Fackelzüge, Drohbriefe, fliegende Flaschen - die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen werden aggressiver.
Versammlungen gab es zum Jahresende in mehreren Städten, unter anderem in Ravensburg, Mannheim und Pforzheim. Nach Ausschreitungen bei einer Demo in Schweinfurt wurden Ende Dezember vier Teilnehmer im Schnellverfahren verurteilt. Auch in den osttdeutschen Bundesländern Sachsen, Sachsen Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg haben die Proteste zum Ende des Jahres an Zulauf gewonnen.
Wo spitzen sich die Proteste zu?
Schwerpunkt Osten:
In Sachsen gab es bereits im März dieses Jahres erste Konfrontationen zwischen Demonstranten und der Polizei bei Corona-Kundgebungen. Im Verlauf der letzten anderthalb Jahre zählte das sächsische Innenministerium mehr als 2.800 öffentliche Protestaktionen mit Corona-Bezug. Dabei wurden bislang 891 politisch motivierte Straftaten erfasst. Das geht aus einer Kleinen Anfrage der Linken hervor. Fast 200 dieser Taten richteten sich gegen Polizistinnen und Polizisten.
Auch in Sachsen-Anhalt nehmen die Proteste zu. Nach Weihnachten gingen wie in Sachsen Tausende Menschen auf die Straße - unter anderem in Magdeburg und Halle. In Brandenburg zählte die Polizei zwischen dem 21. und dem 27. Dezember nach eigenen Angaben landesweit mehr als 95 Versammlungen. Dort seien die Proteste überwiegend friedlich verlaufen. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) hatte sich in der "Märkischen Allgemeinen" besorgt über die Entwicklung gezeigt: "Mit dabei sind normale Menschen, die ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen. Wir beobachten aber zunehmend, dass Rechtsextremisten versuchen, diese Bewegung zu kapern und für ihre Zwecke politisch zu missbrauchen".
Schwerpunkt Süden:
In Baden-Württemberg gab es bisher vor allem in Reutlingen gewaltsame Proteste. Im nordbayerischen Schweinfurt waren bei einer Versammlung Mitte Dezember bereits zehn Menschen festgenommen worden. Nach Weihnachten eskalierte dort die Situation weiter. Hunderte Menschen hatten laut der Polizei unangemeldet gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen protestiert. Acht Polizisten und mehrere Teilnehmer wurden verletzt, darunter ein vierjähriges Kind. Vier Angeklagte wurden danach verurteilt. Das Amtsgericht verhängte in beschleunigten Verfahren Geld- und Bewährungsstrafen. Versammlungen gab es zuletzt aber auch in München, Nürnberg oder Traunstein.
Viele Demos waren nicht ordnungsgemäß angemeldet, sondern sind aus Foren in sozialen Netzwerken heraus entstanden und als "Spaziergang" bezeichnet worden.
Wer beteiligt sich an den Protesten?
Schwerpunkt Osten:
Eine der treibende Kräfte der Demonstrationen ist "Freie Sachsen". Die Partei hat sich Anfang des Jahres im Erzgebirge gegründet. Der Landesverfassungsschutz stuft sie als verfassungsfeindlich ein. Führende Köpfe sind etablierte Rechtsextreme, wie der NPD-Funktionär Stefan Hartung. Der Vorsitzende ist Martin Kohlmann, Stadtrat in Chemnitz für die rechtsextreme Kleinstpartei ProChemnitz.
Mit dem Plauener Busunternehmer Thomas Kaden ist auch ein bekannter Querdenken-Aktivist Mitgründer der Freien Sachsen. Die "Freien Sachsen" mobilisieren in Telegram-Gruppen auch in Sachsen-Anhalt. Dort mischt auch die AfD aktiv mit und ruft immer wieder zu Demonstrationen unter dem Motto "Gegen Impfzwang und Corona-Diktatur" auf.
Nach Ausschreitungen bei Corona-Protesten in Bautzen am 26. Dezember sind Forderungen nach einem Verbot der "Freien Sachsen" laut geworden. Alle Kriterien seien erfüllt, Innenminister Roland Wöller (CDU) müsse handeln, schrieb die Linke-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz auf Twitter.
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Schwerpunkt Süden:
In Bayern gibt es bei den Demonstrationen ein großes Spektrum: Von religiös-motivierten Teilnehmern aus dem christlich fundamentalen Spektrum, Männern mit Migrationshintergrund bis hin zu jungen Müttern, die Angst haben, dass ihre Kinder geimpft werden oder Heilpraktikerinnen, die gegen die Schulmedizin und Pharmaindustrie wettern. Rechtsextreme wie die NPD und der „Dritte Weg“ versuchen auch in Bayern die Teilnehmer-Schar zu kapern. Auch die AfD ist vertreten.
