In Großbritannien, Südafrika und Brasilien sind bereits neue Mutationen des Coronavirus entdeckt worden. Die britische Variante wurde inzwischen in rund 100 weiteren Ländern nachgewiesen, auch in Deutschland. Politik und Wissenschaft sind aufmerksam bis alarmiert – auch die bis Anfang März verschärften Corona-Maßnahmen in Deutschland wurden zum Teil mit den neuen Varianten begründet. Die große Hoffnung ruht auch hier auf den voranschreitenden Impfungen und ihrer Wirkung auch gegen die Mutationen.
- Besteht die Gefahr, dass die vorhandenen Impfstoffe wirkungslos werden können?
- Welche Strategien gibt es, eine Immunantwort auf Coronavirusvarianten zu erhöhen?
- Könnte man theoretisch beliebig oft impfen?
- Was tun bei Virusvarianten, bei denen kein aktueller Impfstoff mehr hilft?
- Erfordert die Zulassung auch für Varianten-Impfstoffe wieder langwierige klinische Studien?
- Wie schnell wäre ein Varianten-Impfstoff verfügbar?
- Könnte man einen universellen Impfstoff entwickeln, der gegen alle Varianten schützt?
Die Gefahr ist aktuell noch überschaubar. Wir haben es in Deutschland vor allem mit der britischen Variante B.1.1.7 zu tun. Die breitet sich zwar schneller aus, führt wohl auch zu stärkeren Symptomen, aber die Impfstoffe wirken gut dagegen. Ein bisschen anders gelagert ist die Situation bei B.1.351 aus Südafrika und auch bei der Variante P1 aus Brasilien. Beide beinhalten eine Mutation im Spikeprotein, die offenbar die Bindung von Antikörpern beeinträchtigt. Mit der Folge, dass die Impfstoffe nicht mehr so gut wirken. Die Impfstoffe von Johnson&Johnson und von Novavax zum Beispiel sind gegen die aktuell noch dominierenden Viren sehr effektiv. In Südafrika aber sinkt ihre Wirksamkeit auf 50 bis 60 Prozent. Und AstraZenecas Impfstoff hat dort sogar noch schlechter abgeschnitten, der konnte milde Krankheitsverläufe praktisch gar nicht verhindern.
Sorgen muss man sich dennoch nicht machen, und zwar aus zwei Gründen: Bei uns spielt B.1.351 aktuell nur eine sehr geringe Rolle, stellt nur rund ein Prozent der untersuchten Proben und anders als bei B.1.1.7 steigt dieser Wert aktuell auch nicht weiter an. Von daher haben wir in jedem Fall noch Zeit.
Zweitens kommt es bei Covid-19 auf die schweren Verläufe an, auf die Patienten, die vielleicht sterben. Und da zeigte sich: Auch in Südafrika musste niemand der mit Novavax oder Johnson&Johnson Geimpften ins Krankenhaus. Und die Studie für AstraZeneca war speziell auf jüngere Personen ausgerichtet, die konnte die schweren Verläufe gar nicht in den Blick nehmen. Da wissen wir also im Grunde noch gar nicht, wie gut oder schlecht der Impfstoff mit B.1.351 zurechtkommt.
Was die mRNA-Impfstoffe von Moderna und von BioNTech/Pfizer betrifft: Da gibt es noch keine klinischen Studien. Versuche im Reagenzglas zeigen: Die nach der Impfung gebildeten Antikörper reagieren nicht so gut auf B.1.351, aber weil so viele dieser Antikörper gebildet werden, sollte das in der Praxis kein Problem darstellen. Also im Moment spricht alles dafür, sich mit den verfügbaren Impfstoffen impfen zu lassen.
Die Impfstoffhersteller und auch die Zulassungsbehörden sind eifrig dabei, neue Strategien auszuloten. Am einfachsten umzusetzen ist die Booster-Impfung. Also eine dritte Impfdosis statt der bisher üblichen zwei. Sie führt zu einer weiteren Steigerung der Antikörperspiegel. Und es könnte es sein, dass ein Mehr an Impfstoff tatsächlich die richtige Antwort ist. Marylyln Addo vom Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg forscht an einem Impfstoff gegen ein anderes Coronavirus namens MERS. Und da konnte sie zeigen: Eine dritte Impfung verstärkt die Immunantwort noch einmal erheblich.
