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Tönnies und Co.
Zwei Jahre nach den Corona-Ausbrüchen in der Fleischindustrie

Vor zwei Jahren geriet die deutsche Fleischindustrie durch massive Corona-Ausbrüche und entsprechende Lockdowns für ganze Regionen stark unter Druck. Im Fokus standen die schlechten Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsformen. Ein Gesetz sollte Ende 2020 für Abhilfe sorgen. Die Bilanz fällt gemischt aus.

Von Manfred Götzke |
Frisch geschlachtete Schweine hängen in einem Kühlhaus des Fleischunternehmens Tönnies.
Auch nach der Gesetzesänderung von Werkverträge von Ende 2020 berichten Beschäftigte in der Fleischindustrie von Missständen bei ihrer Arbeit. Insgesamt gebe es aber Verbesserungen. (dpa / Bernd Thissen )
Mit weißem Schutzanzug, Gummistiefeln, Schutzhaube und Maske bekleidet passieren wir eine Hygieneschleuse in Deutschlands größter Fleischfabrik. Hände waschen, desinfizieren, dann geht es weiter. Gereon Schulze-Althoff führt in eines der Kühlhäuser von Tönnies in Rheda-Wiedenbrück in Ostwestfalen. Schulze-Althoff leitet das Qualitätsmanagement von Tönnies. Umsatz 2021: 6,2 Milliarden Euro.
Tausende zerteilte Schweinehälften hängen von der Decke, gleiten wie von unsichtbarer Hand bewegt durch den Raum – werden zur Weiterverarbeitung in die nächsten Hallen geschoben. „So lang das Auge reicht, sind jetzt hier Kühlräume, wo diese Schweine hängen, die sind nach bestimmten Regeln jetzt, nach Kriterien auf den Rohrbahnen sortiert – denn jedes einzelne Schwein ist bis zu seiner Herkunft zurückzuverfolgen.“
Zwei Jahre nach den massiven Corona-Ausbrüchen bei Tönnies, als die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen der osteuropäischen Schlachter in deutschen Fleischunternehmen publik wurden, bemüht sich der Konzern um ein besseres Image. Und auch um mehr Offenheit gegenüber Journalisten. Deswegen hat das Unternehmen zu einer ausführlichen Begehung eingeladen, ins Hauptwerk in Rheda-Wiedenbrück. „Das ist der letzte Desinfektionsschritt und dann geht’s in die Zerlegung.“

Bezahlung in der Produktion laut Tönnies zwischen 11 und 18 Euro

Nach einer weiteren Hygieneschleuse betreten wir eine der Produktionshallen. Von einer Maschine werden die Schweinehälften in drei Teile geschnitten – Schulter, Bauch, Schinken. Diese wandern dann auf Fließbänder, an denen links und rechts Arbeiter stehen.
„Das ist handwerklich harte Arbeit, die sie hier sehen. Und gerade die Leute, die hier vorne sind, die so genannten Auslöser, das sind echte Spezialisten. Denn es ist ja wichtig, dass das Fleisch am Fleisch bleibt und nicht am Knochen.“ Mit Wucht schneiden die Arbeiter im Sekundentakt große Fleischteile vom Knochen ab. Sie wirken hochkonzentriert, um mit der hohen Geschwindigkeit des Fließbandes mitzuhalten. Kaum jemand redet. Hört man mal ein paar Wortfetzen, dann auf Rumänisch.
„Und dann gibt es Arbeiter, die sagen, das ist mir zu schnell, und es gibt Arbeiter, die sagen, das ist mir zu langsam. Weil die ja dann auch ihre Arbeiten fertig haben wollen, ihre Prämien haben wollen und und und. Es gibt immer welche, die mit der Arbeit nicht so gut zurechtkommen, wir haben ja auch Neulinge, angelernte Tätigkeiten, für die diese Arbeit auch nichts ist. Und für andere ist das deren Leben und auch deren Spaß an der Arbeit – und die machen das gerne.“
Pausen gibt es nur alle zweieinhalb Stunden, erzählt Schulze-Althoff, während wir zur nächsten Station im Werk weitergehen. Sehr harte Arbeit, das gibt der Manager zu, doch verhältnismäßig gut bezahlt, meint er. Die Schlachter hier am Fließband bekämen mehr als den Branchenmindestlohn von 11 Euro die Stunde, manche bis zu 18 Euro. „Das ist jetzt so eine typische Fließbandtätigkeit, das ist für uns, die wir das nicht kennen – wow, immer wieder kommt das nächste. Das ist ein in Deutschland inzwischen fremd gewordener Ansatz, dass es eben noch Arbeit gibt, wo viele Menschen an einem Ort handwerklich arbeiten. Wir haben sonst viele von diesen Tätigkeiten in andere Länder gebracht, nehmen sie mal die Textilindustrie. Nehmen sie andere Industrien, wo die Industrielenker gesagt haben, das ist zu viel handwerkliche Arbeit, das können wir uns in Deutschland nicht leisten.“

