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Corona-Impfstoffverteilung
Nach welchen ethischen Kriterien der Zugang geregelt werden soll

COVID-19-Impfstoffe könnten schon bald zur Verfügung stehen. Doch es wird zunächst nicht für alle reichen, sodass eine Strategie entwickelt werden muss, wer zuerst geimpft werden soll. Der Deutsche Ethikrat hat sich mit diesem Problem auseinandergesetzt und Empfehlungen entwickelt. Ein Überblick.

Von Mirko Smiljanic |
Symbolfoto Impfstoff
Die Bedürftigen zuerst - doch nach welchen Kriterien wird die Bedürftigkeit festgelegt? (imago images / Alexander Limbach)
Ein Impfstoff gegen das Coronavirus – darauf richten sich alle Hoffnungen, die Nachfrage dürfte riesig sein. Unter den vielen Impfstoffen, an denen geforscht wird, gibt es zwei Hoffnungsträger, die kurz vor der Zulassung stehen: Der eine kommt vom Mainzer Unternehmen Biontech, der zweite stammt aus den Laboren des US-Konzerns Moderna. Beide versprechen eine mehr als 90-prozentige Sicherheit gegen das Coronavirus.
Zwei Hände in blauen Handschuhen ziehen vor rotem Hintergrund eine Spritze auf.
COVID-19 - Wettlauf um den Impfstoff
Im Wettlauf um die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs haben das deutsche Unternehmen Biontech und sein Partner, der US-Pharmakonzern Pfizer, ein vielversprechendes Zwischenergebnis gemeldet. Auch andere Projekte sind schon sehr weit.
Das klingt vielversprechend, wirft aber die Frage auf: Wer wird als erstes geimpft? Denn eines ist jetzt schon klar: Für alle wird der Impfstoff zumindest in den ersten Monaten nicht reichen. Mit diesem Problem haben sich Wissenschaftler auf dem Forum Bioethik des Deutschen Ethikrates beschäftigt und Empfehlungen ausgesprochen.
Welche ethischen Grundsätz spielen eine Rolle?
Zunächst gilt der Grundsatz der Selbstbestimmung: Das bedeutet in diesem Fall, dass Imfpungen die aufgeklärte und freiwillige Zustimmung voraussetzen. Eine Impfpflicht soll es nicht geben.
Dann gibt es den ethischen Grundsatz der Wohltätigkeit: Normalerweise sollten Ärzte so arbeiten, dass sie Menschen zu jeder Zeit optimal fördern, im vorliegenden Fall also jedem Menschen sofort die Möglichkeit geben, geimpft zu werden. Weil das aber nicht möglich ist, greifen die ethischen Grundsätze der Gerechtigkeit und der Rechtsgleichheit.
Hier finden Sie das vollständige Positionspapier zur Verteilung des Covid-19-Impfstoffs der Ethik Kommission, der Ständigen Impfkommission und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina
Für die Priorisierung bedeutet dies: Gleiche werden gleich behandelt, Ungleiche ungleich. Wenn also ein Mensch durch seine Berufstätigkeit oder durch schwere Vorerkrankungen oder durch sein hohes Alter gefährdeter ist als die Allgemeinbevölkerung, soll er bevorzugt geimpft werden. An diesem Punkt greift ein weiterer ethischer Grundsatz, und zwar der der Solidatität. Jüngere, gesunde Menschen sollen sich Risikogruppen gegenüber solidarisch verhalten und den eigenen Anspruch auf rasche Gesundheitsschutzmaßnahme zeitweise zurückstellen.
Welche Gruppen werden priorisiert?
Drei Gruppen haben die Mitglieder des Deutschen Ethikrates nach folgenden Kriterien herausgearbeitet:
Alter und Vorerkrankung
Zur ersten Gruppe zählen Menschen, die aufgrund ihres hohen Aters oder vorbelasteten Gesundheitszustandes ein siginifkant erhöhtes Risiko auf schwere oder tödliche Krankheitsverläufe haben. Dazu zählen Bewohner von Pflegeheimen und Menschen mit schweren Vorerkrankungen, etwa Krebs, Herz-Kreislauf-Leiden oder Diabetes Mellitus.
Der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt (26.5.2014). 
Hausärzteverband: "Das Alter allein wird nicht reichen"
Bei der Frage danach, welche Personengruppen als erste gegen COVID-19 geimpft werden, sei vor allem eine klare Kommunikation wichtig, sagte der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, im Dlf. Hausärzte könnten diese Priorisierung nicht vornehmen.
Gesundheitsversorgung
In der zweiten Gruppe sind diejeinigen zusammengefasst, die diesen Menschen helfen: also alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den stationären Einrichtungen der Gesundheitsversorgung wie Ärzte, Schwestern und Pfleger, aber auch alle, die in der Altenpflege arbeiten. Bei dieser Gruppe kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Sie tragen nicht nur ein erhöhtes Risiko für sich selbst, sondern auch für viele andere Menschen, da sie das Virus als Multiplikatoren nach außen targen können.
Eine Hand hält eine Spritze, aus der ein Tropfen kommt.
Medizinethikerin: "Es ist niemand per se ausgeschlossen"
Bei der Verteilung des neuen COVID-19-Impfstoffs werde es eine "Priorisierung auf Zeit" geben, sagte die Medizin-Ethikerin Alena Buyx im Dlf. Aktuell werde geprüft, welche Menschen und Berufsgruppen besonders gefährdet sind. Man müsse sich das wie eine Art Matrix vorstellen, so Buyx.
Systemrelevanz
In der dritten Gruppe sind Menschen zusammengefasst, die allgemein als systemrelevant gelten, ohne die also das gesellschaftliche Leben nicht richtig funktionieren würde. Dazu zählen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gesundheitsämter, Polizei und Feuerwehr, aber auch Lehrkäfte und Erzieherinnen.
Wie sollen die Impfungen praktisch ablaufen?
Ein Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz sieht vor, dass der Bund die Impfstoffe beschafft und finanziert, während die Länder Impfzentren einrichten. Hausarztpraxen sind erst mal außen vor, denn sie könnten den Ansturm kaum bewältigen. Die Impfdosen sollen dem Bevölkerungsanteil entsprechend an die Länder verteilt werden. Hier spielt die Bundeswehr wohl eine wichtige Rolle.
Die Länder müssen zudem das Personal bereitstellen, viele Millionen Kanülen und Spritzen müssen bestellt und gekauft werden, es muss eine Logistik aufgebaut werden, wie die jeweiligen Risikogruppen erreicht und zur Impfung eingeladen werden können. Mobile Impftrupps müssen in die Heime gehen, auch dort muss - zumindest der Biontech-Impfstoff - bei minus 70 Grad Celsius gelagert werden – all das sind gewaltige Aufgaben.
Wann sind alle geimpft, die geimpft werden wollen?
Mindestens ein Jahr dauert es nach Meinung des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach, bis 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sind, also bis Ende des kommenden Jahres. Dieser Wert würde eine sogenannte Herdenimmunität zur Folge haben, das Coronavirus würde nach und nach verschwinden.
Mirko Smiljanic
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2