Ein weiterer Ansatz nennt sich "Mix and Match", also das Impfen mit verschiedenen Vakzinen. Da laufen schon klinische Studien mit einer Kombination von AstraZeneca und BioNTech oder auch von AstraZeneca mit dem russischen Impfstoff Sputnik V. Eigentlich sollten mit "Mix und Match‘ nur Lücken in der Impfstoffversorgung überbrückt werden. Aber es könnte sein, dass die Kombination auch effektiver ist, weil jeder Einzelimpfstoff zu einer etwas anderen Immunantwort führt und die Kombination deshalb breiter aufgestellt sein sollte, aber das wird man erst nach den Studien wirklich wissen.
Klar ist: Bei beiden Strategien, Booster und "Mix and Match", werden bereits zugelassene Impfstoffe verwendet, deshalb sind die Hürden für die Zulassung der etwas veränderten Anwendung niedrig.
Auch das ist nicht wirklich bekannt. Der Impfstoff von AstraZeneca und viele andere Präparate nutzen abgeschwächte Schnupfenviren, um die genetische Information des Corona-Spike-Proteins in den Körper zu bekommen. Die Immunantwort richtet sich dann nicht nur gegen dieses Stachelprotein, sondern auch gegen die Schnupfenviren, und das könnte eine zweite Impfung weniger effektiv machen. Auf der anderen Seite zeigt die Studie von Marylyn Addo: Auch dreimal impfen kann sinnvoll sein. Die mRNA-Impfstoffe sind in winzige Lipidtröpfchen verpackt, die werden vom Immunsystem eigentlich ignoriert, von daher ist die Hürde hier niedriger, aber auch hier gilt: Studien abwarten.
Das kann früher oder später passieren, weil ständig neue Varianten entstehen. Aktuell werden welche aus Japan und Kalifornien diskutiert, auch B.1.1.7 hat in Großbritannien neue Mutationen entwickelt. Und das kann dazu führen, dass da wirklich ganz neue Impfstoffe nötig werden. Und genau daran wird bereits heute in den Laboren der Hersteller gearbeitet. Bei CureVac, bei AstraZeneca, bei BioNTech. Dort sagt der Gründer Ugur Sahin sogar: "Variantenanpassung ist eine neue Wissenschaft."
Und die schreitet schnell voran. Im Grunde muss nur die Information für das veränderte Spikeprotein einer neuen Mutante in das bereits bewährte Impfstoffkonstrukt integriert werden. Das sollte, wenn eine gefährliche Mutante auftaucht, innerhalb von rund sechs Wochen möglich sein. Im nächsten Schritt muss dann die Produktion des neuen Impfstoffs unter Reinbedingungen hochgefahren werden. Das gelingt bei den mRNA-Impfstoffen schneller, die werden chemisch synthetisiert. Vektorimpfstoffe wie der von AstraZeneca brauchen länger in der Produktion, weil da die Viren von Zellen in Bioreaktoren gebildet werden. Aber nach einem guten Vierteljahr könnten die Impfungen mit den angepassten Vakzinen theoretisch losgehen.
Vermutlich nicht. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA, das deutsche Paul-Ehrlich-Institut und die anderen Zulassungsbehörden in Europa prüfen Wege für eine beschleunigte Zulassung. Konkret soll das bei Impfstoffen für Corona-Varianten unter bestimmten Bedingungen möglich werden. Erstens muss es sich um dasselbe Herstellungsverfahren handeln und dieselbe Qualität des Impfstoffs muss garantiert werden. In diesem Fall werden dann keine neuen Tierversuche oder klinischen Studien zur Sicherheit verlangt. Zweitens muss die Wirksamkeit des Impfstoffs gegenüber der neuen Variante in klinischen Phase-3-Studien belegt werden, aber in deutlich kleineren Studien, nicht mit zehntausendenden Teilnehmern sondern nur mit einigen hundert.
