Von einem harten Winter hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in Bezug auf Corona-Maßnahmen immer wieder gesprochen. Bei allen Unsicherheiten ist jetzt schon klar, dass die Kosten der Pandemie immens sein werden. Nach Novemberhilfen werden jetzt auch Dezemberhilfen nötig, es gibt die Aussicht auf leichte Lockerungen über die Feiertage, aber auch erste Stimmen, die für Januar mit weiteren Verschärfungen rechnen, falls die Zahlen nach den Feiertagen hochschießen sollten. Mit Milliardenhilfen versucht der Staat, die Folgen durch Corona abzumildern. Aber wie lange geht das noch und sind die Lasten fair verteilt?
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kündigte an, dass die sogenannte Überbrückungshilfe bis Ende Juni nächsten Jahres verlängert werde. So könnten Unternehmen mit großen Umsatzeinbußen einen erheblichen Teil ihrer Fixkosten erstattet bekommen, sagte er im Dlf. Die Kritik, die Politik unterstütze auch an falscher Stelle, wehrte Altmaier als Sonderfälle ab: Wenn es darum gehe, Hunderttausenden Hilfe zuteilwerden zu lassen, finde man immer Beispiele, wo jemand zu wenig Hilfe bekomme und jemand zu viel, doch das sei keinesfalls die Regel.
Der Einzelhandel müsse dringend gestärkt werden. "Wir müssen die Frage beantworten, ob wir zulassen wollen, dass sich die Identität unserer Innenstädte, dass sich das Lebensgefühl in unseren Innenstädten verändert, dass wir am Ende Haupteinkaufsstraßen haben mit reihenweise geschlossenen Geschäften" – er halte das nicht für ein erstrebenswertes Ziel der Marktwirtschaft und deshalb werde ein Runder Tisch einberufen, um Konzepte für den Einzelhandel zu entwerfen.
Wichtig sei dabei vor allem, ihnen dabei zu helfen, sich digital besser aufzustellen. Große Onlinekonzerne wie Amazon hätten von der Krise profitiert, während der Einzelhandel schließen musste. "Wir müssen einfach erkennen: Der kleine Einzelhändler, der Tante-Emma-Laden, die Boutique, kann alleine nicht gegen Handelsgiganten ankommen, deshalb brauchen wir abgestimmte Konzepte. Das fängt an mit der digitalen Fitnesskur für unseren Einzelhandel, der es Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, die ortsnahen Geschäfte zu erhalten, indem sie beispielsweise auch ihre Interneteinkäufe über diese Geschäfte abwickeln", betonte Altmaier.
Zudem solle das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen novelliert werden: Vorgesehen sei, dass das Bundeskartellamt und die Behörden der Länder in Zukunft mehr Rechte haben, "gegen übermäßig marktbeherrschende Stellung auch von digitalen Unternehmen vorzugehen", so der Bundeswirtschaftsminister.
Das Interview in voller Länge
Sandra Schulz: Wie blickt der Bundeswirtschaftsminister auf diesen Advent?
Peter Altmaier: Mit gemischten Gefühlen, ehrlich gesagt. Zum einen weiß ich, dass sich viele Menschen auf Weihnachten freuen, und so geht es mir auch ganz persönlich. Auf der anderen Seite ist die Entwicklung der Corona-Zahlen leider nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir sind jetzt fast vier Wochen nach dem partiellen Shutdown und wir stellen fest, dass die Zahl der Neuinfektionen nur mäßig zurückgeht, dass sie viel höher liegt als zu Beginn und dass wir immer noch rund 80, 85 Prozent aller Landkreise in Deutschland haben, wo die Zahlen viel zu hoch sind und eine richtige Nachverfolgung nicht möglich ist.
"Es muss jetzt Disziplin eingehalten werden"
Schulz: Sie haben am Wochenende ja schon gesagt, dass es sein kann, dass die Beschränkungen auch im neuen Jahr weitergehen, im Januar oder vielleicht auch im Februar. Wenn wir jetzt auf das vergangene Wochenende schauen mit vollen Shoppingmalls: Ist das jetzt das Richtige in der Adventszeit?
