Viele wissenschaftliche Berichte zeigen bereits auf, wie dramatisch der Klimawandel inzwischen vorangeschritten ist. Diesen Berichten hat sich nun auch der sechste Bericht des EU-Klimawandel-Dienstes Copernicus Climate Change Service (C3S) angeschlossen. In Europa haben die Durchschnittstemperaturen dem Bericht zufolge im vergangenen Jahr neue Höchstwerte erreicht. Temperaturen stiegen deutlich schneller an als in allen anderen Teilen der Erde. Klimawissenschaftler konnten befürchtete Rückkopplungseffekte beobachten, durch die sich die Erwärmung selbst verstärkte.
Die Klimaereignisse des vergangenen Jahres sind laut Copernicus-Direktor Carlo Buontempo besorgniserregend. "Das Klima, das uns erwartet, wird sehr, sehr anders sein als das Klima, in dem wir aufgewachsen sind", sagte Buontempo in einer Pressekonferenz. Umso wichtiger sei es, Daten und Wissen darüber zu sammeln und die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Der Klimawandeldienst wertet die Daten der europäischen Copernicus-Umweltsatelliten aus, stützt sich dabei aber auch auf Berechnungen von Wissenschaftlern und Angaben nationaler Wetterdienste.
Zu welchen Ergebnissen kommt der Copernicus-Bericht für Europa?
- Gesamteuropa: Die Durchschnittstemperatur lag 2022 etwa 2,2 Grad Celsius über dem Niveau vor der Industrialisierung. Es ist das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen.
- In Südeuropa waren die Menschen an bis zu 90 Tagen sehr starkem Hitzestress mit gefühlten Temperaturen zwischen 38 und 46 Grad Celsius ausgesetzt. In Italien, Spanien und auf dem Balkan wurden teilweise bis zu 90 solcher Tage gezählt, in Deutschland waren es je nach Region zwischen 20 und 30 Tage.
- Westeuropa: Die Temperaturen waren um zehn Grad höher als normalerweise in der Jahreszeit. Außergewöhnliche Temperaturrekorde gab es unter anderem in Großbritannien, wo das Thermometer zum ersten Mal auf über 40 Grad Celsius anstieg.
- Südeuropa und Frankreich: Anhaltende Wasserknappheit wird wahrscheinlich zu geringeren Ernten im laufenden Jahr führen.
Zu welchen Ergebnissen kommt der Copernicus-Bericht für den Rest der Welt?
- Der weltweite Temperaturanstieg lag bei 1,2 Grad.
- Die letzten acht Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen.
- 2022 gehört weltweit zu den fünf kühlsten Jahren der letzten acht Jahre; Datenunsicherheiten verhindern eine zuverlässige Einordnung dieser fünf Jahre.
- In der Arktis war die Erwärmung mit durchschnittlich 3 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit noch stärker als in Europa.
- Im tropischen Ostpazifik: Dort waren die Temperaturen am unterdurchschnittlichsten, was auf eine anhaltende La-Nina-Periode hinweist. La-Niña-Periode bedeutet, dass die Passatwinde und die Wassertemperaturen im zentralen und tropischen Pazifik deutlich unter die langjährigen Mittelwerte sinken.
- Ostaustralien: Relativ niedrige Temperaturen und hohe Niederschlagsmengen in 2022 sind ebenfalls typische Merkmale von La-Niña-Ereignissen.
Welche Gründe hat diese Entwicklung und welche Rückschlüsse lassen sich aus den Ergebnissen ziehen?
Weltweit steht das Jahr 2022 bei der Temperatur auf Platz fünf oder sechs – in Europa war es noch deutlich wärmer. Der Kontinent verzeichnete das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Messungen. Weltweit liegt der Temperaturanstieg inzwischen bei 1,2 Grad, so Rebecca Emerton, Leitautorin des Copernicus-Berichts, über den Zustand des Klimas in Europa.
Dass der Temperaturanstieg in dieser Region besonders schnell gehe, sei kein Zufall. Dies hänge mit der Lage des Kontinents zusammen, so Samantha Burgess, stellvertretende Direktorin des Copernicus-Klimawandeldienstes:
"Die europäische Region besteht vor allem aus Landmassen. Über dem Land geht die Erwärmung weltweit schneller voran als über den Meeren. Außerdem gibt es viele Rückkopplungen zwischen der Arktis, die sich noch schneller erwärmt, und der europäischen Region", so die Expertin.
Hitzewellen führen zu hoher Konzentration bodennahen Ozons
Ungewöhnliche Hitzewellen waren besonders charakteristisch für das Jahr 2022. Zu den Gefahren, die die Hitzewellen im vergangenen Jahr mit sich gebracht haben, gehöre ein Beitrag zur Ausbreitung von Waldbränden, so Rebecca Emerton.
"Sie haben in der Europäischen Union die zweitgrößte Ausdehnung erreicht, die je verzeichnet wurde. Die hohen Temperaturen und die lange Sonnenschein-Dauer haben auch dazu beigetragen, dass die Konzentration von bodennahem Ozon in vielen Regionen Europas ein gesundheitsschädliches Niveau erreicht hat.“
Dazu kam in vielen Regionen eine ungewöhnliche Trockenheit. In den Alpen verstärkte sich die Gletscherschmelze, gewaltige Eismassen gingen verloren. Vom Schmelzwasser der Gletscher hängt auch die Landwirtschaft in Regionen unterhalb der Berge ab, doch von Jahr zu Jahr gibt es weniger Gletscher. Insgesamt belaufe sich der Verlust auf fünf Kubik-Kilometer Eis, so Emerton.
Auf La Niña könnte El Niño folgen
Das Jahr 2023 könnte weltweit noch höhere Temperaturen bringen. In den vergangenen drei Jahren herrschten im östlichen Pazifik eher kühlere Wassertemperaturen vor, in der Fachsprache heißt dies „La Niña-Ereignis“. Viele Forschende erwarten, dass ein „El Niño“ folgt - mit besonders warmen Temperaturen. Carlo Buontempo, Direktor des Copernicus Klimawandel-Dienstes sagte:
"Wenn wir ein El-Niño-Ereignis bekommen, dann sehen wir Rekorde in der weltweiten Durchschnittstemperatur."
Weltweit führte ein El-Niño-Ereignis oft zu Rekordtemperaturen. "Ob dies 2023 oder 2024 auch passieren wird, das ist noch nicht bekannt", so Buontempo.
Durch mehr Treibhausgase weitere Erwärmung absehbar
Angesichts weiter steigender Treibhausgas-Konzentrationen in der Atmosphäre wird die Erwärmung weitergehen, da ist sich die Wissenschaft sicher. Europa wird sich darauf einstellen müssen.
„Die Umwelt wird unsere Söhne und Töchter vor andere Herausforderungen stellen als die, die die Erwachsenen oder unsere Eltern und Großeltern zu meistern hatten", so Buontempo.
Quelle: Georg Ehring, climate.copernicus.eu, Agenturen, dh