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Cornelia Funke verlässt die USA
Die dunkle Seite des amerikanischen Traums

Jugend- und Kinderbuchautorin Cornelia Funke verlässt ihre Avocado-Farm in Kalifornien und startet ein Künstlerprojekt in der Toskana. Die Waldbrandgefahr und die exorbitanten Bodenkosten an der US-Westküste sind nur zwei der Gründe für diesen Neubeginn.

Von Kerstin Zilm |
Starschriftstellerin Cornelia Funke mit Hunden auf ihrem Anwesen im kalifornischen Malibu
Starschriftstellerin Cornelia Funke mit Hunden auf ihrem Anwesen im kalifornischen Malibu (Deutschlandradio / Kerstin Zilm)
Cornelia Funke: "Das ist jetzt schon schön organisiert, und ein bisschen bereit, in die Toskana zu reisen, aber alles Recherchenmaterial für Drachenreiter…"
Cornelia Funke steht zwischen Kisten in ihrer zum Malstudio umgebauten Garage. Hier illustrierte sie ihre Bücher und malte Ölbilder. Sie zeigt auf einen langen Tisch voller Fotobüchern, Zeichnungen und Lexika - Inspiration für 130 Illustrationen, die sie gerade für den vierten Band der "Drachenreiter"-Serie zeichnet.
"Selbst einen Walfisch oder einen Delfin guckt man sich besser nochmal genauer an, bevor man den dann zeichnet."

Klimawandel, Grundsteuern, Trump-Regierung

Trotz der vielen Arbeit steht der Umzugstermin fest. Wenn das Coronavirus keinen Strich durch die Rechnung macht, lässt die Bestsellerautorin Ende August ihre geliebte Avocado-Farm in Malibu zurück. Fast vier Jahre hat sie hier gelebt, unter anderem ein Kinderbuch über den Tod geschrieben, den vierten Teil der "Reckless"-Serie und auf Englisch das Buch zu Guillermo del Toros Film "Das Labyrinth des Fauns".
Was wie eine plötzliche Entscheidung wirkt, sei ein längerer Prozess gewesen:
"Ich möchte das mal vergleichen mit lauter kleinen Bächen, die sich im Leben so langsam sammeln und aus lauter verschiedenen Richtungen Gedanken und Gefühle bringen. Man merkt gar nicht wie groß der Fluss inzwischen geworden ist, den diese kleinen Bäche geformt haben."
Der wichtigste Grund für ihren Umzug ist der Klimawandel. Vor zwei Jahren musste Cornelia Funke vor einem riesigen Waldbrand fliehen. Diesen Winter hat es wieder kaum geregnet. Viermal gab es Feueralarm in Malibu. Dazu kommen enorme Grundsteuern, die Sehnsucht nach europäischer Kultur, dann auch das wachsende Unbehagen gegenüber dem US-Gesellschaftssystem, dessen Ungerechtigkeiten sich unter der Trump-Regierung verschärften und offensichtlicher wurden:
"Wir haben alle in den letzten vier Jahren die dunkle Seite des amerikanischen Traums auf sehr dramatische Weise erlebt. Und auch wirklich das Scheitern des Gemeinsamen, des Füreinender-Daseins in einer Staatengemeinschaft, wo man hier gesehen hat, wie viele zurück gelassen werden."

Zur Weltbürgerin geworden

Gleichzeitig schätzt die Autorin weiterhin vieles an den USA: zum Beispiel die Neugier, Hilfsbereitschaft, Herzlichkeit und den Optimismus ihrer Bürger. Sie habe dem Land viel zu verdanken:
"Es hat mich zu einer Weltbürgerin gemacht, weil ich hier so vielen Identitäten, Nationalitäten, so vielen Träumen begegnet bin. Es hat mir die Welt geöffnet auf viele Weise. Ich geh jetzt keinesfalls zurück nach Europa mit dem Gefühl,'Oh Gott nein, Amerika, damit bin ich jetzt durch'. Überhaupt nicht."
Schließlich leben auch ihre Kinder noch in den USA. Doch: zu den Bächen, die ihren Lebensfluss Richtung Europa trieben, kam ein Kaufangebot, das sie kaum ausschlagen konnte.
Investoren wollen ihre Avocado-Farm - zusammen mit dem Grundstück nebenan - in eine Ökofarm für Stadtkinder verwandeln. Ein Projekt, das sie aus vollem Herzen unterstützt: "Und da hab ich mir dann gedacht: 'So, Cornelia, das Schicksal hat gesagt: Zieh' mal weiter.'"
Kurz darauf erzählte ihr eine Freundin aus der Toskana von einem alten Haus, das Bekannte verkaufen wollten:
"Die hatten das Haus aus einer Ruine renoviert, mit vier Gästeapartments drin, großen Werkräumen, schönem Wohnbereich für mich aber nicht zu groß. Alles, als ob das für mich perfekt gebaut worden wäre."

Die Vorteile der Toskana

Dort will Cornelia Funke nun die Künstlerresidenz, die sie in Malibu für Illustratorinnen, Autorinnen, Bildhauerinnen und Musikerinnen gegründet hat, weiter führen. Die Region habe ihre eigenen Vorteile:
"Es wird auch eine interessante kleine Stadt in der Nähe geben. In Malibu kann man zwar einen fantastischen Kaffee kriegen, aber kulturell … hmmhmm. Man kann Wale und Delfine sehen, und die werde ich auch sehr vermissen. Aber in Volterra kann man sich etruskische Ruinen angucken und auch mal einen Bildhauerworkshop mitmachen.
Erstmal muss Cornelia Funke aber in Malibu noch den vierten "Drachenreiter"-Band illustrieren. Es ist viel zu tun. Doch der Zauber des Neuanfangs beflügelt sie:
"Das wird alles wunderbar sein. Das wird ganz aufregend und das wird erst ganz schwierig. Ich muss mich um Steuern und Versicherung kümmern und mich neu erfinden, aber ich hab' inzwischen gelernt, dass das gar nicht so schwer ist wie man denkt, und dass es einen eigentlich immer inspiriert und ein bisschen wachsen lässt."