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Corona in Israel
Hohe Infektionszahlen unter Ultraorthodoxen

Israel ist mit ausreichend Impfdosen versorgt und bei der Impfung seiner Bevölkerung so schnell wie kein anderes Land. Dennoch steigen die Infektionszahlen dramatisch, auch, weil sich viele Bewohner der ultraforthodoxen Viertel und Städte nicht an die Corona-Maßnahmen halten.

Von Benjamin Hammer |
Ultra-Orthodoxe Juden im Stadtteil Mea Shearim, die sich für das Fest Sukkot vorbereiten.
In Stadtvierteln, in denen ultra-orthodoxe Juden leben, ist die Infektionsrate besonders hoch (Imago/Debbie Hill)
Anruf beim Rabbiner Israel Birsovski. Ein Journalist des israelischen Senders KAN gibt sich als ultra-orthodoxer Bewohner aus dessen Nachbarschaft aus. "In meiner Straße gibt es jeden Abend Hochzeiten mit sehr vielen Menschen", sagt der Journalist. "Die Leute halten sich nicht an die Regeln und damit steigt die Corona-Gefahr."
"Das geht Dich nichts an", antwortet der Rabbiner. "Du darfst keine Anzeige erstatten." Israel Birsovski ist Rabbiner in der israelischen Stadt Beitar Illit, die im besetzten Westjordanland liegt. Hier leben fast ausschließlich ultraorthodoxe Juden und bei denen hat das Wort eines Rabbiners großes Gewicht. Nicht alle – aber viele streng religiöse Israelis halten sich nicht an die Corona-Regeln. Seit Monaten.

Israel impft so schnell wie kein anderes Land

Israel impft zwar so schnell wie kein anderes Land gegen das Coronavirus. Die Infektionsrate ist aber ebenfalls auf einem weltweiten Rekordhoch. Etwa 40 Prozent aller Infektionen in Israel werden bei Ultraorthodoxen nachgewiesen. Obwohl die nur etwa zwölf Prozent der Bevölkerung ausmachen.
Dieses Video soll eine ultraorthodoxe Hochzeit zeigen. Die Menschen stehen dicht beieinander. Ohne Masken. Die Polizei löst die Feier später auf. An vielen Orten, sagen Kritiker, taucht die Polizei gar nicht auf.

Hochzeiten und Schulbesuch in Orthodoxen Vierteln

Israel befindet sich eigentlich in einem strengen Lockdown. Trotzdem besuchen aktuell zehntausende streng religiöse Schüler Bildungseinrichtungen. Bei säkularen Israelis – deren Kinder fast das ganze Schuljahr zu Hause bleiben mussten – ist der Frust enorm. Kritikerinnen und Kritiker werfen der Polizei Untätigkeit vor. Die schreibe in Städten wie Tel Aviv – wo es vergleichsweise wenige Infektionen gibt – fleißig Strafzettel für Verstöße gegen den Lockdown. Halte sich aber gegenüber den Ultraorthodoxen zurück.
Die Order dafür – spekulierte kürzlich die Zeitung "Ha’aretz" – komme wohl von ganz oben. Von Benjamin Netanjahu. Der ist wegen Korruption angeklagt. Die ultra-orthodoxen Parteien hielten ihm bislang die Treue. Und verschafften ihm eine Regierungsmehrheit. Ende März gibt es in Israel eine weitere Neuwahl. Netanjahus aussichtsreichster Konkurrent - Gideon Sa’ar – weiß, dass viele säkulare Israelis frustriert sind, dass die Regeln bei den streng Religiösen kaum durchgesetzt werden.

Viele säkulare Israelis frustriert

"Eine Regierung unter meiner Führung", sagte Sa’ar dem Fernsehkanal 12, "wird die Gesetze und Vorschriften bei der gesamten Bevölkerung und in allen Teilen des Landes durchsetzen".
Die ultra-orthodoxen Gemeinden pauschal zu kritisieren, wäre unfair. Manche halten sich an die Regeln. Außerdem ist es – wegen der engen, teils ärmlichen Lebensverhältnisse – gar nicht so einfach, sich zu schützen. Yehuda Meshi-Zahav arbeitet für den ultra-orthodox geprägten Rettungsdienst ZAKA und stammt aus dem streng religiösen Viertel Mea Shearim in Jerusalem. An oder mit COVID-19 starben die Mutter und ein Bruder des Israelis.
"In den ultra-orthodoxen Vierteln sieht man die Aushänge der Todesanzeigen, die wie in einem Daumenkino alle zwei Stunden die Namen der Toten ändern. Es gibt keinen Haushalt, kein Haus und keine Gemeinde, in der es keinen Toten gab."
Der Druck, die Regeln durchzusetzen, kommt nun auch aus den ultraorthodoxen Vierteln. Dort herrsche teilweise Panik, berichten israelische Medien. Der Andrang an den Impfstationen ist groß. Für manche – das ist leider schon jetzt sicher – wird die Impfung aber nicht mehr rechtzeitig kommen.