Bei so wenigen Probanden ist es nicht mehr möglich, tatsächliche Infektionen bei der Placebo-Gruppe und der Impfgruppe zu vergleichen. Stattdessen greift man auf das sogenannte Immunobridgeing zurück. Im Grunde auf Laborwerte, die die Stärke der Immunantwort messen und damit, davon gehen alle aus, auch die Stärke des Schutzes. Da geht es wahrscheinlich vor allem um neutralisierende Antikörper, also Antikörper die im Reagenzglas verhindern, dass die Viren Zellen infizieren.
Bei so wenigen Probanden ist es nicht mehr möglich, tatsächliche Infektionen bei der Placebo-Gruppe und der Impfgruppe zu vergleichen. Stattdessen greift man auf das sogenannte Immunobridgeing zurück. Im Grunde auf Laborwerte, die die Stärke der Immunantwort messen und damit, davon gehen alle aus, auch die Stärke des Schutzes. Da geht es wahrscheinlich vor allem um neutralisierende Antikörper, also Antikörper die im Reagenzglas verhindern, dass die Viren Zellen infizieren.
Dass dieses Konzept der angepassten Zulassung funktioniert, zeigt die Grippeimpfung, die ja auch jedes Jahr auf neue Stämme maßgeschneidert wird. Alles in allem könnte ein Variantenimpfstoff in knapp einem halben Jahr verfügbar sein.
Die Mutanten fallen ja nicht vom Himmel. Sie treten meist zuerst in anderen Ländern auf und brauchen Zeit, um sich durchzusetzen.
Die Mutanten fallen ja nicht vom Himmel. Sie treten meist zuerst in anderen Ländern auf und brauchen Zeit, um sich durchzusetzen.
Es ist also nicht sinnvoll, nur weil eine Variante irgendwo auftritt, die Impfstoffproduktion gleich umzusteuern. Aktuell kommt es erst einmal darauf an, schnell die verfügbaren Impfstoffe auch zu nutzen und die Produktion hochzufahren. Wenn es dann Probleme gibt, kann man erst einmal mit einer dritten Impfdosis reagieren. Wie gesagt, die Produktionskapazitäten sind entscheidend. Und dann wird man über eine Anpassung nachdenken. Aber anders als bei der Grippe ist das alles noch Neuland. Auf Nachfrage konnte niemand, weder von den Firmen noch von den Zulassungsbehörden konkret sagen, ab wann die Impfstoffe tatsächlich angepasst werden. Die Kriterien dafür müssen noch entwickelt werden. Es wird ja auch so sein, dass neben den neuen die alten Viren weiter in Umlauf sind, also gegen die muss die Impfung ja weiter schützen. Hier gibt es noch viel Forschungsbedarf, aber wirklich alle haben das auf dem Schirm und sind da schon aktiv dabei.
Solche universellen Impfstoffe sind wirklich der Gral der Vakzin-Forschung. Bei der Grippe wird daran seit über 20 Jahren gearbeitet und so langsam gibt es auch konkrete Erfolge. Vielleicht wäre ein Schritt nach vorne, die Coronaimpfstoffe breiter aufzustellen, sich nicht nur auf das Spikeprotein zu konzentrieren. Das ist in jedem Fall entscheidend, weil man darüber verhindern kann, dass die Viren überhaupt in die Zellen eindringen. Aber man könnte zusätzlich auch gegen das N-Protein zum Beispiel im Inneren der Viren eine Immunantwort auslösen. Das verändert sich nämlich nicht so schnell. Aber vielleicht auch nur, weil es dagegen noch keine Impfstoffe gibt und damit keinen Druck, sich anzupassen. Biontech-Gründer Ugur Sahin erinnert daran, dass es bei den Schnupfenerregern mehrere unterschiedliche Coronagruppen gibt und zwar genau, weil jede Gruppe der Immunantwort gegen die jeweils anderen Coronaviren ausweichen kann. Also ein universeller Impfstoff ist ganz sicher kein leichtes Ziel und eher etwas für die Phase nach der Pandemie, meint Marylyn Addo. Erst einmal geht es darum, möglichst viel der verfügbaren Impfstoffe zu produzieren und sie vielleicht anzupassen.