2020 waren deutsche Fleischbetriebe Corona-Hotspots

Seit gut anderthalb Jahren sind die Arbeiter hier im Werk bei Tönnies sozialversicherungspflichtig fest angestellt. Im Sommer 2020, als es zu den massiven Corona-Ausbrüchen bei Tönnies, Westfleisch und anderen großen Schlachtfabriken kam, war das noch anders.
Das Kerngeschäft – das Schlachten und Zerlegen von Schweinen – haben bis 2020 Arbeiter erledigt, die bei Sub- oder Sub-Subunternehmen angestellt waren. Werkvertragsbeschäftigte und Leiharbeiter, fast alle aus Osteuropa. Wie viel sie wirklich verdienten, wo und wie sie untergebracht waren – damit musste sich Tönnies nicht weiter befassen. Man habe einfach die gesetzlichen Möglichkeiten genutzt, sagt Schulze- Althoff heute. „Das Subunternehmertum, das Werkvertragswesen, das Entsendegesetz war viele Jahre eben Teil der arbeitsteiligen Produktion und das haben wir halt auch so genutzt – und es wird in Deutschland auch noch sehr massiv genutzt –, nur eben nicht in der Fleischwirtschaft. Wir können damit gut umgehen, solange es alle Unternehmen der Fleischbranche betrifft.“
Im Mai und Juni 2020 waren die Werke von Tönnies, Westfleisch und anderer Fleischunternehmen Corona-Hotspots, vermutlich wegen der Kälte in den Werken und der eng an eng an Fließbändern arbeitenden Schlachter. Bei der Tönnies-Werksführung betont Qualitätsmanager Schulze-Althoff immer wieder, man habe sich bei den Corona-Maßnahmen am Stand der Wissenschaft orientiert, Masken etwa waren recht früh Pflicht im Betrieb. Das Verwaltungsgericht Minden hat inzwischen geurteilt, dass die Ausbrüche bei Tönnies nicht auf mangelhafte Hygiene zurück zu führen seien.
Doch die massive Häufung von Corona-Fällen in den verschiedenen Fleischunternehmen führte dazu, dass die Arbeits- und Wohnbedingungen der Schlachter aus Rumänien, Polen und Bulgarien in den Fokus der Öffentlichkeit rückten. Arbeiter, die zu sechst in heruntergekommen Zimmern leben, pro Bett 200, 300 Euro zahlen. Subunternehmer, die ihre Beschäftigten um ihren Lohn betrügen. Jahrelang hat Anna Szot diese Form der modernen Ausbeutung beobachtet. Sie arbeitet bei der „Fairen Mobilität“ in Rheda-Wiedenbrück. Einem Beratungsnetzwerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

"Überstunden wurden nicht ausgezahlt – Stundenraub sozusagen"

Szot berät seit einigen Jahren osteuropäische Arbeiter aus der Fleischindustrie. „Die Hauptproblematik war, dass die Löhne nicht gezahlt wurden, dass die nicht in der Höhe gezahlt wurden, wie gearbeitet wurde. Überstunden wurden nicht ausgezahlt – Stundenraub sozusagen. Ein anderer weiterer Punkt war die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, da hatten wir regelmäßig Probleme, dass die Leute das nicht bekommen haben. Da wurde gesagt, dass sie kündigen sollen. Wenn die wieder genesen sind, können die sich wieder einstellen lassen. Da wurden immer wieder Falschinformationen gegeben, dass denen das nicht zusteht. Genauso wie bei Schwangerschaften, Frauen wurde gekündigt, wenn die schwanger wurden. Und weil sie nicht wussten, wohin sie sich wenden sollen – haben die das quasi akzeptiert.“
Probleme, die eigentlich seit Jahren bekannt waren, die aber meist schnell und folgenlos wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwanden – 2020 waren sie auf einmal länger Gesprächsthema. Womöglich auch, weil die Corona-Ausbrüche Folgen weit über die Tönnies-Belegschaft hinaus hatten: wegen der vielen Krankheitsfälle bei Tönnies war der Kreis Gütersloh besonders lange im Lockdown, während andernorts in Deutschland deutlich gelockert wurde.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD sprach damals mit Blick auf die Fleischindustrie von „organisierter Verantwortungslosigkeit“. „Der Bundesgesetzgeber muss offensichtlich Regeln nachschärfen, weil wir erleben, dass da Menschen aus Mittel- und Osteuropa ausgebeutet werden und im Zweifelsfall auch ein Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung besteht. Das alles ist ein Grund dafür, dass wir aufräumen müssen – und das wird auch geschehen.“

