Die Regierung sei auf einem guten Weg. "Sie hat auch umfassend gehandelt" , so der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. Dennoch könne man in einzelnen Bereichen immer nachjustieren. Gerade bei den unteren und mittleren Einkommen seien die Verluste besonders hoch: "Das werden viele Menschen nicht durchhalten."
Neben Verbesserungen beim Kurzarbeitergeld plädiert der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes auch für Hilfestellung für Familien, die von erneuten Schul- und Kita-Schließungen betroffen sind. ″Hier müssen wir einen eigenständigen Freistellungsanspruch der Familien haben und Einkommenseinbußen verhindern.″
Ann-Kathrin Büüsker: Ab morgen wird dichtgemacht in den deutschen Innenstädten, aber auch im Elektrohandel auf dem Dorf etwa. Der Einzelhandel in Deutschland, er fährt runter im Rahmen des Lockdowns. Der Handel argumentiert derzeit, dass zumindest Click and Collect Lösungen möglich sein müssen. Heißt: Artikel werden online bestellt und dann abgeholt. Dies war ja während des Lockdowns im Februar teilweise möglich gewesen. Auf diese Weise könnte ein Teil des Weihnachtsumsatzes erwirtschaftet werden, so die Begründung. Das Weihnachtsgeschäft, es ist für viele Händler ja entscheidend. Hier werden die größten Umsätze gemacht, so dass am Ende des Geschäftsjahres das Ganze mit einem Plus aufgeht. Das droht nun dieses Jahr wegzufallen. Der Handelsverband Deutschland sieht deshalb wegen des Lockdowns bis zu 250.000 Arbeitsplätze im innerstädtischen Einzelhandel in Gefahr. Was heißt das für die Beschäftigten? Expertinnen und Experten aus der Virologie und der Epidemiologie haben seit Wochen gewarnt, dass eine zu zögerliche Eindämmung des Infektionsgeschehens dazu führen könnte, dass irgendwann ein harter Lockdown kommen könnte mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen. Genau das könnte jetzt passieren. Sind es die Beschäftigten, die diese Suppe nun auslöffeln müssen?
Hoffmann: Genau das gilt es zu verhindern, dass die Gesundheitskrise sich nicht in eine manifeste soziale Krise verfestigt und die Lasten auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden.
Büüsker: Aber genau dafür hat die Bundesregierung doch unter anderem das Instrument der Kurzarbeit bereits eingesetzt.
Hoffmann: Das ist absolut richtig und Kurzarbeit hat uns schon in der ersten Welle geholfen, dass die Arbeitsplätze gesichert wurden, Menschen ihre Beschäftigung nicht verloren haben und dann auch rasch wieder die Arbeit aufgenommen haben. Deshalb ist es richtig, dass der erleichterte Zugang zum Kurzarbeitergeld auch bis Ende nächsten Jahres schon verlängert wurde. Wo es jetzt drauf ankommt – und da müssen wir noch mal genauer hinschauen -, dass viele Menschen, die jetzt wieder wochenlang in Kurzarbeit gehen müssen, dass sie dann nur 60 Prozent und nach vier Monaten 70 Prozent und nach sieben Monaten 80 Prozent ihres Gehaltes ersetzt bekommen. Das wird für viele Niedriglohngruppen extrem belastbar sein. Da müssen wir dringend nachjustieren. Dass das geht, haben wir in vielen Tarifverträgen gezeigt, wo wir Aufstockungsregelungen haben bis zu 90 Prozent. Leider gelten für viel zu wenige Menschen in diesem Lande noch Tarifverträge. Deshalb muss hier nachjustiert werden.
Büüsker: Aber haben Sie nicht die Sorge, dass dem Staat dann auch irgendwann das Geld ausgeht bei all den Rettungsmaßnahmen?
Hoffmann: Nein, da habe ich die Sorge überhaupt gar nicht. Der Bundeshaushalt ist natürlich etwas in angespannter Verfassung, aber das ist überhaupt kein Grund, zu dramatisieren.
″Einzelhandel braucht natürlich Hilfen″
Büüsker: Der Handelsverband warnt jetzt vor dem Verlust von bis zu 250.000 Arbeitsplätzen im innerstädtischen Einzelhandel. Ich hatte es in der Anmoderation schon mal gesagt. Ist das aus Ihrer Sicht realistisch, oder ist das jetzt auch Geklapper, um mehr Hilfen zu bekommen?
