Die täglichen Neuinfektionen, zuletzt oft mehr als 1000, bereiten Radu Tincu große Sorgen. Denn statistisch gesehen landen damit täglich rund 50 neue Covid-19-Fälle auf den Intensivstationen des Landes. Fälle, für die es oft noch nicht einmal genügend Personal gibt, erzählt Tincu. Er arbeitet als Intensivmediziner im Bukarester Notfallkrankenhaus "Floreasca".
"Die staatlichen Krankenhäuser in Rumänien hatten schon vor der Coronavirus-Krise einfach zu wenig Personal auf den Intensivstationen. Diesen Mangel spüren wir jetzt noch viel deutlicher, weil Corona-Patienten dazukommen, die in einem lebensbedrohlichen Zustand sind."
Tausende Ärzte und Krankenschwestern haben in der Vergangenheit dem maroden und unterfinanzierten Gesundheitssystem den Rücken gekehrt und sind nach Westeuropa ausgewandert. Ärzteverbände gehen davon aus, dass im Vergleich zu westeuropäischen Intensivstationen auf rumänischen Stationen nur ein Viertel des Personals arbeitet.
Ähnliches Szenario wie in Italien befürchtet
Zuletzt ließ die nationalliberale Regierung in Bukarest hunderte Beatmungsgeräte kaufen, auch wurde die Zahl der Intensivbetten erhöht, um die Krankenhäuser in der Corona-Pandemie nicht völlig kollabieren zu lassen. Intensivmediziner Radu Tincu ist dennoch pessimistisch:
"Wir bauen vor den Krankenhäusern vergeblich mobile Intensivstationen auf, denn es gibt kein medizinisches Personal dafür. Dieses Defizit lässt sich nicht in wenigen Wochen korrigieren. Wir laufen Gefahr, in Rumänien ein ähnliches Szenario wie in Italien zu erleben."
Flucht von der Stadt aufs Dorf
Deshalb treten die, die es sich leisten können, die Flucht nach vorn an: So wie die Mihaescus. Die junge Familie ist aus der Millionenstadt Bukarest in das siebenbürgische Dorf Somartin gezogen. Der 37-jährige Vlad gräbt auf dem Kartoffelacker, seine Frau Maria stillt im Schatten der Scheune ihren Sohn. Als er Ende Februar auf die Welt kam, begann in Rumänien die Coronakrise:
"Damals waren alle Menschen völlig verängstigt wegen dieses neuartigen Virus. Mir ging es nicht anders und ich dachte, ich muss vor allem mein Kind in Sicherheit bringen."
In Somartin lässt sich der Mindestabstand gut einhalten bei 200 Einwohnern im Dorf. Statt Großstadt-Anonymität herrscht soziale Kontrolle. Man weiß, wer gerade in Westeuropa jobbt oder aus einem Corona-Hotspot nach Hause kommt. Vlad Mihaescu hält das in Zeiten einer Pandemie für einen Vorteil.
"Im März hatten wir hier einen Rückkehrer aus Italien. Es gab einen Skandal, denn er hätte ja das Coronavirus mitbringen können. Das Dorf hat umgehend die Polizei gerufen, damit er sich in Quarantäne begibt. Hier beschützt sich man sich gegenseitig, während in der Stadt doch jeder für sich allein kämpft."
Das nächste Krankenhaus ist weit weg - das stört die Mihaescus nicht
Eine Auszeit von der Großstadt, wie die Mihaescus sie nehmen, kann sich nicht jeder genehmigen. Journalistin Maria hat gerade bezahlten Mutterschaftsurlaub, ihr Mann Vlad erhält ein Doktoranden-Stipendium.
Der nächste Arzt, das nächste Krankenhaus sind rund 60 Kilometer entfernt. Das stört die Mihaescus nicht. Sie sind aus der Großstadt geflüchtet, weil sie mit dem staatlichen Gesundheitssystem möglichst nicht in Berührung kommen wollen:
"Ich habe Freunde, die Medizin studiert und in staatlichen Krankenhäusern gearbeitet haben. Sie haben mir alle bestätigt, wie es dort läuft. Es gibt Korruption, und wenig moderne Geräte. Genau deshalb gibt es in Rumänien eine eiserne Regel: Hüte Dich, so lange du kannst, vor dem Krankenhaus."