Weltnaturkonferenz COP16
Worum in Kolumbien gestritten und was in Rom entschieden wurde

„Peace with Nature“: Unter diesem Motto verhandelten Regierungen im November 2024 bei der COP16 in Kolumbien über den Schutz der Natur – ohne Einigung. Vier Monate später gelingt in Rom endlich ein Kompromiss, doch Umweltschützer bleiben skeptisch.

Von Jule Reimer  |
    Afrokolumbianische Frauen treten während der Eröffnungszeremonie der COP16, einer Konferenz der Vereinten Nationen zum Thema Biodiversität, im kolumbianischen Cali auf.
    Afrokolumbianische Frauen bei der Weltnaturkonferenz COP16 im kolumbianischen Cali (AP / dpa / Fernando Vergara)
    Der Durchbruch der COP16 gelang buchstäblich in letzter Minute: In der zweiten Verhandlungsrunde, die vom 25. bis 27. Februar in Rom stattfand, einigten sich die Länder nach drei Tagen intensiver Gespräche auf einen Kompromiss – kurz vor Ablauf der Frist um Mitternacht. Im Saal gab es daraufhin viel Applaus – ein deutlicher Kontrast zur gescheiterten Konferenz in Cali im November 2024, die von Umweltschützern als „Blamage“ bezeichnet worden war.
    Eine der zentralen Streitfragen: Wie viel Geld sind die Industriestaaten bereit, für den Schutz von Regenwäldern und Savannen bereitzustellen? Und wer soll diese Mittel verwalten? Nach langen Diskussionen einigten sich die Länder auf einen mehrjährigen Finanzierungsplan zum Schutz der Natur und Artenvielfalt – auch die Wirtschaft soll einen wesentlichen Beitrag leisten. Ein Überblick.

    Inhalt

    Was wurde bei der COP16 in Cali erreicht?

    Zu den Erfolgen der Konferenz gehört der Beschluss, einen „Cali-Fonds“ einzurichten. In den sollten - nicht müssen, auch nicht sollen - künftig große Unternehmen einen Anteil ihres Umsatzes oder Gewinns einzahlen, wenn sie Geschäfte mit den Gendaten von Tieren und Pflanzen aus anderen Ländern oder auch mit abgeschöpftem Wissen der naturverbundenen Völker machen.
    Mittlerweile liegt die DNA vieler Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen als digitalisierte Sequenzinformation (DSI) in öffentlich zugänglichen Datenbanken vor. Dort können sie in großen Mengen anonym abgerufen werden. Eine Nachverfolgung, ob damit noch geforscht oder schon Profite gemacht werden, ist kaum möglich.
    Die Einzahlungsaufforderung richtet sich unter anderem an die Hersteller von Pharmazeutik, Kosmetik, Saatgut und Nahrungsmittelergänzungen sowie der Biotechnologieindustrie. Dass die Beiträge aufgrund des Lobbyings der Konzerne freiwillig bleibt, enttäuschte viele Konferenzteilnehmer. Nithin Ramakrishnan, Völkerrechtsexperte beim Third World Network sieht auch die Gefahr, digitale Biopiraterie zu legitimieren.

    Achtung der indigenen Völker

    Viele Nichtregierungsorganisationen begrüßen, dass mindestens die Hälfte der Fondseinnahmen unbürokratisch direkt an indigene Völker und traditionell wirtschaftende Gemeinschaften fließen soll. Mehr als 50 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) hängen von funktionierenden Ökosystemen ab.
    Das haben auch die Währungshüter erkannt. Die Europäische Zentralbank erwartet inzwischen von Finanzinstituten eine Prüfung der klima- und biodiversitätsbezogenen Risiken bei der Kreditvergabe.
    Den Indigenen Völkern und traditionellen lokalen Gemeinschaften wurde ein spezielles Gremium zugestanden. Über das können sie künftig bei der Weiterentwicklung des Weltnaturvertrags mitreden. Das ist eine Anerkennung dafür, dass die Natur vor allem dort in gutem Zustand ist, wo Indigene oder traditionelle Dorfgemeinschaften die Gebiete verwalten.
    Der jahrzehntelange Einsatz für die Rechte der Indigenen wurde deutlich, als eine junge chilenische Indigene beim Dachverband der Indigenen sprach. Sie betonte, dass Indigene mit ihrem Wissen und ihren Traditionen einen wichtigen Beitrag zum Weltnaturvertrag leisten können.
    Weltweit zählen 300 bis 500 Millionen Menschen zu den Indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften. Sie machen etwa 50 Prozent der Bevölkerung in Gebieten mit höchster biologischer Vielfalt aus.