Hoffmann: Nein, der Einzelhandel braucht natürlich Hilfen. Gerade jetzt im Dezember, wo das Weihnachtsgeschäft nicht mehr bis zum Ende laufen kann, wird der Einzelhandel in besonderer Weise betroffen sein. Aber es ist nicht nur der Einzelhandel; es ist die Gastronomie, es ist die Hotellerie, es sind viele Branchen, die betroffen sind, und hier ist es richtig, dass der Bundesfinanzminister umfangreiche Wirtschaftshilfen in Aussicht gestellt hat. Das ist im November gelungen, wo bis zu 75 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahresmonat erstattet wurde. Das muss fortgeschrieben werden, muss aber so fortgeschrieben werden, dass die Arbeitgeber dann auch in der Pflicht sind, Beschäftigung zu sichern und zu halten.
Büüsker: Dass jetzt der Handelsverband, der Handel darüber klagt, dass diese Hilfen nicht ausreichen, ist das denn aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?
Hoffmann: Das muss man sich genau anschauen. Natürlich sind Einbußen dramatisch. Aber wenn es gelingt, wirklich den Umsatz zu kompensieren in einer Größenordnung von 75 Prozent, sollte das doch viele Unternehmen über diese schwierige Phase hinaus retten.
Insolvenzen verhindern
Büüsker: Sie haben ja eben aufgezählt, welche Bereiche des öffentlichen Lebens das alles betrifft. Die Gastronomie ist auch betroffen, die Kultur, der Handel, eigentlich alle Bereiche, die jetzt durch den Lockdown in irgendeiner Form runtergefahren werden. Muss man nicht auch festhalten, es werden voraussichtlich nicht alle Betriebe schaffen? Das ist das Wesen einer Krise, das muss man anerkennen?
Hoffmann: Das darf man nicht ignorieren. Alles andere wäre eine Illusion. Und wir werden mit Sicherheit im nächsten Jahr auch viele Unternehmen erleben, die nicht durchhalten, die in die Insolvenz gehen. Aber jetzt geht es erst mal darum, so viel wie möglich an Wirtschaftshilfe zu leisten, damit dieses nicht eintritt und die Beschäftigung damit gesichert wird.
Büüsker: Wo sehen Sie ganz konkret unmittelbaren Handlungsbedarf?
Hoffmann: Es gibt den Handlungsbedarf in der Gastronomie. Wir haben den Handlungsbedarf im Einzelhandel. Das sind alles Bereiche, die genannt wurden. Ich darf darauf hinweisen, dass wir erheblichen Handlungsbedarf haben beispielsweise auch im Verkehrsbereich. Die Bahn macht im Fernverkehr 75 Prozent weniger Umsatz. Auf der anderen Seite haben wir enormen Modernisierungsbedarf für die Bahn. Wir haben die Luftverkehrswirtschaft, die am Boden liegt. Wir haben aber auch andere Industriebranchen wie beispielsweise die Automobilzulieferer-Industrie, die nicht nur Corona-bedingt, sondern aufgrund des sich vollziehenden Strukturwandels vor enormen Herausforderungen steht. Auch hier müssen wir Strukturhilfen leisten, damit unsere Wirtschaft insgesamt nicht nur gut durch die Gesundheitskrise kommt, sondern auch der vor uns stehende Transformationsprozess in den nächsten Jahren, getrieben durch Digitalisierung oder zur Bewältigung des Klimawandels, dass der gelingt, und da müssen noch mächtige Anstrengungen unternommen werden.
″Beim Kurzarbeitergeld nochmals nachjustieren″
Büüsker: Herr Hoffmann, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sehen Sie die Bundesregierung mit den bisher angekündigten Hilfen grundsätzlich schon auf einem guten Weg?
Hoffmann: Nein, die Bundesregierung ist, glaube ich, auf einem guten Weg. Sie hat rasch gehandelt. Sie hat auch umfassend gehandelt. Man kann immer in einzelnen Bereichen nachjustieren. Jetzt kommt es darauf an, dass wirklich Beschäftigung gesichert wird, dass soziale Schieflagen vermindert werden. Gerade untere, mittlere Einkommen sind in dieser Krise besonders betroffen. Die Einkommensverluste sind besonders hoch. Das werden viele Menschen nicht durchhalten. Deshalb brauchen wir hier auch beim Kurzarbeitergeld noch mal mehr Mut, um nachzujustieren. Wir müssen aber auch daran denken, dass viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jetzt vom Lockdown nicht betroffen sind und dass diese Menschen einen unheimlich wichtigen Job machen, jetzt auch in diesen schwierigen Wochen und Tagen, sei es im Gesundheitsbereich, in der Pflege oder aber auch im Verkehrsbereich. Hier kommt es darauf an, dass der Gesundheitsschutz absolut in dem Mittelpunkt steht. Da ist vieles gelungen, aber wir dürfen solche Situationen, wie wir sie beispielsweise in der Fleischindustrie erlebt haben, nicht noch mal zulassen, wo wirklich Infektionsherde entstanden sind. Deshalb ist die Aufforderung an die Arbeitgeber, dass die Hygienemaßnahmen und der Arbeitsschutz strikt eingehalten werden, und wir brauchen auch noch Hilfestellung für die Familien, die betroffen sind jetzt von erneuten Schul- und Kita-Schließungen. Hier müssen wir einen eigenständigen Freistellungsanspruch der Familien haben und Einkommenseinbußen verhindern. Da gibt es noch einiges, was wir in den nächsten Tagen anpacken müssen, damit wir gut durch die Krise kommen und soziale Verwerfungen so gut wie möglich verhindert werden.
