Vom morgendlichen Kaffee über Kleidung und Zahnbürsten zu Elektrogeräten: 90 Prozent der Produkte, die wir kaufen und besitzen, wurden in einem Schiffscontainer transportiert. Durch diese Schlüsselstellung können die großen Reedereien die Bedingungen der Schifffahrtsindustrie zu ihren Gunsten formen und Regulierungen entgehen.
Seit gut einem halben Jahr ist der maritime Güterverkehr allerdings aus dem Takt. Alle Reedereien suchen nach neuen Wegen und erhöhen die Transportpreise.
Der Siegeszug der Schiffscontainer
Viele Waren und Rohstoffe werden auf Containerschiffen transportiert, aus einem simplen Grund: so kostet es am wenigsten. Seit den 1960er-Jahren hat sich der genormte Container aus Stahl weltweit durchgesetzt. Er spart Platz und ist einfach zu verladen. Noch dazu kann er ohne Weiteres auf ebenfalls genormte Lastwagen umgesetzt werden. Mittlerweile ist die Infrastruktur in allen großen Häfen der Welt auf den Container ausgelegt.
Der Aufstieg der Containerschifffahrt spiegelt sich auch in der Größe der Schiffe wieder, die immer häufiger mit bis zu 400 Metern Länge gebaut werden. Zum Vergleich: Der Eiffelturm ist rund 320 Meter hoch. Der Grund für diese Übergrößen: Je mehr Container ein Schiff transportieren kann, desto geringer sind die Kosten pro transportierter Einheit. Und damit rechnen sich die hohen Investitionen für den Bau eines solchen Schiffes umso schneller.
Container legen Tausende Kilometer leer zurück
Gleichzeitig ist das System nicht in jeder Hinsicht effizient, denn rund 40 Prozent der weltweit transportierten Container bleiben leer. Das liegt daran, dass die Weltwirtschaft unausgewogen ist. Europa beispielsweise importiert viel mehr Waren aus China und anderen asiatischen Ländern, als dorthin zurück exportiert werden. Daraus ergibt sich die Situation, dass die Container voll aus Asien nach Europa kommen, aber oft leer zurückkommen.
Der Schwerpunkt in Asien wird auch deutlich, wenn man sich die Verteilung der größten Häfen der Welt anschaut, sortiert nach ihrem Umschlagvolumen. Sieben der zehn größten Häfen liegen in China – der größte von allen in Schanghai. Auf Platz 2 liegt Singapur, auf Platz 7 Busan in Südkorea. Auf Platz 9 kommt mit Los Angeles der erste nicht asiatische Hafen, der größte europäische Hafen Rotterdam liegt auf Rang 11.
Währenddessen fahren Schiffe aber meist unter Flaggen, die nicht den Herkunftsländern der Waren entsprechen. Zum Beispiel denen von Panama, Liberia oder den Marshallinseln. Die Schiffe mit diesen nationalen Zugehörigkeiten fahren am günstigsten, weil dort die geringsten Steuern erhoben werden.
Außerdem bieten die nationalen Zugehörigkeiten der sogenannten „Flags of Convenience“ (Flaggen der Bequemlichkeit) geringere Standards für Sicherheitsvorkehrungen und Arbeitsbedingungen. Diese Anreize führen zu einer Konzentration bei beliebten Flaggen: Nach Angaben der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) entfielen 2021 auf die fünf größten Reedereivolkswirtschaften 52 Prozent der gehandelten Container.
Die Macht der Reedereien
Die Herrschaft über diesen großen Teil der internationalen Logistik ist auf einige wenige Player konzentriert. Vor sieben Jahren waren es noch 17 große Unternehmen, aber Marktführer wie MSC, Maersk, CMA CGM und Cosco kauften immer mehr der kleineren Reedereien auf. Heute kontrollieren neun Unternehmen so gut wie den gesamten Containerhandel. Diese Machtkonzentration geht Hand in Hand mit einer zunehmenden Größe der Schiffe. Und weil Megaschiffe Megainvestitionen erfordern, konnten viele kleinere Reedereien der Konkurrenz nicht standhalten. Sie wurden aufgekauft oder gingen pleite.
Die neun größten Reedereien sind noch dazu in drei sogenannten Allianzen organisiert: 2M, Ocean und THE. Zusammen verfügen sie über 80 Prozent des weltweiten Containerverkehrs. Statt in harte Konkurrenz zu treten, kooperieren die Branchenriesen also lieber miteinander. Konkret tun sie das unter anderem durch die Zusammenlegung von Schiffen. Dabei vereinbaren Reedereien, dass sie auch auf den Schiffen der anderen Container befördern können.
Auf diese Weise können sie eigenen Kunden häufigere Transporte anbieten, ohne selbst für alle Schiffe bezahlen zu müssen. Die Verständigung unter den Reedereien sorgt auch dafür, dass der Vergrößerung der Flotten und den immer größeren Schiffen wenig entgegengesetzt wird. Im Verband haben sie einen größeren Lobbyeinfluss und eine größere Marktmacht.
