Engels: Die "MSC Zoe" gehört zu den größten Containerschiffen der Welt. In der Nacht auf Mittwoch geriet das Schiff auf dem Weg nach Bremerhaven auf der Nordsee in einen schweren Sturm. Rund 270 Container gingen über Bord. Einige von ihnen wurden in den Niederlanden an Land gespült oder bereits geborgen, doch die Behörden und Helfer bleiben alarmiert, denn neben Gefahren für den Schiffsverkehr durch die treibende Fracht hatten drei Container auch Gefahrgut wie giftige Chemikalien an Bord. Am Telefon ist nun Uwe Schmidt. Er kommt aus Bremerhaven, für die SPD ist er Mitglied im Bundesverkehrsausschuss. Dort ist er Experte für Schifffahrt und außerdem ist er gelernter Hafenfacharbeiter. Guten Morgen, Herr Schmidt!
Schmidt: Guten Morgen, Frau Engels!
Engels: Stürme sind auf dem Meer ja nun nichts Ungewöhnliches. Viele Bürger fragen sich, wie es denn sein kann, dass bei einem Sturm direkt 270 Container auf einmal über Bord gehen. Haben Sie eine Erklärung?
Schmidt: Dass 271 oder 270 Container direkt verloren gehen, das kommt nicht allzu häufig vor. Aber ich glaube, das steht tatsächlich im Zusammenhang mit der Schiffsgrößenentwicklung. Wenn Sie sich das mal angucken, wie viel Decksladung mittlerweile gefahren wird, die natürlich bei Sturm sehr anfällig ist – 23 Container nebeneinander, acht hoch übereinander, also 368 bis 370 Container, die da an Deckan einer Bay, an einer einzelnen Lücke gestaut werden –, wenn es da zu Havarien kommt, dann fallen natürlich dementsprechend viele Container ins Wasser. Das ist so.
"Acht Container übereinander war bis vor zehn Jahren unmöglich"
Engels: Welche Erfahrung haben Sie denn in Ihrer Zeit als Hafenfacharbeiter bei der Frachtsicherung von Containern gemacht?
Schmidt: Es ist auffällig, die Reedereien versuchen natürlich logischerweise, ihre Schiffe mehr auszulasten. Und je mehr Decksladung sie fahren können, desto besser ist es eben auch in den Häfen, weil die Wege einfach kürzer sind, die Löschzeiten sich damit verkürzen, so viel, wie es geht, irgendwie Ladung an Deck zu stellen. Das macht natürlich die Schiffe einmal, was die Stabilität anbelangt, aber auch, was die Ladungssicherung anbelangt, wesentlich komplizierter als früher. Früher wurde schlicht und ergreifend nicht so viel Decksladung gefahren. Acht Container übereinander an Deck zu stellen, war bis vor zehn Jahren total unmöglich. Konnten die Schiffe auch nicht.
Engels: Welche Rolle spielt denn dabei, dass das Frachtgeschäft nicht nur immer größer wird, sondern auch immer schneller vonstatten gehen muss? Immer schneller be- und entladen in den Häfen.
Schmidt: Wenn Sie sich mal angucken, das Havarie-Kommando ist ja nach der Havarie der "Pallas" 1998. Das war ein Schiff, das hatte 147 Meter. Die "MSC Zoe" ist 395 Meter. Auch das immer schnellere Be- und Entladen – meine Kollegen in den Häfen, die wissen schon, was sie machen. Mit dem Be- und Entladen hat das an der Stelle erst mal nichts zu tun. Aber die Ladung natürlich zu sichern – die haben oben mindestens drei Containerreihen, die ungesichert oben auf den Stapeln stehen. Und das führt natürlich genau zu solchen Ereignissen.
"Die Schiffsmannschaften sind ja mittlerweile so klein"
Engels: Wie steht es denn generell um die Qualifikation der Hafenarbeiter und der Schiffsmannschaften, die diese riesiger werdende Fracht ja zu überwachen haben?
Schmidt: Die Schiffsmannschaften sind ja mittlerweile so klein. Ich weiß jetzt nicht genau, wie viel die "Zoe" fährt, aber es ist ja durchaus üblich, dass da zwischen 14 und 17 Mann Besatzung lediglich an Bord sind. Der Besatzung kann man da in schwerer See überhaupt gar keinen Vorwurf machen. Die Hafenarbeiter in den deutschen Seehäfen, die diese Ladungssicherung vornehmen, sind dafür alle hochqualifiziert, werden ständig nachgeschult und wissen ganz genau ihre Aufgaben, die sie da zu tun und zu lassen haben.