Ende 2020 erging ein gesetzliches Verbot von Werkverträgen

Das Aufräumen ging verhältnismäßig schnell: Nachdem Hubertus Heil im Mai 2020 Eckpunkte für eine strenge Regelung vorgelegt hatte, wurde Ende 2020 ein Gesetz verabschiedet. Das Arbeitsschutzkontrollgesetz. Wichtigste Neuerung: Das Verbot von Werkverträgen für alle Kerntätigkeiten in der Fleischwirtschaft, also das Schlachten, Zerlegen und die Fleischverarbeitung, in Kraft getreten zum 1. Januar 2021.
Damit wurde ein System, das über viele Jahrzehnte die gesamte Arbeitsorganisation der Branche geprägt hatte, Geschichte. Karl Josef Laumann, Arbeitsminister in NRW: „Ich bin ganz sicher, dass wir dieses Gesetz ohne Corona nicht bekommen hätten. Dass die Leute jetzt angestellt sind und nicht mehr Werkvertragsarbeitnehmer sind, ist mittelfristig eine gute Sache und das zweite ist, wir haben durch die digitale Zeiterfassung auch die Möglichkeiten, dass wir Arbeitszeiten einfach kontrollieren können – und wenn man Arbeitszeiten kontrollieren kann, kann man auch den Mindestlohn kontrollieren.“
Mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz wurde auch die Kontrolldichte erhöht: Die Aufsichtsbehörden müssen mindestens fünf Prozent der Betriebe pro Jahr aufsuchen – zwar muss damit jeder Betrieb im Schnitt nur alle 20 Jahre mit einer Arbeitsschutzkontrolle rechnen. Aber bei Schlachtbetrieben – wie Tönnies – werde häufiger hingeschaut, sagt NRW-Arbeitsminister Laumann. „Bei Tönnies wird bis heute zwei Mal die Woche kontrolliert. Ich glaube, dass sie kein Bundesland finden wo so viele Schlachthöfe kontrolliert wurden, wie bei uns und auch permanent.“

2.000 Verstöße gegen Arbeitsrecht in NRW-Fleischindustrie in 2021

In der gesamten Fleischindustrie in NRW stellte der nordrhein-westfälische Arbeitsschutz letztes Jahr bei rund 1.000 Kontrollen knapp 2.000 Verstöße fest – gegen das Arbeitsschutz- und Arbeitszeitrecht. „Wir sind auf dem Weg, dass es besser wird. Die Kultur ändert sich ja nicht von heute auf morgen, sowohl bei den Arbeitnehmern als auch bei den Unternehmen. Aber klar ist doch, wenn die Leute fest angestellt sind, werden sie irgendwann auch einen Betriebsrat wählen, irgendwann in die Gewerkschaft gehen. Dann werden sich die Dinge verändern. Und all das passiert ja bei Werkvertragsverhältnissen, wo man den einzelnen Arbeitnehmer gar nicht kennt – passiert das ja nicht.“ 
Dass sich die Kultur in den Fleischbetrieben nur langsam ändert, dürfte auch damit zusammenhängen, dass viele der ehemaligen Subunternehmer übernommen wurden –- inklusive ihrer oft rabiat auftretenden Vorarbeiter. Ohne die gehe es noch nicht, sagt Tönnies-Manager Gereon Schulze-Althoff. „Ein Teil, mit denen arbeiten wir nicht mehr zusammen. Und mit einem Teil haben wir Wege gefunden, die Expertise, die wir noch nicht haben, weiter zu bekommen. In Form von Beratung, da geht es vor allem um das Anwerben von Mitarbeitern, in Bulgarien, Rumänien, Polen zum Beispiel und das Herbringen der Mitarbeiter. Und am Anfang ging es auch darum, die Gehaltsabrechnungen und das Vertragsmanagement unterstützend zu begleiten – das wird jetzt sukzessive abgebaut.“

