"Ich freu' mich auf die Impfung. Und ich hoffe einfach, dass wir diese Pandemie in den Griff bekommen dadurch. Nadeln stören mich gar nicht. Und das ist nicht die längste, die wir haben!"
Seit den frühen Morgenstunden bei der Arbeit, am frühen Nachmittag eigentlich Dienstschluss - aber: Für Christine Helbig kommt erst dann der Höhepunkt des Tages: Die 30-Jährige arbeitet als Krankenschwester am Klinikum Stuttgart - und ist die erste, der in Baden-Württemberg der Corona-Impfstoff der Unternehmen Biontech/Pfizer verabreicht wird, wie an diesem Nachmittag einer ganzen Reihe weiterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den umliegenden Krankenhäusern.
"Das finde ich schon sehr wichtig. Dazu zähle ja auch ich. Und wir haben einfach ein erhöhtes Risiko. Klar haben wir Masken, Handschuhe. Aber sind wir jeden Tag mit positiven Patienten zusammen, die natürlich husten. Und wir sind nicht eineinhalb Meter von denen entfernt. Sondern wir sind zehn Zentimter von denen entfernt. Und haben halt einfach einen erhöhten Kontakt damit auch."
Vergleich mit Mondlandung "greift zu kurz"
Minuten später, ein Stockwerk tiefer: Christine Helbig sitzt im Impfbehandlungsraum Nummer sieben namens "Wien". Alle provisorisch eingerichteten Behandlungskabinen in dem zum Impfzentrum umfunktionierten Kultur- und Kongresszentrum Liederhalle in Stuttgart sind nach europäischen Hauptsädten benannt; im Raum "Wien" wird zuerst gepiekst: Ärmel hochkrempeln, Spritze ansetzen - all dies dauert nur wenige Augenblicke - und dann: Applaus kommt auf, so als ob der Schüler einer Musikschule gerade eine Etüde zum besten gegeben hätte.
Doch hier geht es um weit mehr als um Etüden - sagt der, der gerade geklatscht hat: "Heute werden erstmals Menschen in Baden-Württemberg geimpft. Das ist der Beginn vom Ende der Pandemie."
Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann beschwört vor der Eingangstür des Kultur- und Kongresszentrums die Leistungen der Wissenschaft, die, so sagt er, in Rekordzeit einen Corona-Impfstoff entwickelt habe.
"In den letzten Tagen wurde häufig der Vergleich zur Mondlandung gezogen. Aber der Vergelich greift zu kurz. Der Mondlandung gingen ja Jahre an Forschung und Tests voraus. Der Weg zur Corona-Impfung ist bislang einmalig, in einer bislang nie gekannten Geschwindigkeit."
Kein Zwang, aber gute Gründe
Gleichwohl: Es gebe auch Risiken und Nebenwirkungen. Die seien aber kalkulierbar; Besorgnis erregende Auswirkungen hätten sich in den Studien und dort, wo bereits geimpft wird, nicht ergeben. Kretschmanns Appell daher: Zum Impfen gehen - ausdrücklich ohne Zwang, aber, wie der Regierungschef meint, mit guten Gründen:
"Mit jeder Impfung wird das Virus weniger gut zirkulieren können, weil's immer mehr auf immune Menschen trifft. Dafür müssen sich so viele Menschen wie möglich impfen lassen. Wir gehen derzeit von einer notwendigen Impfquote von 60 bis 70 Prozent aus."
Nur: Wenn sich viele impfen lassen, braucht es viele Impfstoff-Dosen - mehr als derzeit zur Verfügung stehen, so der baden-württembergische Gesundheitsminister Manfred Lucha von den Grünen:
"Wir sind im Moment etwas traurig, aber in der Realität, dass wir nicht diese Zahl an Impfdosen am Anfang erhalten, die wir theoretisch und praktisch verimpfen können."
Während man in Baden-Württemberg auf steigende Lieferzahlen vertraut, macht der Regierungschef im Nachbarland Bayern Druck: Mehr Impfdosen braucht das Land, so ließ sich heute Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder in einem Zeitungsinterview verlauten. Sein grüner Amtskollege Winfried Kretschmann will sich da eher nicht anschließen, weil:
"Das Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht. Ich meine, es können ja nicht deswegen mehr Impfstoffe hergestellt werden, weil ich das sage. Man kann wirklich davon ausgehen, dass diejenigen, die die Impfstoffe, sie so schnell herstellen, als sie es nur können."
"Ich möchte einfach, dass wieder Normalität einkehrt"
"Wir haben jetzt im Auto 50 Impfdosen. Es ist der erste Einsatz im Pflegeheim..."
Der Arzt Jakob Spenker ist einer der ersten, die in Baden-Württemberg mit mobilen Impfteams ausrücken, zu Alten- und Pflegeheimen. Viele ehrenamtliche Helfer machen mit, erledigen wichtige Albläufe in der Logistik, kümmen sich um diejenigen, die ins Impfzentrum kommen. Sie alle haben ein Ziel: Dazu beitragen, dass es mit dem Corona-Albtraum bald ein Ende hat. Selin Hubmann ist Schülerin aus Stuttgart - und macht als "Impflotsin" an diesem ersten Impftag in Stuttgart mit:
"Ich möchte halt einfach, dass auch wieder Normalität einkehrt hier bei uns, dass wir uns auch wieder treffen können, dass wir, ohne Angst zu haben, mit der Familie wieder essen gehen können. Und das ist halt schon ein kleiner Schritt in die richtige Richtung."