Wer Arbeitslosengeld II bezieht, hat gemäß einer Entscheidung des Sozialgerichts Konstanz kein Anrecht auf erhöhte Bezüge im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Ein Hartz-IV-Bezieher hatte Zuschüsse oder ein Darlehen beantragt, um Lebensmittelvorräte, Mundschutz und Desinfektionsmittel kaufen zu können. Das lehnte das zuständige Jobcenter ab, ebenso wie später das Sozialgericht.
Über die Herausforderungen, die die Coronakrise für Sozialhilfeempfänger mit sich bring, haben wir mit Joachim Rock gesprochen, er ist beim Paritätischen Verband unter anderem für Arbeit und Soziales zuständig. Im Dlf beschreibt er, warum er das Urteil für realitätsfern hält und woraus seiner Meinung nach die Unterstützung bestehen sollte.
Susanne Kuhlmann: Ist die Einschätzung des Sozialgerichts richtig, dass die Corona-Pandemie keinen Mehraufwand für Bezieher von Hartz IV rechtfertige.
Joachim Rock: Nein. Nach unserer Erfahrung ist diese Einschätzung realitätsfern. Es gibt zahlreiche Mehrbedarfe, die Empfänger von Grundsicherungsleistungen jetzt schon haben. Das fängt damit an, dass viele unterstützende Leistungen inzwischen weggefallen sind. Denken Sie an das kostenlose Schulessen, was Kinder bekommen, denken Sie an die Hilfsangebote der Tafeln, von denen sehr viele Menschen Gebrauch machen und von denen sie jetzt nicht profitieren können, weil viele der Tafeln geschlossen haben.
Man muss sehen: Allein die Tafeln – und es gibt noch viele weitere Anbieter – versorgen über 1,6 Millionen Menschen zusätzlich mit Lebensmitteln. Das ist eine wesentliche Entlastung, weil die Regelsätze in der Grundsicherung für viele Menschen nicht reichen.
Man muss sehen: Von den 432 Euro Regelsatzleistung in der Grundsicherung sind nur 150 Euro bei Erwachsenen für Lebensmittel vorgesehen. Bei Kindern ist der Lebensmittelanteil zwischen 87 und 154 Euro im Monat. Davon können Sie keine Vorräte anlegen. In dieser Situation braucht man aber gerade in der Grundsicherung mehr Geld, denn auch die Menschen in der Grundsicherung müssen einige Vorräte anlegen, damit sie nicht so oft zum Einkaufen raus müssen. Und sie konkurrieren jetzt mit vielen anderen Menschen um preiswerte Nahrungsmittel in den Supermärkten.
"Bedarfe sind deutlich höher"
Kuhlmann: Sehen Sie noch an anderer Stelle Bedarf für einen Mehraufwand, den Hartz-IV-Empfänger eventuell haben könnten?
Rock: Die Bedarfe sind auch an anderen Stellen deutlich höher. Denken Sie beispielsweise an notwendige Ausgaben für Hygienemittel und auch für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. Sie wissen ja: Viele Arzneimittel werden einem nicht mehr auf Kosten der Kasse verschrieben, sondern die muss man sich in den Apotheken tatsächlich holen. Da haben auch Grundsicherungsempfänger in diesen Zeiten erhöhte Bedarfe. Und auch hier sind die Anteile, die in den Regelleistungen der Grundsicherung für Gesundheitspflege zur Verfügung stehen, viel zu niedrig. Das sind 16 Euro im Monat bei Erwachsenen, bei Kinder um die sieben, acht Euro. Es ist offenkundig, dass das in diesen Zeiten auch im Hinblick auf die Prävention überhaupt nicht ausreichend ist.
"Schnelle Hilfe in Form von Geldleistungen"
Kuhlmann: Was lässt sich tun?
Rock: Da hilft jetzt vor allem schnelle Hilfe in Form von Geldleistungen. Die massiven Unterstützungsleistungen, die der Bundestag genehmigt hat, die wir anerkennen und die wirklich nötig waren, das sind alles Hilfeleistungen, die Grundsicherungsempfängern aber bisher in der Höhe nichts nutzen, denn die haben bisher keine zusätzlichen Bedarfe anerkannt bekommen. Wir fordern in der Tat eine Soforthilfe in Höhe von 200 Euro, um diese außergewöhnlichen Mehrausgaben dann schultern zu können. Und wir fordern auch, dass monatlich, solange die Krise dauert, die Menschen etwa 100 Euro zusätzlich zu ihrem Regelbedarf bekommen, damit sie den offenkundig gestiegenen Ausgabenbedarfen auch Rechnung tragen können.
Kuhlmann: Haben Sie Ihre Forderung schon an entsprechender Stelle vorgebracht?
Rock: Ja! Wir stehen da in engem Kontakt mit dem BMAS. Wir versuchen, das auch medial weiter zu transportieren. Und wir haben eine Menge an Unterstützung dabei. Foodwatch vertritt ähnliche Forderungen, einzelne Bundestagsparteien, sogar die FDP, von der man das nicht immer gewohnt war, fordert Unterstützungsleistungen für Grundsicherungsempfänger, die 15 bis 20 Prozent höher sein sollten. Da zeichnet sich eine breite Koalition ab und wir hoffen, dass das tatsächlich zu einer schnellen Unterstützung für die Betroffenen führt. Die brauchen das.
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