Klagen wegen Corona-Impfschäden
Nebenwirkungen vor Gericht

Deutsche Gerichte müssen vermehrt über mögliche Schäden urteilen, die durch Impfungen gegen Corona verursacht worden sein sollen. Der juristische Nachweis von Impfschäden ist allerdings nicht einfach zu erbringen.

    Eine Klägerin äußert sich am 26. Juni 2023 im Flur des Landgerichts Mainz im Anschluss an die Verhandlung um einen möglichen Impfschaden im Zusammenhang mit dem Corona-Vakzin von Astrazeneca vor TV-Kameras
    Nur ein Beispiel für einen Rechtsstreit zu Impfschäden: Eine Klägerin äußert sich Ende Juni 2023 im Flur des Landgerichts Mainz (picture alliance / dpa / Arne Dedert)
    In Deutschland wurden nach Behördenangaben bis Mitte Oktober 2023 fast 65 Millionen Menschen gegen das Corona-Virus geimpft, insgesamt wurden über 190 Millionen Impfungen verabreicht. Dabei berichtete eine unbekannte Zahl von Geimpften über gravierende Neben- und Nachwirkungen. Solche Verdachtsfälle landen nun vermehrt vor Gericht.

    Überblick

    Wie häufig sind schwere Corona-Impfschäden?

    Es gibt Risiken bei den Corona-Schutzimpfungen, aber der Nutzen der Impfungen überwiegt – darin sind sich Fachleute einig. So betont Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie: "Das Risiko, durch die Impfung Schaden zu nehmen, ist zum Glück immer noch relativ gering, betrifft je nach den Nebenwirkungen, die man da hat, einen von 10.000 bis einen von 100.000 Menschen."
    Kleinreden will Watzl das Problem aber nicht: "Wenn man dann guckt: Wir haben 60 Millionen Menschen innerhalb von einem Jahr geimpft, dann betrifft auch eine Frequenz von eins zu 10.000 oder eins zu 100.000 immer noch sehr viele Menschen." Ein Risiko von eins zu 100.000 bedeutet bei 60 Millionen Geimpften, dass rein statistisch 600 Menschen unter Impfschäden leiden könnten. Wie viele es tatsächlich sind, lässt sich nicht sagen.
    Das für die Sicherheit von Impfstoffen zuständige Paul-Ehrlich-Institut hat zwischen Dezember 2020 und Ende Februar 2023 fast 55.000 Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen registriert. Viele Ärzte beklagten sich aber über das zu komplizierte Meldewesen von Nebenwirkungen an das staatliche Institut. Deshalb gehen manche Experten davon aus, dass es noch mehr Verdachtsfälle geben könnte.
    Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte im Februar 2022 in der ARD gesagt, die Corona-Schutzimpfungen seien „mehr oder weniger nebenwirkungsfrei“. Später korrigierte er sich. Denn bei den Impfungen sind teils tatsächlich schwere Nebenwirkungen aufgetreten. Die vektorbasierten Impfstoffe von AstraZeneca, Johnson&Johnson und Sputnik V können beispielsweise zu Gerinnseln führen, die den Blutabfluss aus dem Gehirn blockieren und die Betroffenen damit in Lebensgefahr bringen können.

    Welchen Gerichtsverfahren müssen sich die Covid-Impfstoffhersteller stellen?

    An deutschen Landgerichten laufen bereits Verfahren, in denen die Kläger Schadenersatz und Schmerzensgeld von den Impfstoffherstellern fordern. Sie führen an, einen Impfschaden erlitten zu haben, wie er im Infektionsschutzgesetz definiert ist. Im Sinne dieses Gesetzes ist ein "Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung“.
    Allein der Wiesbadener Rechtsanwalt Joachim Cäsar-Preller berichtet im Juni 2023 von 850 Mandanten, die er vertritt. Es geht um Menschen, die ihre anhaltenden Beschwerden auf die Corona-Impfung zurückführen: Thrombosen im Gehirn, in den Beinen oder im Auge; Schlaganfälle, Herzmuskel- und Herzbeutel-Entzündungen und Erschöpfung.
    Weitere Kanzleien berichten über Zahlen in ähnlichen Größenordnungen. Bei den Klagen geht es um Verdienstausfälle, Behandlungskosten oder den Tod eines Verwandten.
    Davon hänge dann auch die konkrete Summe ab, die vor Gericht gefordert werde, sagt Cäsar-Preller. „Von 30.000 bis zu einer Million Euro. Eine Million Euro in den Fällen, wo es zum Tod geführt hat. Die Spreizung ist groß. Der Durchschnitt liegt zwischen 100.000 und 120.000 Euro.“

    Wie wahrscheinlich ist es, dass die Klagen Erfolg haben?

