Stehen wir vor einer neuen Finanz- und Wirtschaftskrise?
Die heutigen Panik-Verkäufe erinnern an die Kursrückgänge nach dem Platzen der Dotcom-Blase vor mehr als 18 Jahren und an die Folgen der Lehman-Pleite und der anschließenden Weltfinanzkrise 2008/2009.
Es ist der Höhepunkt einer Entwicklung an den Finanzmärkten, die schon seit Tagen anhält: Immer wieder gab es sehr starke Kursrückgänge bei den Aktien an allen wichtigen Finanzplätzen der Welt. Im Gegenzug flüchten die Anleger in sichere Staatspapiere, abzulesen an den Renditen, die die Papiere noch bringen: Diese gehen stark zurück. Der Goldpreis dagegen steigt und steigt.
Die Nerven der Anleger liegen blank: Der sogenannte VDax, das ist ein Barometer, das die Nervosität der Anleger misst, ist um fast 60 Prozent nach oben geschossen, der größte Anstieg, seitdem überhaupt gemessen wird. Viele an den Märkten sprechen bereits von einem "Schwarzen Montag" der Finanzgeschichte.
Ist der "Lehman-Moment" gekommen?
Eine gewisse Vergleichbarkeit ist schon da. Denn damals, vor der Finanzkrise 2008, hätte auch niemand gedacht, dass der Staat die Bank Lehman Brothers fallen lassen würde. Das Undenkbare, das Unerwartete, das ist das, was die Panik an den Finanzmärkten verursacht.
Der Publizist und Börsenhändler Nassim Nicholas Taleb hat dafür das Bild des "Schwarzen Schwans" erfunden, also die Macht eines höchst unwahrscheinlichen Ereignisses, das die Börsen abstürzen lässt. Heute könnten wir zumindest von einem "Grauen Schwan" sprechen, weil es auch ein so völlig unerwartetes Ereignis gab, das dem Aktieneinbruch vorausging: nämlich der Absturz des Ölpreises um 30 Prozent.
Warum ist der Ölpreis so stark eingebrochen?
Weil sich die Organisation erdölexportierender Länder OPEC und Russland nicht auf eine Drosselung der Ölförderung einigen konnten. Wegen der Coronakrise und der gesunkenen Nachfrage insbesondere aus China ist der Ölpreis stark unter Druck. Saudi-Arabien wollte den Preis durch eine Drosselung wieder nach oben treiben, Russland dagegen nicht, weil die Russen Marktanteile gewinnen und lieber noch mehr Öl liefern wollen.
Völlig überraschend und irrational hat Saudi-Arabien dann gestern, am Sonntag, angekündigt, die Ölpreise zu senken, um bis zu sechs Dollar pro Barrel (das sind 159 Liter Rohöl), und die Produktion hochzufahren. Das brachte den Ölpreis in den freien Fall und führte zum stärksten Einbruch am Ölmarkt seit dem Golfkrieg 1991.
Wird es eine Rezession in Deutschland geben?
Viele Volkswirte gehen inzwischen davon aus, der Bundesverband der Deutschen Industrie warnt davor. Seit heute gibt es nochmals eine neue Lage. Denn einerseits werden sich Autofahrer freuen, wenn sie in den nächsten Tagen sinkende Preise an den Zapfsäulen sehen. Aber ein derart niedriger Ölpreis - manche erwarten sogar schon ein Niveau von 20 Dollar - wird massive Probleme in der Öl- und Gasindustrie verursachen, allen voran beim größten Ölproduzenten der Welt, den USA.
Die brauchen eigentlich für ihre kostendeckende Ölförderung – das Fracking aus Schieferöl - ein Niveau von 70, 80 Dollar. Russland und Saudi-Arabien könnten Probleme mit ihren Staatshaushalten bekommen: Saudi-Arabien braucht eigentlich ein Ölpreisniveau von 80 Dollar, beim russischen Staatshaushalt ist ein Niveau über 50 Dollar eingestellt.
Durch den niedrigen Ölpreis drohen zusätzlich erhebliche Verwerfungen in der Weltwirtschaft, die auf Deutschland als Exportland zurückfallen können. Der "Graue Schwan" heute hat also ganz viel mit den Aussichten für die Wirtschaft in Deutschland zu tun.