Altmaier: Ich glaube, dass es ganz natürlich ist, dass Menschen auch Weihnachtseinkäufe tätigen wollen. Aber wir müssen einfach dazu kommen, dass es entzerrter wird, dass sich nicht alles ballt zu bestimmten Stunden und an bestimmten Tagen. Man kann Einkäufe an Weihnachten so organisieren, dass sie coronaverträglich sind, und da wünsche ich mir ein bisschen mehr Führung von allen Beteiligten. Ich glaube, dass die allermeisten Bürger bereit sind, sich danach zu orientieren und zu richten.
Schulz: Wen sprechen Sie da an, Herr Altmaier? Am Wochenende hat es ja schon die Szenen gegeben. In Köln mussten zwei Einkaufszentren wegen Überfüllung geschlossen werden, in Bielefeld genauso. Von wessen Seite braucht es da Führung?
Altmaier: Wenn sie geschlossen wurden, ist es ja ein Zeichen, dass man reagiert hat auf einen Ansturm, der zu groß war.
Schulz: Aber die Menschen haben sich da ja nicht in Luft aufgelöst.
Altmaier: Im Übrigen brauchen wir die Botschaften, auch wenn sie unbequem sind, von der Politik, und zwar auf allen Ebenen.
Schulz: Aber nicht von Ihnen?
Altmaier: Die Bundeskanzlerin hat es vorgemacht, viele Minister tun es ihr gleich. Aber wir brauchen diese Botschaften auch von allen 16 Ministerpräsidenten. Wir brauchen sie von den Oberbürgermeistern, dass wir den Menschen sagen, es muss jetzt Disziplin eingehalten werden, wir müssen mehr tun, um soziale Kontakte zu reduzieren, und je schneller wir dies tun, desto eher werden wir den Pandemieverlauf wieder in den Griff bekommen.
"Den Einzelhändlern helfen, aus dieser Situation das Beste zu machen"
Schulz: Hintergrund Ihrer Haltung sind sicherlich auch die Äußerungen, die wir in der vergangenen Woche in der "Bild"-Zeitung gelesen haben. Sie haben davon gesprochen, dass die Aufgabe, den stationären Einzelhandel zu erhalten, nahezu eine patriotische Aufgabe sei. Steht diese patriotische Aufgabe über den Regeln der sozialen Marktwirtschaft, in der ja eigentlich die Verbraucherinnen und Verbraucher entscheiden?
Altmaier: Nein, überhaupt nicht! Überhaupt nicht! Aber die Marktwirtschaft ist ja teilweise außer Kraft gesetzt. Das hängt damit zusammen, dass die Corona-Pandemie den Einzelhandel erheblich getroffen hat – zunächst im Frühjahr, als alle Geschäfte geschlossen waren, jetzt durch die Schließung von Restaurants, vielen Hotels, körpernahen Dienstleistungen, Kultur- und Sporteinrichtungen. Und das bedeutet, der Einzelhandel muss sich nicht nur behaupten gegen eine weltweite Konkurrenz von Internet-Plattformen, sondern er hat zu kämpfen mit einer Pandemie, für die er nicht verantwortlich ist, die er nicht verursacht hat. Und wir müssen einfach die Frage beantworten, ob wir zulassen wollen, dass sich die Identität unserer Innenstädte, dass sich das Lebensgefühl in unseren Innenstädten verändert und dass wir am Ende dann Haupteinkaufsstraßen haben mit reihenweise geschlossenen Geschäften. Ich halte das nicht für ein erstrebenswertes Ziel in der Marktwirtschaft und deshalb habe ich einen Runden Tisch ins Leben gerufen, und das Ziel ist es, dass man den Einzelhändlern hilft, aus dieser Situation das Beste zu machen.
Schulz: Genau damit wollte ich Sie gerade konfrontieren. Mit Blick auf die Maßnahmen, die im Dezember ja leicht nachgeschärft werden, ist der Einzelhandel ja alles andere als zufrieden. Denen geht das jetzt alles schon zu weit. Wie wollen Sie da an einem Runden Tisch zu einer anderen Ausgangslage kommen?