    Auch wenn die Beschwerden kurz nach einer Impfung aufgetreten sind – zu beweisen, dass die Impfung ursächlich dafür war, ist schwierig.
    Das zeigt ein Fall aus Rheinland-Pfalz: Das Landgericht Mainz wies im August 2023 die Klage einer Frau gegen AstraZeneca ab. Im vorliegenden Fall bestehe kein negatives Nutzen/Risikoprofil, begründete das Gericht seine Entscheidung. Das Nutzen/Risikoverhältnis umfasst laut dem Gericht eine Bewertung der positiven therapeutischen Wirkung im Vergleich zum Risiko eines Arzneimittels für die Allgemeinheit. Der Anwalt der Klägerin hat in dem Verfahren nun die nächste Instanz, das Oberlandesgericht Koblenz, angerufen.
    Auch eine Klage in Bayern scheiterte in erster Instanz. Dort begründete das Gericht seine Entscheidung damit, dass weder ein Produktfehler noch ein Informationsfehler im Zusammenhang mit dem Impfstoff festgestellt werden konnte. Mit der Berufung befasst sich das Oberlandesgericht Bamberg. Das lässt allerdings Zweifel daran erkennen, ob der Hersteller AstraZeneca ausreichend über Nebenwirkungen informiert hat. Die Klage könnte also durchaus Erfolg haben.
    Die Kläger müssen die Gerichte davon überzeugen, dass die Pharmafirmen tatsächlich haften. Das Bundesgesundheitsministerium hatte 2020 die rechtlichen Hürden diesbezüglich erhöht. In einer Bundesrechtsverordnung legte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fest, dass die Impfstoffhersteller nur haften, wenn sie grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich einen Schaden verursachen.
    Ohnehin hätten sich die Hersteller schon während der Entwicklung der Corona-Vakzine von der EU und der Bundesregierung zusichern lassen, dass der Staat letztlich die Haftung übernimmt, sagt der Anwalt Joachim Cäsar-Preller. Wenn ein Pharmaunternehmen tatsächlich nach einem Urteil zahlen müsse, könne es sich alles von der Bundesregierung zurückholen.

    Wo kann ich mich melden, um mir einen Impfschaden behördlich bestätigen zu lassen?

    Wer vermutet, unter einer schweren Impfnebenwirkung zu leiden, kann bei den Versorgungsämtern der Bundesländer einen Antrag stellen. Nach Recherchen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von Mitte März 2023 hatten das zu diesem Zeitpunkt bereits 6.600 Menschen getan.
    Wer Erfolg hat, bekommt eine Rente. Doch die Erfolgsaussichten sind nicht besonders groß: Lediglich 284 Fälle seien von den Behörden bislang anerkannt worden, so das Blatt. "Zeit Online" berichtete Mitte Juni 2023 von mittlerweile knapp 9.000 Anträgen und 379 anerkannten Fällen.

    Wie werden Nebenwirkungen von Impfstoffen ermittelt?

    „Zu sagen, dass eine Erkrankung oder eine Komplikation wirklich ursächlich durch die Impfung stattgefunden hat, ist für den Einzelnen fast unmöglich“, sagt Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Beschwerden wie Sinusvenenthrombosen, Herzmuskelentzündungen oder Erschöpfungssyndrome könnten auch ganz andere Ursachen als die Impfung haben.
    Darum suchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Spuren im Körper der Betroffenen, sogenannten Biomarkern, erklärt Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: „Wenn wir Biomarker haben, sprich Laborbefunde, bildgebende Befunde, die zeigen, es hat etwas mit der Impfung zu tun, dann erleichtert das natürlich die Einordnung als Impffolge." Das helfe bei der Wahl einer geeigneten Therapie als auch bei etwaigen juristischen und versicherungstechnischen Ansprüchen der Betroffenen.
    Das für die Sicherheit von Impfstoffen zuständige Paul-Ehrlich-Institut vergleicht die Zahl der gemeldeten Verdachtsfälle damit, wie häufig diese Beschwerden in Zeiten vor der Impfung vorkamen. So erkennen die Experten mit der Zeit auch sehr seltene Nebenwirkungen. Im Frühjahr 2021 war beispielsweise aufgefallen, dass nach Impfungen mit dem Präparat von AstraZeneca Menschen häufiger als zu erwarten gewesen wäre unter Sinusvenenthrombosen litten.
    Inzwischen wissen Forscherinnen und Forscher, dass vektorbasierte Impfstoffe bei manchen Menschen in seltenen Fällen bestimmte Antikörper hervorrufen können, erklärt Peter Berlit: „Da haben wir überhaupt kein Zweifel, dass das genau der Mechanismus ist, sodass wir heute, wenn wir das Krankheitsbild kennen, auch früh etwas unternehmen können, um zu verhindern, dass diese Patienten lebensgefährliche Thrombosen bekommen.“
    Auch für Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen nach Impfungen mit mRNA-Impfstoffen sind inzwischen Biomarker bekannt. Schwieriger ist die Datenlage beim sogenannten Post-Vac-Syndrom, bei dem Menschen unter anderem über schwere Erschöpfungserscheinungen klagen. Die Beschwerden ähneln denen von Long Covid. Fachleute sind überzeugt davon, dass die Impfung in sehr seltenen Fällen Post-Vac auslösen kann.

    Joachim Budde, tei, dpa