Die Steuerzahler tragen versteckte Kosten
Experten wie Olaf Merk vom Internationalen Transport Forum der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sehen besonders das Wachstum der Schiffe kritisch. Denn während die Lieferung auf dem Papier weniger kostet, werden ihm zufolge aber mehr Kosten auf die Gesellschaft umgewälzt. Denn die Kosten für die Anpassung von Häfen und Landschaften auf größere Schiffe werden aus Steuern finanziert.
Zudem zahlen die Riesenreedereien auch in Europa verhältnismäßig geringe Abgaben. Laut Merk haben fast alle europäischen Schifffahrtsnationen inzwischen eine sogenannte Tonnagesteuer. Das bedeutet, dass eine Schifffahrtsgesellschaft nicht auf ihren Gewinn Steuern zahlt, sondern auf die Tonnage, also das Volumen ihres Schiffes. In der Praxis heißt das: Ein normales Unternehmen in Europa oder in der OECD zahlt 25 oder 30 Prozent Gewinnsteuer. Bei den Schifffahrtsunternehmen sind es eher zwischen 0,5 und 2 Prozent.
Die Menschen an Bord von Frachtschiffen
Die Macht der Reedereien bekommen auch die Menschen an Bord zu spüren. Zum einen ersetzt der Container mit seiner einfacheren Handhabung immer mehr die Hafenarbeiter. Gleichzeitig werden die Häfen immer mehr aus der Stadt herausgezogen. Das liegt daran, dass die riesigen Schiffe nicht mehr im Herzen von Städten anlegen können - sie brauchen die tiefen Kanäle in der Nähe des Meeres.
Diese Abgeschiedenheit erschwert Kontrollen. So sind Sicherheit und Versorgung mit Lebens- und Arbeitsmitteln auch im Geltungsbereich von Kontrollorganisationen wie der International Transport Workers Federation schwer durchzusetzen. Der Arbeitsschutz für Menschen unter chinesischer Flagge ist noch geringer.
Dazu kommt, dass sich Arbeitsbedingungen und Bezahlung je nach Aufgabe und damit nach Herkunft der Seeleute unterscheiden. Die meisten von ihnen sind von den Philippinen, sie verrichten vor allem ungelernte Arbeiten. Sie verdienen auch am wenigsten von allen und haben teilweise schlechtere Arbeitsbedingungen als ihre Kollegen an Bord.
Die Schwächen im System
Die Corona-Pandemie ab 2020 hat gezeigt, wie verwundbar das System der Containerschifffahrt ist. Zum einen war in der Zeit die Nachfrage nach Konsumgütern sehr hoch. Und pandemiebedingte Krankheitsfälle erschwerten den Transport der Waren: Container konnten nicht entladen und zurückgeschickt werden. Zeitweise fehlten in chinesischen Häfen schlichtweg die Container. Viele Häfen waren noch dazu über Monate überfüllt - Transporter mussten teilweise vor Ort warten, bis Plätze frei wurden. Die Auswirkungen waren an steigenden Preisen nicht nur in den Supermärkten spürbar.
Warum gerät die Schifffahrt aus dem Takt?
Seit gut einem halben Jahr ist der maritime Güterverkehr aus dem Takt. Die Gründe sind vielfältig: wegen der Angriffe jemenitischer Huthi-Rebellen auf Schiffe im Roten Meer schicken viele der größten Reedereien, darunter Maersk, Hapag-Lloyd und MSC, ihre Frachter nicht mehr durch den Suezkanal, sondern um das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze Afrikas herum. Dafür müssen sie Tausende Kilometer Umwege fahren und brauchen viel länger.
Wegen Niedrigwasser im Panamakanal können Containerschiffe nicht so stark beladen werden wie sonst. Während normalerweise 38 Schiffe pro Tag durch den Kanal fahren, sind es zurzeit nur 24. Das führt zu Staus im Welthandel, sagt Nils Haupt von der Reederei Hapag Lloyd. In der kommenden Sommerzeit ist damit zu rechnen, dass die Durchfahrtzeiten weiter reduziert werden.
Auch der ständig schwelende Konflikt zwischen China und Taiwan bringt Handelsketten aus dem Takt. Die Containerschifffahrt hängt zudem stark am Konsum - damit wirkt sich die Teuerung auch auf die Linienschifffahrt aus.
Nicht zuletzt muss die Schifffahrt umweltfreundlicher werden und vom Schweröl wegkommen. Künftig werde es nicht mehr den einen Kraftstoff für alle geben, zeigt sich die Diplomingenieurin Runa Jörgens vom Deutschen Maritimen Zentrum überzeugt. Was sich durchsetzen wird, ob LNG, Methanol oder Ammoniak, ist nicht abzusehen.
Eine schwierige Situation für Schiffbauer, wenn man bedenkt, dass ein Schiff eine Lebensdauer von 20 bis 25 Jahren hat. De-Carbonisierung funktioniere nicht in nationalen Grenzen, sondern nur weltweit sagt Carsten Brandt, Geschäftsführer der Hamburger Reederei Carsten Rehder.
pto, tha