Altmaier: Es gibt langfristige Entwicklungen, beispielsweise wenn man sich ansieht, dass Amazon ja auch in der Krise gewachsen ist, weil viel mehr Menschen als bisher online einkaufen. Das ist das gute Recht von Amazon. Aber es ist genauso gut das gute Recht des Einzelhandels, sich dagegen zur Wehr zu setzen, sich zu behaupten, und wir müssen einfach erkennen, dass der kleine Einzelhändler, der Tante-Emma-Laden, die Mode-Boutique alleine nicht gegen solche Handelsgiganten ankommen kann. Deshalb brauchen wir hier abgestimmte Konzepte. Das fängt an mit der digitalen Fitnesskur für unseren Einzelhandel, der es Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, die ortsnahen Geschäfte zu erhalten, indem sie beispielsweise auch ihre Internet-Einkäufe über diese Geschäfte abwickeln, indem sie dort ihre Pakete mit Hemden oder Krawatten abholen, indem sie eine größere Auswahl haben im Laden vor Ort, als dies andernfalls der Fall wäre.
Schulz: Und das wollen Sie lenken?
Altmaier: Wir wollen es nicht lenken, sondern wir wollen die private Initiative der Beteiligten unterstützen. Wir haben allerdings auch ein Gesetz im Deutschen Bundestag eingebracht, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, das novelliert wird, und dort ist vorgesehen, dass das Bundeskartellamt und die Behörden der Länder in Zukunft mehr Rechte haben werden, gegen übermäßig marktbeherrschende Stellung auch von digitalen Unternehmen vorzugehen. Das ist notwendig für die Chancengleichheit. Das ist eine Erkenntnis, die auf Ludwig Erhard zurückgeht. Der hat dieses Gesetz geschaffen und das passen wir jetzt an an die digitalen Notwendigkeiten.
Überbrückunsghilfen bis Ende Juni
Schulz: Wenn es jetzt so kommt, wie Sie es ja schon angedeutet haben, was sein könnte, womit sicherlich nicht nur Sie rechnen, sondern auch noch andere, dass die Beschränkungen im Januar, im neuen Jahr weitergehen, können die Hilfen dann auch weitergehen?
Altmaier: Wir haben eine wichtige Hilfe, die sogenannte Überbrückungshilfe, verlängert grundsätzlich bis Ende Juni des nächsten Jahres. Das heißt, dass Unternehmen, die große Umsatzrückgänge haben, einen erheblichen Teil ihrer Fixkosten erstattet bekommen können, also Miete beispielsweise, Heizung und Ähnliches. Wir können ganz sicherlich nicht auf unbegrenzte Zeit sehr umfassende Pakete wie jetzt die Umsatzrückvergütung weiterführen. Der Staat ist leistungsfähig, wir haben in guten Zeiten vorgesorgt. Aber richtig ist auch, dass wir nicht viele Jahre diese Politik machen können. Das müssen wir auch nicht, denn wir alle hoffen, dass im nächsten Jahr der Impfstoff bereits im Einsatz ist, dass wir dann im Laufe der ersten Monate des Jahres auch erreichen können, dass die Zahl der Neuinfektionen endgültig auf ein Niveau sinkt, das eine Kontrolle des Infektionsgeschehens möglich macht.
Schulz: An den Hilfen, die für November und Dezember laufen, gab es am Wochenende Kritik vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Die sagen, es gäbe Unternehmen, die jetzt sogar mehr Geld bekommen über diesen Ausgleich mit den 75 Prozent als sie eingenommen hätten, wenn sie ganz normal regulär offen hätten. Müssen Sie sich das noch mal anschauen?
Altmaier: Nein. Ich glaube, dass hier ein profundes Missverständnis vorliegt. Es gibt weder wenn man auf den Gewinn abstellt noch wenn man auf den Umsatz abstellt eine für alle Beteiligten gleichermaßen gerechte Antwort auf die Situation. Wenn es darum geht, Hunderttausenden von Unternehmen, von Hotels, von Restaurants, von Fitness-Studios und anderen, Hilfe zuteilwerden zu lassen, dann kann man immer Beispiele finden, wo auf der einen Seite jemand viel zu wenig Geld bekommt und am Ende gar keine ausreichende Hilfe hat und auf der anderen Seite jemand vielleicht etwas mehr bekommt, als er eingebüßt hat. Das sind Sonderfälle, das ist keinesfalls die Regel. Ich stelle jedenfalls fest, dass diese Kritik vereinzelt ist und dass insgesamt die Politik der Bundesregierung von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung begrüßt und mitgetragen wird.