    Mehrere Vereinbarungen am Rande

    Wichtige Beschlüsse umfassten ein Regelwerk für besonders schützenswerte Meeresgebiete und die stärkere Verzahnung von Klima- und Biodiversitätsschutz. Synergien zwischen nationalen Biodiversitätsstrategien und Klimabeiträgen sollen besser genutzt werden. Am Rande der COP16 trafen sich Umweltminister, darunter Bundesumweltministerin Steffi Lemke, um die Verhandlungen für ein UN-Plastik-Abkommen voranzutreiben, das 2025 vorliegen soll.
    In Cali sollten zudem möglichst viele Regierungen Nationale Biodiversitätsstrategien samt Aktionsplänen (NBSAP) einreichen. 44 von fast 200 Vertragsstaaten hatten dies bis Konferenzende getan; weitere 120 haben sich darauf beschränkt, nur einzelne Ziele einzureichen.
    Astrid Schomaker, Chefin des CBD-Sekretariats, äußerte Verständnis und betonte, dass es nicht nur um das Pflanzen neuer Bäume gehe. Vielmehr müssten auch Energiesysteme, Landwirtschaft und neue Verschmutzungsziele betrachtet werden. Diese komplexen Fragen erforderten eine umfassende Abstimmung zwischen den Regierungen.
    Bundesumweltministerin Lemke legte bei ihrer Ankunft den Entwurf für eine Strategie vor. Er ist umfassend und macht auch anderen Ressorts Vorschläge für Ziele und Aktionen. Doch bisher haben weder andere Mitglieder des Bundeskabinetts noch der Kanzler den Entwurf gebilligt.

    Worauf konnten sich die Regierungen in Cali nicht einigen?

    Kurz vor dem abrupten Ende hatten sich Industrie- und Entwicklungsländer daran verhakt, dass letztere einen neu zu gründenden Fonds unter dem Dach der UN fordern, um die für den Schutz der tropischen Regenwälder und Savannen bereitgestellten Gelder zu verwalten.
    Seit dem Abschluss des Weltnaturabkommens 2022 wird der bereits bestehende GEF-Fonds (Global Environmental Facility) bei der Weltbank genutzt. Das wurde 2022 nur als Übergangslösung vereinbart, so die Ansicht im Süden der Welt.
    Maria Angelica Ikeda, die in Cali für Brasilien verhandelte, klagt über ungleiche Mitspracherechte: „20 pazifische Inseln teilen sich eine Stimme, ebenso wie neun mittelamerikanische Staaten. Die 54 afrikanischen Länder haben drei oder vier Stimmen, während die USA, Deutschland, Japan und andere Industriestaaten jeweils eine Stimme allein haben und damit das Recht, an allen Sitzungen teilzunehmen.“
    Doch die Industriestaaten blieben hart. Der EU-Chefverhandler erklärte, dass ein weiterer Fonds die Mittel für die Finanzierung von Biodiversitätsschutz nur weiter fragmentieren würde. Gegenüber den Steuerzahlern in der EU werde es zudem schwierig, den Verwaltungsaufwand zu rechtfertigen, der mit mehreren Fonds verbunden ist.

    Wie waren die Reaktionen?

