Gerade bei der Delta-Variante wirken die Impfstoffe nicht so gut. Man kann sich infizieren und das heißt, man kann auch wieder andere anstecken. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht lautet: Trotzdem kommen die meisten Geimpften mit der Infektion zurecht. Die Impfung ist also weiter wirksam gegen schwere Verläufe. Daneben gibt es das Phänomen Long Covid. Dabei entwickeln Menschen Monate nach der Infektion plötzlich doch noch schwere Symptome. Es besteht die Hoffnung, dass die Impfung auch dieses Phänomen künftig verhindert.
Impfen zielt jedoch nicht nur auf den individuellen Schutz, sondern auch auf den Schutz der anderen. Bei SARS-CoV-2 gilt es als unwahrscheinlich, dass durch eine Impfung die sogenannte "sterile Immunität" erreicht wird – das Virus also durch die Immunisierung überhaupt nicht mehr in den Körper gelangt. Es ist durchaus möglich, dass sich SARS-CoV-2 in der Nase von Geimpften festsetzen kann, bevor das Immunsystem reagiert.
In einer Studie des Robert Koch-Institutes hieß es Ende Mai 2021: "Nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist das Risiko einer Virusübertragung durch Personen, die vollständig geimpft wurden, spätestens zum Zeitpunkt ab dem 15. Tag nach Gabe der zweiten Impfdosis geringer als bei Vorliegen eines negativen Antigen-Schnelltests bei symptomlosen infizierten Personen." Es bleibt demnach ein Restrisiko, das liegt aber in einem Bereich, den wir als Gesellschaft bei den Tests bereits akzeptieren.
Da mit der Impfung gegen SARS-CoV-2 keine "sterile Immunität" erreicht wird, besteht die Möglichkeit, dass Geimpfte andere mit dem Virus infizieren. In der Praxis geschieht das aktuell vor allem im Zusammenhang mit der Delta-Variante. Allerdings deuten alle bisherigen Erkenntnisse in Richtung: Wo viel geimpft wurde, verlangsamt sich auch die Ausbreitung des Virus.
Impfdurchbrüche und 7-Tage-Inzidenzen verschiedener Länder im Vergleich
Mitte August war mehr als die Hälfte der COVID-Patienten in Israels Klinken vollständig geimpft (*). Das klingt beunruhigend. Aber weil die Impfquote in Israel so hoch ist, gibt es nur noch wenige Ungeimpfte, das verzerrt die Statistik. Tatsächlich senkt die Impfung das Risiko für einen schweren Verlauf je nach Altersgruppe um zwischen 85 und 91 Prozent, wie der amerikanische Biostatistiker Jeffrey Morris berechnet hat.
Auch aus den USA wird gemeldet, dass die Zahl der geimpften Corona-Patienten steigt. Deutschland betreffend kann man im Wochenbericht des Robert Koch Institutes vom 26.08.21 nachlesen, dass in den vergangenen vier Wochen etwa einer von zehn Covid-Patienten im Krankenhaus vollständig geimpft war. Wenn man nicht auf die Krankenhäuser achtet, sondern auf Infektionen allgemein, dann ist der Blick nach Baden-Württemberg aufschlussreich. Dort liegt die 7-Tage-Inzidenz bei rund 72. Aber: Bei geimpften Personen beträgt die Inzidenz nur 10; unter Ungeimpften ist sie mit 122 mehr als zehnmal so hoch. (Stand 31.08.2021)
Eine noch nicht abschließend begutachtete Studie versucht das anhand von Daten zu fast 400.000 Haushalten in Großbritannien genauer zu fassen. Dabei zeigte sich, dass wenn sich jemand trotz Impfung angesteckt hat, er oder sie das Virus nur halb so häufig an andere Personen im Haushalt weitergab. Also stecken sich Geimpfte anscheinend deutlich seltener selbst an und geben das Virus auch seltener weiter.
In den USA wurden zudem fast 4.000 Pflegekräfte und andere Menschen aus früh geimpften Gruppen über 13 Wochen begleitet, jede Woche getestet und mit nicht geimpften Personen verglichen. Dabei stellte man fest, dass es in der Gruppe der Geimpften 90 Prozent weniger Infektionen gab – und zwar einschließlich asymptomatischer Infektionen. Das bedeutet: Das Risiko, als Geimpfte oder Geimpfter das Virus weiterzugeben, ist sehr gering.