Die Proteste in Baden-Württemberg kommen vor allem aus der alternativen, teils anthroposophischen Szene. Von Anfang an sind auch rechte Kräfte dabei. Auch die Reichsbürger-Szene ist aktiv. Während es die AfD schwerer hat, in Baden-Württemberg Fuß zu fassen, versammelt sich die Protestzene im Kern um die Gründer der Querdenken-Bewegung, wie zum Beispiel Michael Ballweg.
Was sind die Gründe für die Eskalation?
Die Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht sei ein entscheidender Punkt bei der Radikalisierung, berichtet der Journalist Alexander Roth im Dlf. Wer sich jetzt noch auf Telegram in den Querdenken-Gruppen befinde, der habe eine klare Haltung zur Impfung: „Entweder, dass die Impfung sehr, sehr schadet und dann auf lange Sicht zum Tode führt oder direkt zum Tod führt.“
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Auch der Messenger-Dienst Telegram befeuert die Aggressivität. Dort existiere eine ganz große Angst vor der „Todesspritze“, so Roth. Dem begegneten die Menschen mit unterschiedlichen Strategien: "Einige wandern aus, andere diskutieren ganz offen über Gewalt als Maßnahme und wieder andere melden sich krank und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen."
Die Telegram-Gruppe der "Freien Sachsen" ist in diesem Jahr sehr schnell von 10.000 zum Jahresbeginn auf über 100.000 gewachsen. Dort macht die Partei Stimmung und verbreitet Verschwörungstheorien und Falschinformationen.
Mehr zum Thema Verschwörungstheorien:
Laut dem Chefredakteur der „Freie Presse“ aus Chemnitz, Torsten Kleditzsch, ist die Corona-Pandemie im Osten nicht der Kern der Proteste. Vielmehr versuchten rechte Kräfte, den Vertrauensverlust in den Staat für sich auszunutzen. Der mangelnde Glaube an staatliche Institutionen werde durch die Pannen der Politik noch weiter verschärft. Dieses Muster sei nicht nur auf den Osten beschränkt, funktioniere hier aber besser als anderswo, weil auch 31 Jahre nach der Wiedervereinigung vielerorts eine gewisse Distanz zur Ordnung der Bundesrepublik erhalten geblieben und die ausgleichende Mitte dünn besetzt ist.
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Der Konfliktforscher Ulrich Wagner plädiert für klare, normative politische Vorgaben in der Corona-Pandemie – zum Beispiel in Form einer Impfpflicht. Nur so könne man noch Teile der Querdenker-Szene zum Umdenken bringen. Problematisch sei, dass die gesellschaftlichen Gruppen nicht mehr miteinander redeten.
Der Konfliktforscher Ulrich Wagner plädiert für klare, normative politische Vorgaben in der Corona-Pandemie – zum Beispiel in Form einer Impfpflicht. Nur so könne man noch Teile der Querdenker-Szene zum Umdenken bringen. Problematisch sei, dass die gesellschaftlichen Gruppen nicht mehr miteinander redeten.
Wie reagiert die Politik?
Bisher reagiert die Politik vor allem mit Appellen und verweist auf das Versammlungsrecht. Auf Dlf-Anfrage heißt es beim Innenministerium Sachsen-Anhalt, dass man alle friedlichen Demonstranten darum bitte, "sich von gewaltbereiten und von rechtsextremistischen Teilnehmern fernzuhalten" und "sich nicht instrumentalisieren zu lassen".
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält Demonstranten, die Corona-Proteste zur Diffamierung staatlicher Institutionen nutzen, für "Aasgeier der Pandemie". Dieser Begriff sei für Rechtsextreme, denen die Pandemie nur ein willkommener Anlass sei, um gegen den Staat zu hetzen, "eine gute Charakterisierung", sagte Kretschmann vor Journalisten.
NRW-Innenminister Herbert Reul hat im Dlf nochmals betont, dass jeder Protest, der stattfinde, berechtigt und zu schützen sei. Wenn aber Regeln verletzt würden, müssten die Sicherheitskräfte eingreifen. Er nahm damit Bezug auf einen Gesetzesentwurf der schwarz-gelben Landesregierung. Darin enthalten ist ein sogenanntes Militanzverbot, mit dem Versammlungen und Veranstaltungen unter freiem Himmel verboten werden können, wenn durch das äußere Erscheinungsbild Gewaltbereitschaft vermittelt wird.
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Die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat bereits als Reaktion auf die Proteste am Wochenende vom 11. und 12. Dezember angekündigt, die Radikalisierung von Querdenkern zu untersuchen. "Bedrohungen und Einschüchterungen sind völlig inakzeptabel", schrieb sie auf Twitter.
Auch den Messengerdienst Telegram will Faeser in die Mangel nehmen. Das Bundesamt für Justiz habe gegen Telegram zwei Verfahren wegen des Verstoßes gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz geführt, auf die Telegram nicht reagiert habe. "Das wird diese Bundesregierung so nicht hinnehmen", sagte Faeser.
Quelle: Dlf, Anh Tran, Katharina Thoms, Alexander Moritz, Michael Watzke, nm, dpa, afp