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Coronavirus
Wie wir das Infektionsgeschehen im Blick behalten

Das Verhalten des Virus, der Immunschutz der Bevölkerung und die Krankheitslast: Das könnten die neuen Indikatoren sein, mit denen die Experten die Entwicklung des Coronavirus im Blick behalten wollen. Denn auch wenn der Sommer Entspannung bringen sollte, die nächste Welle kommt spätestens im Herbst.

Von Volkart Wildermuth |
Eine Probenauswertung einer Abwasserprobe mit Nachweisen auf Virusgene des SARS-CoV-2 Virus sind im Institut für Hygiene und Gesundheit in einem Labor auf einem Monitor zu sehen.
Abwasser als Frühwarnsystem soll in Zukunft auf steigende Corona-Zahlen hinweisen. (dpa / picture alliance / Daniel Reinhardt)
Omikron schränkt die Aussagekraft der Coronazahlen erheblich ein. Einerseits hat die extrem ansteckende Variante die Labore an den Rand ihrer Kapazität gebracht. Die PCR wird offiziell zurückhaltender eingesetzt.
Auf der anderen Seite haben viele Menschen auch weniger Angst vor den meist vergleichsweise milden Omikronverläufen und gehen nicht mehr in die Testzentren. Beides führt dazu, dass die Dunkelziffer deutlich angestiegen ist. Die Teststrategie kommt an ihre Grenzen.
"Ich glaube, wir müssen ganz grundsätzlich nach der jetzigen Welle drüber nachdenken, wie wir unsere nationale Testsstrategie neu aufstellen, ob wir wirklich weiterhin so extrem viel testen müssen oder ob wir es nicht auf ein Normalmaß zurückfahren. Also nur Menschen testen, die wirklich Symptome zeigen oder die besonders gefährdet sind."

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Analysen in Kläranlagen

Christian Karagiannidis hat das Intensivregister mit aufgebaut und ist Mitglied im Corona-ExpertInnenrat der Bundesregierung. Damit vielleicht schon im Sommer, sicher aber im Herbst und Winter schnell reagiert werden kann, müssten drei Bereiche im Blick bleiben: das Verhalten des Virus, der Immunschutz der Bevölkerung und die Krankheitslast. Beim Virus könnten Analysen in Kläranlagen eine wichtige Ergänzung darstellen. Eine Probe erlaubt hier Auskunft über die Infektionen von vielen Tausend Menschen.
"Also, der ganz klare Vorteil ist, wir sind nicht darauf angewiesen, dass jemand sich testen lässt oder Symptome zeigt, sondern wir erfassen einfach alle, weil alle auf die Toilette gehen."

Abwasserdaten spielen bisher nur eine Nebenrolle

An der TU Darmstadt erprobt die Abwasserexpertin Susanne Lackner Testverfahren für das Coronavirus. Es ist schwer, die Menge Viruserbgut einer Kläranlage auf die Inzidenz der Bevölkerung im Einzugsgebiet hochzurechnen. Dafür aber zeigen die Abwasserdaten zum Teil schon zwei Wochen vor den offiziellen Berichten an, in welche Richtung der Trend geht, ob die Zahlen steigen oder fallen werden.
"Ich denke, das ist vor allem im Hinblick auf den Herbst relevant. Wenn es dann darum geht, einfach zu erkennen, wo geht es wieder los oder wo sind wieder Infektionsherde? Und das kann das Abwasser Monitoring auf jeden Fall sehr, sehr gut unterstützen."
Pilotprojekte gibt es inzwischen an vielen Kläranalgen, sie werden vom Bundesforschungsministerium und von der EU gefördert und liefern zum Teil schon seit vielen Monaten Daten. Die Technik ist etabliert, sie wird in Österreich, den Niederlanden, in US-Bundestaaten, Kanada und Australien auch schon mit guten Ergebnissen angewandt. Hierzulande spielen Abwasserdaten aber bislang nur eine Nebenrolle – vor allem auch aufgrund administrativer Hürden.