    Bundesumweltministerin Steffi Lemke betonte den Fortschritt in Cali zum Schutz der Natur und die gestärkte Stimme indigener Völker und lokaler Gemeinschaften, "denn sie spielen eine äußerst wichtige Rolle im globalen Biodiversitätsschutz". Sie wies zudem auf die verbesserte Verzahnung von Klima- und Naturschutz hin und kündigte eine engere Kooperation zwischen den Weltbiodiversitäts- und Klimaräten an.
    Trotz der Herausforderungen sieht die Lemke Deutschland als verlässlichen Partner mit einer erhöhten internationalen Biodiversitätsfinanzierung: "Das ist wichtig, um auch andere Länder dabei zu unterstützen, die Ziele umsetzen zu können - gerade für die Staaten mit einer besonders großen Artenvielfalt.“
    Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), bedauert das Fehlen einer klaren Strategie zur Finanzierung des Naturschutzes: "Erfreulich ist dagegen, dass eine Grundstruktur für einen Fonds geschaffen wurde, über den die Profite aus der Nutzung genetischer Daten von Pflanzen und Tieren gerecht verteilt werden sollen."
    Er betonte die Dringlichkeit, das biologische Gedächtnis der Natur zu bewahren. Außerdem lobte Flasbarth die vielfältige Teilnahme von Staaten, Unternehmen und Banken an der Konferenz.
    Jan-Niclas Gesenhues von den Grünen hat eine positive Bilanz der COP16 gezogen und bahnbrechende Beschlüsse hervorgehoben, insbesondere zum Küstenschutz und zur Meereserhaltung. Er fordert weniger Strukturdebatten und einen Fokus auf das Schließen von Finanzlücken.

    Was besagt der Weltnaturvertrag von 2022?

    Die Abkürzung COP steht für „Conference of the Parties“, im Fall von Cali für die Konferenz der Vertragsstaaten der UN-Biodiversitätskonvention (CBD). Die COP16-Konferenz in Cali baut auf der Verabschiedung des Weltnaturvertrags auf der COP15 im Dezember 2022 in Montreal auf.
    Dieser Vertrag, das Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework, verfolgt das Ziel, bis 2050 eine nachhaltige Bewirtschaftung der Natur ohne Raubbau zu erreichen. Bis 2030 sind 23 Zwischenziele festgelegt, darunter das „30/30-Ziel“: Ein Drittel der Land- und Meeresfläche soll geschützt und ein Drittel der degradierten Ökosysteme in einen naturnahen Zustand zurückversetzt werden.
    Der NABU hat die deutschen Schutzgebiete analysiert und festgestellt, dass Deutschland bisher nur etwa 18 Prozent der Flächen schützt, wobei nur Mecklenburg-Vorpommern das 30-Prozent-Ziel erreicht. Zudem erfüllen zwei Drittel der Schutzgebiete nicht die internationalen Standards, da häufig Schutzziele, Maßnahmenpläne, Monitoringvoraussetzungen und Ranger fehlen.

    Welche Ergebnisse brachte die Fortsetzung der COP16 in Rom?

    Der wohl wichtigste Beschluss der zweiten Verhandlungsrunde in Rom war die Finanzierung des Artenschutzes. Die Industrieländer verpflichten sich, jährlich 20 Milliarden Dollar bereitzustellen, bis 2030 soll die Summe auf 30 Milliarden steigen. Weltweit sollen dann ab 2030 insgesamt pro Jahr 200 Milliarden Dollar in den Schutz von Ökosystemen und ihrer Fauna und Flora fließen. Neben privaten Quellen sollen der Abbau und die Umwidmung von rund 500 Millionen Dollar naturschädlicher Subventionen dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen. Gleichzeitig wird überprüft, inwieweit die bestehenden Fonds zur Verwaltung der Mittel reformiert oder, falls nötig, durch neue Finanzinstrumente ergänzt werden können. So sollen Länder des globalen Südens leichter auf Hilfsgelder zugreifen und mehr mitentscheiden können.
    Besonders umstritten ist der bisher wichtigste Fonds: „Global Environmental Facility“ (GEF). Dieser ist unter dem Dach der Weltbank angesiedelt, wo die Stimmrechte historisch bedingt zu Ungunsten der ärmeren Länder verteilt sind. Außerdem wurde eine Strategie mit klaren Prüfkriterien verabschiedet, mit der die Staaten ihre Fortschritte bei der Umsetzung der national beschlossenen Biodiversitätsziele messen und sich gegenseitig darüber Rechenschaft ablegen werden. Im Zentrum steht dabei der Leitbeschluss des Weltnaturvertrags von 2022:  Weltweit sollen bis zum Jahr 2030 je 30 Prozent der Land- und Meeresflächen geschützt sein, viele zerstörte Ökosysteme wiederhergestellt und die Umweltverschmutzung reduziert werden

