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Constanze Kurz: Gesetzgeber ist beim Datenschutz ins Hintertreffen geraten

Das sogenannte Meldegesetz sorgt in der Öffentlichkeit für viele Diskussionen. Die aktuelle Gesetzgebung sei nicht mehr zeitgemäß, kritisiert Constanze Kurz vom Chaos Computer Club in Berlin. Durch die neuen Vernetzungsmöglichkeiten müsse über den Datenschutz in Deutschland neu nachgedacht werden.

Constanze Kurz im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: In einem anderen Land, in dem keine sattelfesten Demokraten regieren, wird gerade über die Sperrung von Internetseiten aus Gründen des Kinderschutzes diskutiert. Russland ist aber nur der eine Aufreger der Woche in Sachen Netzpolitik, der andere heißt: Das Meldegesetz! Ämter sollten demnach private Daten an die Werbewirtschaft verkaufen dürfen. Solange noch Feinheiten des Meldewesens getwittert werden, mutmaßt ein Kommentar im Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" heute, könne der Zustand des Landes nicht völlig katastrophal sein.

    Auf was dieser Kommentar zielt, ist die Schizophrenie in unseren Köpfen: 24 Millionen Facebook-Profile verraten wesentlich mehr über uns und sind natürlich längst Ziel präziser Werbemaßnahmen als Namen und Adressen, die über Meldeämter verkauft würden. - Constanze Kurz, Informatikerin und ehrenamtliche Sprecherin des Chaos Computer Clubs in Berlin, beschäftigt sich seit längerem mit derlei Schizophrenien. Frau Kurz, wie beurteilen Sie die Aufregung über das Meldegesetz?

    Constanze Kurz: Ich glaube, es hat nicht nur mit den Daten zu tun, die der Staat da verkauft, sondern auch mit der Art, wie das Gesetz zu Stande kam - dieses 57 Sekunden Video hat, glaube ich, für Empörung gesorgt -, aber auch die Tatsache an sich ist natürlich sehr hinterfragenswert. Oft wird jetzt der Vergleich gezogen mit den ganzen Facebook-Daten, aber der Unterschied ist natürlich zweierlei. Zum einen sind die Daten ja zwangsweise abgegeben, man muss sich ja melden in Deutschland, und zum anderen sind diese Daten natürlich quasi staatlich garantiert und damit natürlich auch von hoher Qualität und Ehrlichkeit letztlich, denn anders als die Daten bei Facebook sagt hier der Staat ja quasi mit einem Stempel, das ist echt, hier wohnt jemand aktuell, und da legen die Bürger, glaube ich, ein bisschen mehr Wert drauf.

    Fischer: Das Meldegesetz wird voraussichtlich ja zurückgenommen, und natürlich ist es gut und das Zeichen einer "wachen" Demokratie, wenn Bürgerinnen und Bürger auf den Schutz ihrer Daten auch via Protestmailings pochen. Haben Sie dennoch manchmal das Gefühl, dass wir an den eigentlichen Problemen der Datenpolitik im Netz vorbei protestieren?

    Kurz: In gewisser Weise schon, denn gerade an dem Meldegesetz sollte man natürlich grundsätzliche Fragen stellen, ob nämlich der Staat überhaupt solche Daten verkaufen sollte - das wird ja jetzt nur am Rande besprochen -, natürlich auch, wo der Gesetzgeber insgesamt längst ins Hintertreffen geraten ist bei der Datenschutzgesetzgebung. Das sind ja sehr grundsätzliche Fragen. Prinzipiell zeigt aber aus meiner Sicht dieser Protest natürlich das neue Potenzial dieser "wachen" Netzöffentlichkeit.

    Fischer: Welche Hauptprobleme gilt es denn zu beachten und zu bewältigen in den nächsten Jahren?

    Kurz: Man sieht natürlich durch die vielen Möglichkeiten der Vernetzung, die ja einfach unser aller Leben jetzt ändern, dass sich ganz neue Fragen des Datenhandels stellen. Ich glaube, die alten Antworten, die sich auch in der aktuellen Gesetzgebung noch finden, die sind nicht mehr zeitgemäß. Heute hat eigentlich bei vielen dieser großen Unternehmen, die mit Daten handeln, jeder das Recht, riesige Listen anzulegen von allen Bürgern, durch das sogenannte Listenprivileg, was ja bei uns in der Datenschutzgesetzgebung eine Ausnahmegenehmigung ist für solche Adresshändler, und ich denke, da sollte man neue Antworten finden. Und ich glaube auch, dass dieses Projekt, was die aktuelle Regierung die "Stiftung Datenschutz" nennt, noch viel weiter vorangetrieben werden sollte und nicht nur so eine Alibiveranstaltung ist, wie sie jetzt sich derzeit zeigt.

    Fischer: In Russland regt sich Widerstand gegen ein Gesetz, das die Sperrung von Internetseiten mit kinderpornographischem Inhalt erlaubt; Regierungskritiker sehen darin aber auch die Gefahr, dass dadurch Meinungsfreiheit oder die Protestbewegung gegen Putin weiter eingeschränkt werden könnte – und es gibt ja Fälle von staatlicher Internetzensur gegen Oppositionelle. Wir hatten so was Ähnliches in Deutschland auch schon diskutiert.

    Kurz: Richtig. Das erinnert natürlich sehr an die Streits bei uns um das so genannte "Zugangserschwerungsgesetz", also die Netzsperren, die ja letztlich vom Parlament wieder gekippt wurden und die nicht mehr in Kraft sind. In Russland sieht natürlich die Lage anders aus in gewisser Weise. Technisch ist was Ähnliches geplant, man möchte eine Webseite installieren, die sich "No-List" nennen soll, und darauf sollen all die ungewünschten Webseiten aufgelistet sein, die dann zu sperren sind.

    Das ist also sehr vergleichbar mit dem, was bei uns Ursula von der Leyen damals plante. Allerdings muss man natürlich sehen, dass die demokratischen Mechanismen, die wir hier in Deutschland haben, in Russland nicht immer greifen und dass natürlich zurecht die Aktivisten dort sich davor fürchten, dass einfach alle ungeliebten Webseiten dort dieser Zensur zum Opfer fallen.

    Aber ich glaube, dass die Diskussion in Deutschland um die Netzsperre, die immerhin ein ganzes Jahr lang währte, auch die russischen Aktivisten durchaus motiviert, sich zu wehren, denn nach Deutschland und auf die Gesetzgebung wird auch europaweit sehr viel geguckt, und die Argumentationslinien von Putin sind da sehr ähnlich, wie die von Ursula von der Leyen damals waren.

    Fischer: Aber hilft es denn, wenn ein Internetportal wie Wikipedia seine russischen Seiten für einen Tag sperrt?

    Kurz: Aus meiner Sicht hilft das sehr. Das hat man auch bei anderen Protesten bereits gesehen. Ich glaube, dass die Wikipedia so eine zentrale Webseite ist, die so häufig von so sehr vielen Menschen angeklickt wird, dass sie erst eine Aufmerksamkeit für ein Problem schafft.

    Das haben wir auch an anderen Stellen schon beobachten können. Ich halte das für ausgesprochen wichtig, da natürlich aber auch die Wikipedia selbst betroffen sein könnte, denn Unterseiten, also thematische Seiten, könnten natürlich auf dieser "No-List", auf dieser Webseite durchaus dann auch aufgelistet sein.

    Fischer: …, sagt Constanze Kurz, Informatikerin und ehrenamtliche Sprecherin des Chaos Computer Clubs in Berlin, über die neueren Problemfälle der Datenpolitik im Netz.


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