Die Zeit bis zum Herbst ist knapp

Auch Christian Karagiannidis würde sich eine flächendeckende Beobachtung des Pandemiegeschehens über das Abwasser wünschen. Ob das wirklich schon im Herbst funktionieren wird, bleibt offen. Wobei gerade die komplexeste Form der Abwasseranalytik hier die Nase vorn haben könnten.
Susanne Lackner kann inzwischen nämlich nicht nur sagen, welche Viren-Mengen im Abwasser sind, sie kann sie auch sequenzieren und damit die Varianten im Blick behalten. 
"Ich denke, da kann man sich tatsächlich auf die großen Kläranlagen fokussieren, weil es eben jetzt nicht notwendigerweise darum geht, dass wir jetzt genau einordnen, wo ist jetzt gerade der Hotspot wie bei den Inzidenzen? Sondern dass wir einfach einen Überblick behalten für Deutschland: Welche Varianten sind unterwegs und was kommt vielleicht rein?"

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Die Abwasseranalytik könnten im Herbst schnell erkennen, ob die Ausbreitung des Coronavirus wieder an Dynamik gewinnt und neue Varianten kursieren. Welche Konsequenzen das hat, hängt auch vom Immunschutz in der Bevölkerung ab. Dazu gibt es Antikörperstudien, doch die sind aufwändig und kosten Zeit, in Deutschland hinken sie hinter der Entwicklung her. Christian Karagiannidis schlägt deshalb vor, Daten zum Impfstatus an die Krankenkassen weiterzugeben.
"Wenn die Krankenkasse wüsste, ich bin zum Beispiel vor einem Jahr das erste Mal geimpft worden, habe meine Boosterimpfung im Sommer bekommen, und die Krankenkassen würden dann sehen: Oh, bei den über 80-Jährigen, um das mal als Beispiel zu nehmen, lässt der Impfschutz dann plötzlich ab Ostern 2022 nach, dann wäre das extrem hilfreich für uns in der Einschätzung, ob man nochmal eine Boosterimpfung braucht. Das ist in meinen Augen der Weg der Zukunft und das ist auch der Weg, den wir noch im Jahr 2022 beschreiten sollten."  
Parameter für das Pandemiegeschehen - Warum die Hospitalisierungsrate als alleiniger Indikator problematisch ist

Datenschutz könnte zur Bremse werden

Das heikle Thema Datenschutz könnte hier aber zur Bremse werden. Umso wichtiger sei es deshalb, die Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitssystem zu verfolgen. Genauer als über die Hospitalisierungsrate, gelingt das über Systeme, die das Robert Koch-Institut ursprünglich für die Grippe eingeführt hat.
Inzwischen können Bürgerinnen und Bürger über die Internetplattform „GrippeWeb“ von möglichen Coronasymptomen berichten. Das ergänzt die Angaben von vielen hundert Arztpraxen der Arbeitsgemeinschaft Influenza, die jede Woche melden, wie viele Menschen sie wegen Atemwegserkrankungen behandelt haben. Zusätzlich sind 73 Kliniken eingebunden.
"Das ist in meinen Augen auch der Weg, den wir in der Zukunft beschreiten sollen. Denn dass man nachguckt, wie (ist) es im ambulanten und stationären Bereich, wie viele Menschen, mit denen die Ärzte Kontakt haben, haben auch wirklich Symptome einer Erkrankung – (das) reicht als Stichprobe für eine globale Einschätzung sehr gut aus."

Neuinfektionen in Deutschland nach Altersgruppen

Selbst wenn die Tests weiter zurückgefahren werden, über die Abwasseranalyse, die Überwachung der Symptome und vielleicht auch des Immunstatus sollte sich eine anrollende neue Welle schnell erkennen lassen. Und dann ist es an der Politik und an uns allen auf die Erkenntnisse auch schnell zu reagieren.