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Corona-Chaos
Politologe Herfried Münkler: Wer nicht dazulernt, verliert

In der Coronakrise ist eine Strategie nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler nicht erkennbar. Münkler plädiert im Dlf dafür, ausgetretene Pfade des Denkens und Handels zu verlassen - und nimmt dafür ausdrücklich auch die Gesellschaft in die Pflicht.

Herfried Münkler im Gespräch mit Karin Fischer |
Herfried Münkler, Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität, 2018.
Herfried Münkler, Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
Maskenskandal, Impfkrise, Test-Mangel, Inzidenzwert-Chaos. Deutschland versagt derzeit beim Corona-Management, auch im internationalen Vergleich. Auf die Frage, ob westliche Demokratien besser auf strengere Regeln oder mehr Eigenverantwortung setzen sollte, gibt es nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler aber keine eindeutige Antwort. Eine liberale Gesellschaft könne nicht nur über die Erklärung von Notständen funktionieren, auch wenn sie dazu in der Lage sein müsse. Bislang habe die Politik allerdings für eine dramatische Verunsicherung gesorgt.

"Es wäre mir eine große Freude, wenn man in der Politik und auch in der Administration allmählich begreifen würde, wie Lernen geht, und nicht weiterhin mit Durchwursteln auf die Herausforderung reagieren würde", sagte Münkler im Deutschlandfunk.
Ein fahrbares Transparent mit der Aufschrift "Aktuelle Regelungen" steht auf dem Rheinboulevard in Köln. Daneben gehen zwei Polizisten mit Masken. 
Kommentar: Die Politik traut ihren eigenen Corona-Beschlüssen nicht
Bund und Länder haben Lockerungen der Corona-Maßnahmen beschlossen. Mit kaum durchschaubaren Inzidenz-Kaskaden und Rückfall-Mechanismen würden jedoch bereits Vorkehrungen für einen erneuten Anstieg der Infektionszahlen getroffen, kommentiert Frank Capellan.

Kein Zurück in die Vergangenheit

Man müsse jetzt für eine Zukunft lernen, die von Pandemien geprägt sein werde. "Da werden wir uns darauf einstellen müssen. Es wird kein Danach im Sinne des Davor geben", so Münkler. Er nimmt dafür auch die Gesellschaft in die Pflicht: Sie sei nicht in der Lage, außerhalb des Funktionierenden zu denken. Als Beispiel nennt Münkler den Datenschutz, aufgrund dessen keine wirkungsvolle Corona-App installiert werden konnte. "Und das zeigt schon eine Form der Alterung, ich möchte fast sagen: Verdummung einer Gesellschaft, die solche Herausforderungen einfach nicht zu denken bereit und in der Lage ist." Das sei ein Nachteil gegenüber autoritären Regimen.

Nicht alles dem Markt überlassen

Seiner Meinung nach funktioniere die Bundesrepublik als Vorsorgestaat schlechter denn als Nachsorgestaat, der seinen Bürgern mit Ausgleichzahlungen und Kurzarbeitergeld helfe. Vorsorge sei aber die zentrale Herausforderung und hier reihe sich Manko an Manko, von Beginn der Pandemie an bis heute. "Und man kann auch nicht erkennen, dass es so etwas wie eine Strategie gibt", beklagt Münkler, allenfalls eine Taktik, in der auf kurzfristige Entwicklungen unterschiedlich reagiert werde.
"Deutschland hat im Zeichen des Neoliberalismus vergessen, dass ein Staat bereit sein muss, für Notsituationen einspringen zu können", so der Politikwissenschaftler. Das sei aber weder bei der Beschaffung von Masken der Fall gewesen noch bei der Produktion von Impfstoffen. "Man hat sich in einer dramatischen Naivität auf die Versprechen des Weltmarkts verlassen und war damit verlassen." Das Agieren unter Knappheit sei eine ganz neue Erfahrung und diese Art von Konkurrenz werde nicht auf Win-Win-Situationen, sondern auf Nullsummenspiele hinauslaufen, glaubt Münkler. "Das scheint selbst Ursula von der Leyen inzwischen begriffen zu haben."