Engels: Trotzdem gehen natürlich immer wieder Container verloren. In dieser Größenordnung wie jetzt ist das ungewöhnlich, aber das Problem ist ja schon länger bekannt, und auch die Seeschifffahrt macht sich ja Sorgen um sichere Seewege, weil da immer wieder Container treiben können. Und diese Schifffahrt wächst seit Jahren. Gibt es denn genügend Gesetze und Regelungen, um die Sicherheit von Containerschifffahrt zu überwachen?
Schmidt: Also die Regelungen– ich habe schon dem Bundesverkehrsminister die eine oder andere Frage, gerade was die Schiffsgrößenentwicklung und damit auch die Betriebssicherheit der Schiffe und damit auch den Umwelt- und Küstenschutz für die Bevölkerung in den jeweiligen Fahrtgebieten nachgefragt. Mir ist das noch nicht so ganz klar, welche Regelungen eigentlich für alle Beteiligten klar sind und bindend sind. Wir haben da so eine Art Selbstregulierungssystem innerhalb der IMO und innerhalb der Schifffahrt. So ganz klar, wie es zum Beispiel im Straßenverkehr oder bei anderen Verkehrsträgern ist, erscheint es mir in der Schifffahrt zurzeit nicht.
Engels: Selbstregulierung, BMO, was meinten Sie damit?
Schmidt: IMO. Die International Maritime Organization legt die internationalen Standards, die Seeschiffe, was hinsichtlich der Ausrüstung, der seemännischen Eignung und auch der Betriebssicherheit angeht, fest. Ich glaube, die hat aus meiner Sicht aktuell mit der Entwicklung nicht so ganz Schritt gehalten.
"Da müssen die Regelungen von Länderseite angepasst werden"
Engels: Das heißt, das ist eine Art internationale Vereinbarung. Das heißt, da sind Staaten gar nicht so konkret wie beispielsweise die Reeder, die sich dort auch abstimmen, involviert. Das heißt, da ist zu viel Macht möglicherweise auch bei den großen Schifffahrtsgesellschaften und nicht genügend bei den Staaten?
Schmidt: Die harten staatlichen Kontrollen, die durchgeführt werden können durch die jeweiligen Nationalstaaten, die sind geregelt, die Abkommen sind da. Aber Sie können sich ja vorstellen, ich habe das eben an der "Pallas" beispielhaft gemacht. Jetzt nehmen Sie ein Schiff, das 147 Meter lang ist, das hat völlig andere Voraussetzungen als so ein Mega-Carrier wie die "Zoe" mit 395 Metern. Das können Sie einfach schlicht und ergreifend nicht miteinander vergleichen.
Ich glaube schon, dass wir da in Zukunft speziellere Regelungen auch für die einzelnen Schiffstypen – gerade die Schiffe, wie sie sich in den letzten Jahrzehnten – ich mache das jetzt seit 30 Jahren in den bremischen Häfen als Gesamthafenarbeiter – entwickelt haben, das ist schon eine enorme Entwicklung. Und da müssen, glaube ich, auch die Regelungen dementsprechend von Länderseite angepasst werden, aber auch die Kontrollen verstärkt werden beziehungsweise die Kontrollinstanzen, die wir jetzt haben, auch mit ausreichend Personal, damit die die Kontrollen vor Ort gewährleisten können, auch ausgestattet werden.
Engels: Wer entscheidet denn am Ende konkret, wie hoch auf einem solchen Containerschiff gestapelt werden kann und wo es dann schwierig wird?
Schmidt: Einmal ist es ja dadurch vorgegeben, was die Bauart des Schiffes anbelangt. Und zu guter Letzt entscheidet immer die Schiffsführung.
"Handlungsbedarf offensichtlich"
Engels: Aber ein Kapitän steht ja auch immer unter Druck von Lieferfristen und von seiner Reederei.
Schmidt: So ist das, da haben Sie vollkommen recht. Und die Sicherheitsstandards beziehungsweise auch die Bauvorschriften für Schiffe dieser Größenordnung, die, glaube ich, können wir weder den Herstellern noch den Bestellern noch den Nutzern überlassen. Wenn Sie mal einen Spediteur fragen würden, wie lang sein Lkw denn sein müsste, würde er Ihnen auch andere Maße angeben als die, die jetzt im Straßenverkehr gültig sind, habe ich so den leisen Verdacht.
