultur hinzugehen zu Düsternis, zu trostlosen Settings, zu hoffnungslosen Settings..."
Michael Graf aus der Chefredaktion des Spielemagazins GameStar
"…und die Postapokalypse kondensiert das wunderbar, weil: Was könnte denn trostloser sein als die Welt nach dem Weltuntergang?"
GameStar hat sich in Artikeln und Podcasts ausführlich mit der Frage nach der postapokalyptischen Mode befasst. Michael Graf vermutet, dass diese sehr feindlichen, anarchistischen Spielwelten uns besonders eindrücklich und vor allem: praktisch mit moralischen Grundproblemen konfrontieren.
Michael Graf: "Dadurch muss man sich eben auch Fragen stellen. Wie "Okay, bin ich jetzt bereit, Essen zu stehlen von anderen Menschen, die ebenfalls hungern, um in dieser Postapokalypse überleben zu können. Und ich glaube, wenn man über solche Fragen nachdenkt, kann man oft auch Dinge für sein echtes und wahres Leben lernen, und das macht solche Settings so reizvoll."
Moralische Positionierung
Das Weltuntergangsszenario gibt also Anlass, sich moralisch zu positionieren. Das klingt ein bisschen nach dem Jüngsten Gericht und den vielen anderen religiös begründeten Apokalypsen, von Ragnarök bis Armageddon. Die allermeisten populären, postapokalyptischen Games beschränken sich auf die Szenarien des nuklearen Holocausts und der Zombiehorden, wahlweise auch gemischt.
Dabei sind die heutzutage real drohenden Weltuntergangsszenarien ganz andere, beispielsweise Klimawandel, Gentechnologie oder Armut. Aber vielleicht spielt der Grund des Weltuntergangs gar keine große Rolle, wenn es doch eigentlich um die Charakterprüfung in der Extremsituation geht.
"Wir müssen aufeinander aufpassen, denn mehr haben wir nicht. – Ihr hättet ein paar Leben retten können! – Wir hatten weder Hoffnung noch Zeit noch Platz! Die Leute gingen sich schon am Hals, als die Horden kamen"
Konfliktorientierung des Mediums
Aber warum sind in Games, die in der Zukunft spielen, die düsteren Szenarien viel verbreiteter als die hellen, die konstruktiven und hoffnungsvollen? Das hat offensichtlich mit der Konfliktorientierung des Mediums zu tun, dass naturgemäß in Richtung Wettkampf, also auch Kampf, drängt.
In einer heilen Welt gibt es kaum Anlass für Konflikt. Und für das Storytelling ist ein Setting sehr dankbar, das von vorneherein schon mit global-existentiellem Pathos durchzogen ist. Vielleicht neigt auch unsere Vorstellungskraft eher zur Dystopie als zur Utopie; der Philosoph Fredric Jameson kolportierte vor Jahren, dass es uns leichter falle, uns das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus.
Wahrscheinlich fällt es Spielentwicklern auch leichter, sich eine Apokalypse auszudenken, als eine glaubhafte Utopie zu entwerfen, besonders angesichts einer als immer bedrohlicher empfundenen Wirklichkeit. "This is our routine. Day and night, all we do is survive. It never lets up."
Ein mediales Gegenmittel für dunklere Bedürfnisse
Die Frage, woher die popkulturelle Flut an postapokalyptischen Filmen, Büchern und Games stammt, beschäftigt viele Menschen, belastbare Antworten konnte allerdings bisher niemand liefern, nur Thesen. Stimmt es etwa, dass unsere Geschichten, also auch unsere Computerspiele, um so apokalyptischer sind, je besser es uns geht?
Oder liefern die sozialen Medien mit ihren ständigen Statusangaben und Fotos und Likes ein so weichgezeichnetes Bild der Wirklichkeit, dass wir ein mediales Gegenmittel brauchen, um auch die dunkleren Bedürfnisse der conditio humana zu befriedigen? Pessimistischer Zeitgeist oder Anziehungskraft existentieller Moralfragen? Viele Erklärungsversuche klingen plausibel, aber eine breite wissenschaftliche Untersuchung des Phänomens steht noch aus.