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Corona-Berichterstattung
Studie kritisiert Sondersendungen von ARD und ZDF

Mit Sondersendungen wie „ARD Extra“ und „ZDF Spezial“ haben die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender in den vergangenen Monaten über neue Entwicklungen der Coronakrise berichtet. Ein Forscherteam attestiert diesen Sendungen nun Mängel. ARD und ZDF weisen die Kritik zurück.

Von Annika Schneider |
Moderator Fritz Frey im Fernsehstudio während der Sondersendung "ARD extra" vom 31.3.
Moderator Fritz Frey spricht in der Sondersendung "ARD extra", die über die bundesweiten, aktuellen Entwicklungen rund um die Covid-19-Pandemie (ARD / Screenshot)
Über 90 Ausgaben der Nachrichtensondersendungen "ARD Extra" und "ZDF spezial" haben Dennis Gräf und Martin Hennig von der Universität Passau ausgewertet – gesendet ab der zweiten Märzwoche bis in den Juni hinein. Ihr Fazit: Mit ihrer Berichterstattung hätten die beiden Sender ein permanentes Krisen- und Bedrohungsszenario vermittelt.
Äußern wollen sich die beiden Forscher gegenüber dem Deutschlandfunk nicht. Auf eine Interviewanfrage antworten sie, dass sie mit ihren Ergebnissen zum Diskurs beitragen, sie aber nicht noch einmal kommentieren wollten. Im Aufsatz zur Studie findet das Team umso deutlichere Worte. Die Regierungsmaßnahmen in der Pandemie seien in den Sondersendungen wenig hinterfragt worden. Ob sie effizient und angemessen waren, sei kaum verhandelt worden.
ARD: "Solche Krisensituationen sind die Stunde der Exekutive"
Matthias Fornoff, Leiter der ZDF-Hauptredaktion Politik und Zeitgeschehen, weist das von sich. Die Opposition sei im Programm ebenfalls zu Wort gekommen: "Klar ist aber auch, solche Krisensituationen sind die Stunde der Exekutive. Also die Maßnahmen sind ja kommuniziert und erklärt worden, sie sind untermauert gewesen mit den Erkenntnissen der Wissenschaft. Es wäre unverhältnismäßig gewesen, wenn wir da nur pseudokritisch draufgeschlagen hätten.
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Auch Rainald Becker, Chefredakteur der ARD, kann mit den Beobachtungen der Studienautoren wenig anfangen: "Niemand hatte in dieser Pandemie eine Blaupause für das, was geschehen ist. Auch nicht die Politik, nicht die Wirtschaft. Auch wir Journalisten nicht. Und ich glaube, wenn man das berücksichtigt, das im Hinterkopf behält, dann haben wir unsere Sache unterm Strich im Großen und Ganzen gut gemacht. Und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Die Akzeptanz unserer Sendungen war außerordentlich groß und das zeigt ja, dass die Informationen gesucht wurden und auch benutzt wurden."
Forscher kritisieren "negative Weltsicht"
Für ihre Studie haben die Autoren allerdings keine Quoten gemessen. Ihre Methode stammt aus der Filmsemiotik, das heißt, sie untersucht die Bildsprache und Dramaturgie der Nachrichtenformate. Zu sehen waren zum Beispiel immer wieder leere Geschäfte und Fußgängerzonen – was auf die Bildwelten apokalyptischer Endzeiterzählungen verweise, so die Forscher.
ZDF-Journalist Matthias Fornoff: "Das haben wir uns ja nicht ausgedacht, weil wir dramaturgische Effekte erzielen wollten wie im Horrorfilm, sondern das ist Tatsache gewesen über viele Wochen, und die müssen wir dann auch transportieren, auch in den Bildern. Dann kann man an der Stelle als verantwortlicher Journalist nicht sagen, wenn das bei Leuten Ängste auslöst, was die Wirklichkeit anrichtet, berichte ich nicht mehr über die Wirklichkeit. Ich will aber zugeben, dass der Eindruck des Alarmismus schon auch entstehen kann. Aber das war halt auch eine Situation, wo die Alarmsirenen klingen mussten."
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Aus Sicht der Studienautoren haben die aber wohl zu laut geschrillt. Die Berichterstattung sei nicht lösungsorientiert gewesen, schreiben sie – stattdessen sei es fast nur um Probleme gegangen. Als Hoffnungsschimmer sei primär die Suche nach einem Impfstoff präsentiert worden. Die Rede ist von einer "negativen Weltsicht".
ARD-Chefredakteur Rainhald Becker widerspricht: "Journalismus ist nicht dazu da, Lösungen zu finden oder Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Das müssen andere tun. Das muss die Politik tun, das muss die Wirtschaft tun, das müssen die Menschen tun. Aufgabe von Journalismus ist es, eine Wirklichkeit, ein Geschehen zu beschreiben."
Medienforscher Pörksen sieht "jede Menge Ansätze des konstruktiven Journalismus"
Und das sei in der Pandemie überwiegend gelungen, sagt auch Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft in Tübingen: "Aus meiner Sicht haben wir durchaus, und zwar jetzt unabhängig von ARD und ZDF gesprochen, auch in Magazinen, in Zeitungen, jede Menge Ansätze auch des konstruktiven Journalismus auch beobachten können: Wie geht man mit den unvermeidlichen Kommunikationskonflikten um? Wie beantragt man Gelder und Unterstützung? All das sind Fragen gewesen, die im Journalismus durchaus stattfanden."
Bernhard Pörksen zufolge habe es nur Ende März eine kurze kritikwürdige Phase gegeben, als es um die Exit-Debatte ging und der politische Journalismus das Thema nicht entschieden genug angepackt habe. Die Studie aus Passau ist aus Sicht des Medienwissenschaftlers zu sehr in rein akademischen Erzähltheorien verhaftet – und zu wenig informiert über die tatsächliche journalistische Praxis. Fraglich ist auch, wie aussagekräftig es ist, in einer Studie nur Sondersendungen zu analysieren. Denn die sind schließlich nur ein kleiner, sehr spezifischer Ausschnitt der Corona-Berichterstattung von ARD und ZDF.