Büüsker: Herr Hoffmann, Sie haben jetzt die Fleischbranche bereits angesprochen. Da kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu größeren Infektionsgeschehen. Immer wieder wurden offensichtlich Infektionsschutzmaßnahmen nicht eingehalten. Was braucht es, um das zu verändern? Mehr Kontrolle, stärkere Sanktionen?
Hoffmann: Wir brauchen auf jeden Fall mehr Kontrolle. Wir haben ja Gott sei Dank nach langem Ringen das Verbot der Werkvertragsarbeit ab dem 1. Januar nächsten Jahres. Aber viele dieser Infektionen sind ja nicht in den Betrieben entstanden, sondern in den Unterkünften, die katastrophal waren, die unverantwortlich waren. Da muss jetzt ein Riegel vorgeschoben werden. Das ist gesetzlich jetzt gelungen und hoffentlich wird es dann auch ab Januar Wirkung entfalten. Allerdings haben Sie zurecht darauf hingewiesen: Es muss auch wirklich kontrolliert werden. Das ist ein Unding, dass viele Arbeitgeber sich nicht an gesetzliche Regelungen halten. Das geht nur mit verstärkter Kontrolle und mit wirksamen Sanktionen zu bekämpfen.
″Arbeit im Homeoffice nicht entgrenzen″
Büüsker: Wenn wir noch mal auf das schauen, was die MPK jetzt beschlossen hat, mit Blick auch auf den Lockdown, mit Blick auf Homeoffice-Regelungen zum Beispiel. Da heißt es, Arbeitgeber sollen Betriebsferien ermöglichen, wo es geht, und die Arbeit soll, wenn möglich, im Homeoffice erfolgen. Das ist ja keine klare Vorgabe, sondern das ist ja nur eine Empfehlung. Müsste man hier Arbeitgeber nicht viel stärker in die Pflicht nehmen, dass Homeoffice gemacht wird?
Hoffmann: Absolut richtig, Frau Büüsker. Es muss vor allen Dingen geregelt werden, dass die Arbeit im Homeoffice nicht entgrenzt, dass Überstunden bezahlt werden, dass natürlich da, wo mobiles Arbeiten möglich ist, das jetzt auch dringend angeboten werden muss, damit wir das Infektionsgeschehen weiter eindämmen können. Und hier sind die Arbeitgeber in der Tat in der Pflicht. Empfehlungen alleine reichen nicht. Deshalb brauchen wir klare Regelungen, aber die nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden, beispielsweise dass die Arbeitgeber jetzt einseitig ankündigen, Betriebsferien zu machen über längere Wochen, der Jahresurlaub muss gesichert werden für die Beschäftigten. Hier brauchen wir im Zweifelsfall in dieser schwierigen Zeit bezahlte Freistellungen.
Büüsker: Aber so eine Pandemie werden wir ja nur bekämpfen, besiegen, wenn alle ein bisschen flexibel sind. Muss man hier nicht auch ein bisschen die Kirche im Dorf lassen und Kompromisse finden und vielleicht auch als Arbeitnehmer hier und da verzichten?
Hoffmann: Ich glaube, es geht nicht um Verzicht, sondern es geht um vernünftige Kompromisse, um vernünftige Regelungen, und da erleben wir, Frau Büüsker: überall da, wo wir Personalräte haben, wo wir Betriebsräte haben, das klappt da wirklich richtig gut, im Interesse der Beschäftigten, auch im Interesse der Unternehmen, wo sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf Augenhöhe an den Tisch setzen und vernünftige Regelungen aushandeln. Das zeigt doch auch die Krise, dass wir dringend mehr Beteiligungsmöglichkeiten für die Beschäftigten in den Betrieben brauchen, mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten, dass beispielsweise Homeoffice, mobiles Arbeiten vernünftig geregelt werden kann, im Interesse der Beschäftigten, aber natürlich auch zum Wohle der unternehmen.
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