    Cali Fonds: Unternehmen sollen mitzahlen

    Die Umweltorganisation Greenpeace fordert, dass die versprochene Finanzierung nicht nur auf dem Papier existiert, sondern tatsächlich fließt. „Dies ist ein wichtiger Schritt, um das Vertrauen zu erhalten, dass die Finanzierungslücke im Naturschutz geschlossen werden kann. Doch das ist nur eine Seite der Medaille – die andere Seite ist das dringend benötigte Geld auf dem Tisch“, sagte An Lambrechts, Leiterin der Greenpeace-Delegation bei der COP16. Notwendig sei eine schnelle Bereitstellung der 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr sowie verpflichtende Beiträge großer Pharma- und Agrarkonzerne von mindestens 1 Prozent ihrer Einnahmen in den sogenannten „Cali Fund“.
    Dieser soll zu über 50 Prozent unbürokratisch indigenen Gemeinschaften und lokalen Gemeinden zugutekommen, die geschützte Gebiete verwalten. Beiträge zu diesem Fonds sind freiwillig. Die in Cali vorgegebene Messlatte für global aktive Konzerne lautet: entweder 1 Prozent der jährlichen Gewinne oder 0,1 Prozent des Jahresumsatzes. COP16-Präsidentin Susana Muhamad hob hervor, dass es sich nicht um wohltätige Spenden handele, sondern um einen angemessenen Beitrag von Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf dem vielfältigen Genpool basiert, den nur eine intakte Natur liefern kann.
    Der Bayer-Konzern erklärte dazu: „Für uns ist der Schutz der globalen Biodiversität ein wichtiges Thema, und wir sind bereit, uns hierfür in dem Cali Fund zu engagieren. Wir analysieren momentan, unter welchen Rahmenbedingungen wir feste Zahlungen in den Cali Fund leisten können. Dazu stehen wir im Austausch mit verschiedenen Stakeholdern aus Wirtschaft und Politik.“
    Viele Umweltschützer begrüßen die Einigung der Konferenz als wichtigen Schritt. „Die Vertragsstaaten haben gezeigt, dass sie globalen Herausforderungen auch in schwierigen Zeiten noch gemeinsam entgegentreten können“, sagte Florian Titze vom WWF Deutschland. „Das ist ein Hoffnungsschimmer für den Artenschutz und damit für unseren Wohlstand, unsere Gesundheit und Sicherheit auf diesem Planeten.“
    Das Treffen in Rom diente auch der Vorbereitung des Weltklimagipfels im November in Brasilien. In den Beschlüssen wird festgehalten, dass intakte Wälder, Moore, Meere oder Mangroven die Klimaerwärmung abbremsen, weil sie sehr große Mengen CO2 binden.
    Mit der Einigung hat die COP16 ein starkes Signal gesetzt: Trotz Rückschlägen bleibt der Schutz der Artenvielfalt auf der internationalen Agenda – diesmal mit einem klaren Umsetzungsplan. Die nächste UN-Biodiversitätskonferenz ist für 2026 in Armenien geplant.