Rumäne: Nie so hart gearbeitet wie in der Produktion bei Tönnies

Traian Ciuca wollte sich selbst ein Bild von den Arbeitsbedingen bei Tönnies machen. Der Rumäne ist Ende 20, Mitglied der deutschen Gewerkschaft „Freie Arbeiterunion“, die sich intensiv mit der Ausbeutung osteuropäischer Arbeiter in Deutschland beschäftigt. Vor einigen Monaten hat er sich über eine Agentur bei Tönnies beworben – und prompt einen Job bekommen. In der Produktion. Mehr als einen Monat hat er dort gearbeitet. Sein Job: Kisten mit Fleisch schleppen. „Acht Stunden am Tag Kisten heben oder gefrorene Fleischbrocken, die auch so an die 20, 25 Kilo sind. Die Kisten sind auch zwischen 15 und 30 Kilo. Man muss die heben, umdrehen und werfen. Und manchmal gegen das Fließband klatschen, so dass das Fleisch aus den Kisten rauskommt.“
Ciuca, der eigentlich anders heißt, ist sportlich, durchtrainiert, kein Büromensch. Er hat schon viele harte Jobs gemacht, in der Landwirtschaft, auf dem Bau. So hart wie in der Produktion bei Tönnies habe er noch nie gearbeitet, sagt er. „Du musst schwere Sachen heben, schnell und dauernd und repetitiv. Und das geht auf deinen Körper, es gibt keine Art und Weise, damit umzugehen, dass das nicht deinen Körper platt macht.“
Ähnliches hätten ihm seine rumänischen Kollegen bei Tönnies geschildert. Viele hätten Schmerzen, könnten die Arbeit ohne Schmerzmittel kaum bewältigen. „Ich hatte einen Kollegen, der war unfassbar muskulös. Er hat mir erzählt, er arbeitet da vier Jahre, dass er jeden Tag nach der Arbeit nach Hause gegangen ist und erstmal so eine halbe Stunde, die heißeste Dusche, die möglich war, gemacht hat, so dass er am nächsten Tag weiterarbeiten konnte. Andere nahmen Ibuprofen so ab und zu, so dass sie mit den Schmerzen umgehen konnten.“
Mitarbeiter des Fleischunternehmens Tönnies arbeiten am 28.02.2013 in Rheda-Wiedenbrück (Nordrhein-Westfalen) an einem Fließband.
Mitarbeiter des Fleischunternehmens Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. Archivaufnahme von 2013 (picture-alliance / dpa / Bernd Thissen)

DGB: Viele Kollegen vermeiden Arztbesuche

Immer wieder habe er seine Kollegen gefragt, warum sie nicht zum Arzt gingen, sich bei Schmerzen krankschreiben ließen. Die Antwort sei immer gleich ausgefallen, erzählt er. „Die Info, die alle Arbeiter wussten: In den ersten sechs Monaten, wenn du mehr als zwei Wochen krankgemeldet bist, dann wirst du wahrscheinlich gekündigt. Direkt, weil der Arbeitgeber darf das machen, tatsächlich legal, ohne einen Grund zu nennen. Und dann, wenn du im ersten Jahr mehr als zwei Wochen krankgemeldet bist, dann wird dein Vertrag nicht verlängert. Aber die Leute brauchen den Vertrag, die sind davon abhängig. Wenn du dann in dem zweiten Jahr mehr als zwei Monate krank bist, dann bist du auch raus – dann wird auch dein Vertrag nicht verlängert.“
Anna Szot, die für den DGB Tönnies Mitarbeiter berät, bestätigt, dass viele Arbeiter Arztbesuche vermeiden würden. „Überraschenderweise ist es nach wie vor so, dass Arbeitnehmer berichten, aufgrund von Krankheit nicht eben den Krankenschein zu nutzen, sondern tatsächlich weite arbeiten zu gehen und schwere Schmerzen in Kauf nehmen – um nicht gekündigt zu werden.“
Tönnies Qualitätsmanager Gereon Schulze-Althoff bestreitet, dass Arbeitern wegen Krankheit gekündigt wurde – selbstverständlich sollten Mitarbeiter einen Arzt aufsuchen, wenn sie krank seien. In der Corona-Phase hätte Tönnies darauf hingewiesen, bei jeglichen Erkältungssymptomen zuhause zu bleiben. Trotz Krankheit weiter zu arbeiten, sei nicht erwünscht, sagt Schulze-Althoff: „Von uns ist das in keiner Weise vorgegeben. Wir wollen, dass die Leute hier gerne arbeiten und gut arbeiten. Und nur wenn sie gerne arbeiten, arbeiten sie auch gut. Wenn Menschen merken, das ist nichts für sie. Dann ist das ja auch gut besser für beide Seiten, dass das auch nicht so lange weitergeht. Aber dass wir jetzt Leuten sagen, jeder der nur einen Tag krank ist, wird entlassen, kann ich nicht bestätigen.“