Engels: Kann denn die Bundesregierung – oder vielleicht ist auch die Europäische Union gefragt, hier neue Standards zu setzen oder zumindest für die Gewässer, die man eben überblicken und kontrollieren kann, hier Gesetze zu setzen?
Schmidt: Ich denke schon, dass wir in unserem Verkehrsgebiet in der Bundesrepublik Deutschland und auch von unseren Bundeswasserstraßen diejenigen sein sollten, die die Gesetze dementsprechend machen, nach solchen Ereignissen sich das anzugucken, welche Auswirkungen hat das auf die Küsten, auf den Umweltschutz, auf die Bevölkerung. Weil ich glaube, die 270 Container werden nicht alle in Gänze abgeborgen. Heute sind es 270, morgen sind es vielleicht nur 50, in den nächsten Tagen sind es vielleicht noch mal hundert. Dass da Handlungsbedarf offensichtlich erscheint, da müssen wir drüber reden. Ich werde das thematisieren, ich hab es bereits thematisiert, der Bundesverkehrsminister wird mir die dementsprechenden Antworten geben.
Engels: Für Unruhe sorgt ja auch, dass neben der vergleichsweise ungefährlichen Fracht auch Gefahrgutcontainer verloren gegangen sind. Ist denn da keine Extra-Sicherung verpflichtend?
Schmidt: Ne, also Gefahrgutcontainer werden genauso, und das leider in der Regel auch als Decksladung, wenn es nicht gerade nässeempfindliche Stoffe sind, werden die lieber an Deck gefahren, damit, wenn es da zu Havarien kommt, Brände oder sonst irgendwas, dass die Besatzung zumindest noch versuchen kann, da besser ranzukommen. In den Laderäumen ist es für die Besatzung fast nicht möglich, einen brennenden Container zu löschen.
Sie müssen sich vorstellen, so ein Container hat 67 bis 68 Kubikmeter Rauminhalt. Wenn das einmal brennt, also wenn Sie sich das jetzt mal einfach so – diese 270 Container sind 18.000 Kubikmeter, die jetzt an transportablem Schiffsladeraum da ins Wasser abgegangen sind. Das ist schon eine Menge. Deswegen werden die hauptsächlich an Deck gefahren, wenn es da wirklich zu Havarien oder Beschädigungen kommt, dass die dann im Zweifel auch, um das Schiff in Sicherheit zu halten, Außenbord gekippt werden können.
"Ich weiß nicht, ob Peilsender zweckdienlich sind"
Engels: Ihr Parteifreund, der sächsische Umweltminister Lies von der SPD fordert nun, zumindest Gefahrgutcontainer mit einem Peilsender auszustatten und an speziellen sicheren Stellen an Bord zu lagern. Ist zumindest das umsetzbar?
Schmidt: Technisch umsetzbar ist heute ja alles, das wissen Sie ja. Wir können mittlerweile auf die Rückseite des Mondes fliegen, dann werden wir auch Container mit Peilsendern ausstatten. Ich weiß nicht, ob das zweckdienlich ist, weil, was nützt ihnen das, wenn das Havariekommando in Cuxhaven nachher weiß, dass ein Gefahrgutcontainer beschädigt worden ist, der 2.000, 3.000 Seemeilen irgendwo auf dem Atlantik rumschippert. Da können Sie nicht eingreifen. Das weiß ich nicht, ob das so praktikabel ist.
Engels: Aber bei der jetzigen Suche würde es doch helfen.
Schmidt: Ohne Zweifel. Damit haben Sie recht, ja. Es gibt einige Hersteller, die gerade Hochtechnologie oder sehr kostenintensives Ladungsgut jetzt schon mit Peilsendern oder beziehungsweise Transpondern ausstatten. Die kann man orten. Aber die moderne Bergungstechnik, wird auch einen Großteil mit Sonar, werden die auch finden. Aber so lange stellt das natürlich auch gerade eine Gefahr für die Sportschifffahrt da, die zwar im Winter nicht so stattfindet, aber im Frühjahr. Bis dahin werden die 270 Container nicht alle gefunden sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.