Der Fall in Leichlingen
Obwohl alle Bewohner geimpft waren, kam es in einem Seniorenheim in Leichlingen (NRW) zu einem größeren Corona-Ausbruch. Der Düsseldorfer Virologe Jörg Timm schließt aus dem zeitlichen Verlauf der Infektionen, dass das Virus nicht von einem Heimbewohner zum nächsten weitergereicht wurde, sondern dass jemand von außen gleich ein Dutzend der geimpften Bewohner anstecken konnte. Es deutet nichts darauf hin, dass die Heimbewohner selbst hoch ansteckend waren.
Unklar ist, ob es sich um ein einzelnes Superspreading-Ereignis handelte, oder ob vielleicht jemand vom Personal über mehrere Tage Menschen infizieren konnte. Und wichtig ist: In Leichlingen kam es trotz der vielen Infektionen nicht zu schweren Verläufen. Damit hat der Fall dank der Impfungen einen ganz anderen Verlauf als Corona-Ausbrüche in Heimen zu Beginn der Pandemie.
Wenn immer mehr Menschen geimpft sind, setzen sich vor allem die Varianten durch, bei denen die Impfung nicht so gut wirkt - und die Varianten, die besonders gut Menschen neu infizieren können. Varianten, bei denen die Impfwirkung weniger effektiv ist, gibt es etwa in Südafrika, in Brasilien und eventuell auch in Indien: In diesen Ländern kommt es wegen der Mutationen vermehrt zu Ansteckungen unter Geimpften. Allerdings scheinen die Impfungen zumindest schwere Verläufe auch bei den Varianten weitgehend zu verhindern. Noch fehlen dazu aber ausreichend belastbare Daten.
Eine aktuelle Vorabveröffentlichung aus Neu Dehli hat knapp 300 Krankenhausangestellte nach der AstraZeneca Impfung immer wieder getestet und dabei festgestellt, dass sich ein Viertel von ihnen bei dem großen Delta-Ausbruch dort angesteckt hat. Und eine Studie aus Portugal, ebenfalls vorab publiziert, zeigt, dass es bei Delta doppelt so häufig zu Impfdurchbrüchen kommt, wie bei der früher verbreiteten Alpha-Variante. (Stand 31.08.2021)
Zudem ist aktuell noch nicht klar, wie lange der Impfschutz wirkt. Möglich sind regelmäßige Auffrischungsimpfungen, die an die dann umlaufenden Varianten angepasst sind. Deshalb ist es entscheidend, die Infektionszahlen deutlich abzusenken. Das ist der effektivste Weg, das Risiko für Ansteckungen nach einer Impfung zu senken und damit auch die Entstehung von Varianten hinauszuzögern.
Die Bundesregierung hatte berits im Mai 2021 beschlossen, vollständig Geimpfte und Genesene mit denjenigen gleichzustellen, die einen aktuellen negativen Schnelltest vorweisen können. Für sie gelten Ausgangssperre, Quarantänepflichten nach Reisen und Kontaktbeschränkungen nicht mehr.
In Deutschland sind in den vergangenen vier Wochen 182 Menschen an COVID-19 gestorben, 37 von ihnen waren vollständig geimpft. Es handelte sich meist um Personen im Alter über 80 Jahre oder mit erheblichen Vorerkrankungen. Laut RKI spiegelt das das generell höhere Sterberisiko dieser Gruppe wider – unabhängig vom Impfstatus. (Stand 31.08.2021) Das heißt für alle Bürgerinnen und Bürger, ob geimpft oder nicht: Einschränkungen ernst nehmen und Kontakte reduzieren. Denn auch wenn die Schutzwirkung der Impfstoffe groß ist, besteht immer noch ein Restrisiko.
Der Sinn von Kontaktreduzierungen lässt sich mit einem einfachen Beispiel verdeutlichen: Angenommen, eine Person ist durch eine Impfung zu 90 Prozent geschützt. Vor der Impfung hat diese Person regelmäßig nur eine andere Person getroffen. Trifft sie nun nach der Impfung regelmäßig zehn Menschen, ist das Risiko, sich anzustecken, rein mathematisch gleich geblieben. Der Schutz vor schweren Verläufen ist zwar deutlich besser, aber die Menge der Kontakte erhöht das Risiko der Verbreitung.
Das Robert Koch-Institut empfiehlt eindeutig: Geimpfte Personen sollten "bis auf Weiteres Maske tragen, sich an die Hygiene- und Abstandsregeln halten" – eben, um andere vor einer Ansteckung zu schützen. Denn vor allem durch die Delt-Variante steigt auch die Zahl der Impfdurchbrüche.
(*) Wir haben diese Passage um eine Einordnung ergänzt, um Fehlinterpretationen zu vermeiden.