Arbeiter: Akkord- oder Nachtzuschläge gekürzt - Tönnies bestreitet

Aber auch er kenne nicht jeden rumänischen Vorarbeiter im Werk, sagt Schulze-Althoff. „Wenn jemand sagt, ich komme mit dieser harten körperlichen Arbeit nicht klar, ich bin direkt krank – dass dann ein Vorarbeiter fragt, ist das dann der richtige Job für dich, wenn du neu bist? Das will ich nicht ausschließen – und in welcher Stimmung oder wie die das besprechen.“
Ciuca berichtet von weiteren Dingen, die aus seiner Sicht nach wie vor nicht in Ordnung seien. Zum Beispiel die Sache mit den Boni. Ihm und Kollegen würden Akkord- oder Nachtzuschläge gekürzt, wenn sie etwa eine Toilettenpause mehr als vorgesehen machten, berichtet er. Und zwar von den ehemaligen Subunternehmern, die teilweise weiterhin für die Gehaltsabrechnung zuständig seien. „Ich war pünktlich da, aber ich war nicht unten an der Maschine pünktlich da. Das ist mir drei Mal passiert und einmal war ich zur Toilette oder sowas und mir wurde dann der Bonus gekürzt. Wenn du mehr als die Pause zur Toilette musst, wird dir der Bonus gekürzt – da haben die Subunternehmen da einen Spielraum.“
Tönnies bestreitet, dass es derartige Abzüge gibt. Schriftlich erklärt das Unternehmen auf Nachfrage des Deutschlandfunk: „Bei fast allen Mitarbeitern erfolgt die Abrechnung mittlerweile über unsere Personalabteilung, hier gibt es nur noch wenige Ausnahmen von Abrechnungen durch externe Steuerbüros. Dabei gibt es auch keine Spielräume - wie auch, wenn elektronisch alles erfasst wird? Es gibt klare Regeln für mögliche Boni, Zuschläge und Co. Und die kann man auch nicht umgehen. Toilettengänge: Selbstverständlich dürfen und können Mitarbeiter ihren Bedürfnissen nachgehen. Darüber hinaus gibt es natürlich klar geregelte und ausreichend Pausenzeiten für alle Angestellten.“
Der Miteigentümer der Unternehmensgruppe Tönnies Holding, Clemens Tönnies (r), und sein Sohn und Tönnies-Mitgesellschafter Maximilian Tönnies (l) stehen vor einem Firmengebäude mit dem Geschäftslogo.
Der Miteigentümer der Unternehmensgruppe Tönnies Holding, Clemens Tönnies (r), und sein Sohn und Tönnies-Mitgesellschafter Maximilian Tönnies (l) vor einem Firmengebäude (picture alliance / dpa / Friso Gentsch)