"Ich möchte keine Steuererhöhungen"
Schulz: Ist natürlich die Frage nach der Prioritätensetzung und wenn wir jetzt schon diesen Streit zwischen Bund und Ländern ums Geld sehen, und wenn Sie auch schon sagen, das kann natürlich nicht ewig so weitergehen. Schließen Sie dann Steuererhöhungen aus?
Altmaier: Ich möchte keine Steuererhöhungen. Das habe ich immer gesagt. Wir haben sie ausgeschlossen für diese Wahlperiode. Ich bin auch überzeugt, dass wir dieses Versprechen einhalten werden. Ich bin auch dagegen, mitten in einer schwierigen wirtschaftlichen Zeit diejenigen, die wir brauchen, um Arbeitsplätze zu erhalten, dadurch zu verschrecken, dass wir Steuern erhöhen, wo überall im Ausland in den letzten Jahren oder in vielen Industrieländern im Ausland Steuern gesenkt wurden. Und ich glaube, dass es bislang noch wenig Beispiele dafür gibt, dass die Erhöhung von Einkommens- oder Körperschaftssteuern am Ende dazu beigetragen haben, dass die Staatseinnahmen nachhaltig gestiegen sind. In vielen Fällen war das Gegenteil der Fall.
Schulz: Olaf Scholz der Finanzminister, schließt Steuererhöhungen in dieser konkreten Situation, in dieser Pandemie-Erfahrung mit dem Argument nicht aus, dass es natürlich auch in dieser Lage breite Schultern gibt, Haushalte, die keine Einbußen haben durch Corona. Warum sollen die keine höheren Lasten tragen?
Altmaier: Weil es, glaube ich, gar nicht so leicht ist festzustellen, wer Einbußen hat und wer keine Einbußen hat. Und im Übrigen sind wir bei der Steuerlast, wenn man Steuerlast und Soziallast zusammenzählt, international auf einem der vorderen Plätze. Das haben wir in den letzten Jahren gut verkraftet, weil wir eine gute wirtschaftliche Rahmensituation hatten. Jetzt ist die Situation schlecht, wir sind in einer der schwersten Wirtschaftskrisen der Nachkriegszeit. Deshalb glaube ich, dass der Kollege Scholz, mit dem ich als Finanzminister sehr gerne und eng zusammenarbeite, in seiner Rolle als Kanzlerkandidat vielleicht den einen oder anderen Akzent setzt, den ich als Wirtschaftsminister nicht unbedingt hilfreich finde.
"Große Probleme unserer Welt nicht aus dem Blick verlieren"
Schulz: Wir wollen jetzt noch den Bogen schlagen zu einem Thema, bei dem in der Pandemie vor allem Probleme und Defizite aufgefallen sind. Sie, Ihr Ministerium, Sie machen heute und morgen einen Digitalgipfel. Das Thema ist mehr Nachhaltigkeit. Ist das nicht schon ziemliches Feintuning, wenn wir daran denken, dass wir doch auch viele Großbaustellen haben?
Altmaier: Es ist Feintuning, ja, aber ich halte es für ganz wichtig, dass wir trotz der Corona-Pandemie die großen Probleme unserer Welt nicht völlig aus dem Blick verlieren. Nachhaltigkeit – das bedeutet Klimaschutz, das bedeutet Energiewende, das bedeutet, wie kann man Wohlstand schaffen in einer Welt von sieben, acht Milliarden Menschen, ohne die Lebensgrundlagen des Planeten zu ruinieren. Das halte ich für ein ganz wichtiges politisches Thema und da kann uns die Digitalisierung helfen. Sie kann dazu beitragen, dass mehr Energie eingespart wird, dass weniger CO2 ausgestoßen wird. Darüber haben wir lange nicht diskutiert. Dieses Thema war von langer Hand geplant seit über einem Jahr und ich begrüße es sehr, dass wir es auch durchführen mit diesem Thema, mit Beteiligung der Bundeskanzlerin, der Präsidentin der EU-Kommission, denn wir dürfen nicht zulassen, dass wichtige generationenübergreifende Themen durch die Corona-Pandemie vernachlässigt werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.