Grundtenor bei Arbeitern: Situation hat sich insgesamt verbessert

Viele von Ciucas Kollegen arbeiten schon seit Jahren im Tönnies Werk, waren vorher bei den Subunternehmern beschäftigt. Der Grundtenor: Abgesehen von den geschilderten Problemen habe sich die Situation insgesamt verbessert, seit sie bei Tönnies direkt angestellt sind. Traian Ciuca: „Die mediale Aufmerksamkeit hat was gebracht. Die Arbeiter meinten: Ja, man wird jetzt nicht mehr unter Mindestlohn bezahlt, die Löhne sind besser geworden. Die haben klar gesagt: Nach der Corona-Situation sind weniger Subunternehmer da, Tönnies hat bestimmte aussortiert, die zu krass waren. Mindestlohn, das beachten die jetzt, zweitens, die beachten auch jetzt, dass man nicht zu viele Überstunden macht.“
Ähnliches beobachtet auch Anna Szot, die Beraterin von der „Fairen Mobilität“ in Rheda- Wiedenbrück. „Es hat sich schon verbessert, das Arbeitsschutzkontrollgesetz hat ein bisschen Ruhe reingebracht. Natürlich ist durch das Gesetz auch die elektronische Arbeitszeiterfassung festgesetzt worden. Das was wir hören, ist, dass jetzt keine 12 bis 14 Stunden mehr gearbeitet wird – das heißt, das Arbeitszeitgesetz wird eingehalten.“
Nach der Werksbesichtigung laden Fabian Reinkemeier und Cristina Stanciu zu einer Tour durch Rheda-Wiedenbrück ein. Er ist Unternehmenssprecher von Tönnies, sie Integrationsbeauftragte, gebürtig aus Rumänien. Wir fahren durch den Ort, um uns einige Wohnungen anzusehen, in denen die Arbeiter nun untergebracht sind.

Mitarbeiterwohnungen: einfache, zweckmäßige Möbel, sauber

Noch vor zwei Jahren haben sich die Subunternehmer um die Unterbringung der Arbeiter gekümmert. Es gehörte zu deren Geschäftsmodell, den rumänischen Arbeitern einzelne Betten in oftmals heruntergekommenen Häusern zu vermieten. Die Miete, in der Regel zwischen 200 und 300 Euro pro Bett, wurde direkt vom Lohn abgezogen – so berichten es die Berater von Arbeit und Leben vom DGB. Jetzt kümmert sich Tönnies selbst um Wohnungen für die ja nun eigenen Mitarbeiter.
Wir betreten ein Mehrfamilienhaus, ein paar Kilometer vom Werk entfernt. Ein polnischer Mitarbeiter öffnet uns, zeigt uns sein Zimmer. Er teilt sich die rund 15 Quadratmeter mit einem Kollegen. Wir treten in die geräumige Küche – einfache, zweckmäßige Möbel, alles sauber. Rund 250 Euro zahlt jeder der Bewohner dafür. Stanciu holt ein paar Fotos hervor, um zu zeigen, wie es hier aussah, als noch der Subunternehmer die Zimmer vermietet hat. „Hier haben wir die Fotos davon, Küchenmöbel gewesen, hier sind die Betten eins, zwei, drei Betten …“
20.06.2020 in Verl, Kreis Gütersloh: Wohnsiedlung von Tönnies-Mitarbeitern in Quarantäne wegen der COVID-19-Fälle bei dem Schlachtbetrieb
Eine Wohnsiedlung von Tönnies-Mitarbeitern in Verl, Kreis Gütersloh, befand sich im Juni 2020 in Quarantäne wegen der Covid-19-Fälle in dem Schlachtbetrieb (imago / Noah Wedel)
In der Küche waren sechs weitere Betten, die Möbel kaputt, alles heruntergekommen, dreckig. „Sie haben jeden Fleck und jeden Meter ausgenutzt.“ Wir fahren weiter, schauen uns noch ein paar andere Wohnungen an, die Tönnies gekauft oder für die Mitarbeiter angemietet hat. Alle sind sauber, halbwegs geräumig, sogar ein Neubau ist dabei.

Ohne Subunternehmer: Tönnies vermietet Wohnungen jetzt selber an Mitarbeiter

Tönnies hat viele Wohnungen direkt von den Subunternehmern übernommen. Integrationsbeauftrage Stanciu hat sich diese Wohnung damals angesehen. „Durch die Jahre, wo niemand daran etwas renoviert hat, da lagen nur kaputte Möbel drin. Also, schockierend! Wo es gar nicht ging, haben wir diese Häuser entmietet, wir haben die gekündigt – weil es nicht unseren Standards entspricht. Sobald der Mitarbeiter sich zuhause wohlfühlt, dann hat er auch seine innere Ruhe, dass er arbeiten kann, oder?“ 
Und doch haben bis vor zwei Jahren Hunderte Rumänen, Bulgaren, Polen, die tagtäglich im Tönnies-Werk gearbeitet haben, in solchen Unterkünften gehaust. Warum musste der Gesetzgeber einschreiten, um das zu ändern, will ich am Ende der Fahrt von Unternehmenssprecher Fabian Reinkemeier wissen. „Den Vorwurf müssen wir uns gefallen lassen, da sind wir selbstkritisch genug. Gerade bei dem Thema Wohnen hätten wir früher hingucken müssen. Punkt.“