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Corona-Listen und Datenschutz
Bundesdatenschutzbeauftragter: "Erwarte strikte Zurückhaltung"

Im "Großen und Ganzen" seien die Daten in den Corona-Listen sicher, sagte der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber im Dlf. Um Missbrauch zu verhindern, spricht er sich für ein bundeseinheitliches Gesetz aus, das regelt, wann und wofür beispielsweise die Polizei diese Daten nutzen darf.

Ulrich Kelber im Gespräch mit Stefanie Rohde |
Der Bundesdatenschutzbeauftragte, Ulrich Kelber (29.9.2016).
"Ich bin immer dafür, dass es klare gesetzliche Regelungen gibt, wann Daten verwendet werden dürfen", sagte der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber im Dlf (dpa / picture alliance / Monika Skolimowska)
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hat auf Gefahren bei der Erhebung von Kontaktdaten in Restaurants und Cafés hingewiesen. Im Großen und Ganzen seien die Daten sicher und eine gute Möglichkeit, Infektionsketten zu unterbrechen, sagte Kelber im Deutschlandfunk. Doch es gebe Missbrauchsmöglichkeiten. In Bayern, Hamburg und Rheinland-Pfalz waren zuletzt Fälle öffentlich geworden, bei denen die Polizei auf die Corona-Kontaktlisten zugegriffen hatte, um Straftaten zu verfolgen. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, hatte die Praxis verteidigt.
Stefanie Rohde: Sind die Daten in den Corona-Listen sicher?
Ulrich Kelber: Im Großen und Ganzen und in den meisten Fällen ja, aber es gibt Missbrauchsmöglichkeiten, das ist das eine Mal durch Private, wenn die Daten verwendet werden von denen, die sie empfangen, oder wenn es falsch angewendet wird in Listen. In der Tat kann man davon sprechen, dass in einigen Fällen die Polizei sich nicht ausreichend zurückgehalten hat und Vertrauen geschaffen hat in die Regelung.
Geeignete Maßnahme, um Infektionskette zu unterbrechen
Rohde: Viele sind jetzt ja verunsichert. Sollten die dann ihre Daten überhaupt noch dort hinterlassen?
Kelber: Spreche ich mal von mir: Ich tue dies weiterhin, mindestens dann, wenn derjenige, der die Daten erhebt, das auch in der richtigen Art und Weise macht, also keine offene Liste, sondern zum Beispiel an meinen Tisch einen Zettel bringt, diesen nachher auch wegschließt, also nicht einsehbar für andere macht, weil es durchaus eine geeignete Maßnahme sein kann, dann eine Infektionskette zu unterbrechen. Das erwarte ich aber von allen, die diese Daten ja aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung einsammeln müssen, dass sie es in der richtigen Art und Weise tun. Dies ist auch einfach zu bewerkstelligen. Von den Sicherheitsbehörden darf man in einer solchen Stelle von den staatlichen Sicherheitsbehörden erwarten, dass sie in einer Art und Weise agieren, die das Vertrauen in diese Maßnahmen, die extrem wichtig ist, dann das Vertrauen da drin, auch aufrechterhalten, indem sie sich tatsächlich zurückhalten.
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Rohde: Aber wenn ich das noch mal kurz festhalten darf, Sie sagen nicht generell, ja, man sollte definitiv die Daten dort angeben?
Kelber: Doch, natürlich habe ich das gesagt. Es ist eine gesetzliche Verpflichtung. Meine Überlegung wäre, nehme ich mal das Beispiel, auch ein persönliches Beispiel, das ich vor Kurzem … Meine Kinder haben gemeckert, sie wollten in den McDonald’s gehen, reingekommen und gesehen, dort werden die Daten in einer offenen Liste eingetragen, also jeder sieht meine Daten. Will ich vielleicht nicht, dass man weiß, was meine Handynummer ist, will vielleicht auch nicht, dass der hinter mir weiß, ich bin gerade nicht zu Hause und kann es jemandem zurufen, der bei mir zu Hause mal nach Beute schaut. Es gibt ja viele solche denkbaren Möglichkeiten. Dann entscheide ich mich, dieses Restaurant nicht zu betreten.
Rohde: Welche Daten darf die Polizei dann nutzen, Ihrer Meinung nach?
Kelber: Es gibt unterschiedliche Regelungen tatsächlich in den Bundesländern, je nachdem, wie auch auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes dann die Regelungen getroffen wurden, dass diese Daten erhoben werden müssen, mit Gesundheitsämtern dann auch geteilt werden. Außerdem können sich die Sicherheitsbehörden natürlich auf die Strafprozessordnung berufen. Das kann man mit einer bundeseinheitlichen Gesetzgebung oder mit Ländergesetzen weiter einschränken, aber auch ohne Einschränkungen erwarte ich natürlich von staatlichen Behörden, dass sie in einem solchen Fall strikte Zurückhaltung an den Tag legen.
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Klare gesetzliche Regelungen erforderlich
Rohde: Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, der sagt, die Rechtsstaatlichkeit sei gewahrt, man sei da im Rahmen der Strafprozessordnung, und die Staatsanwaltschaft oder Richterin, die würden das auch immer anordnen müssen. Wo liegt dann überhaupt das Problem?
Kelber: Ich widerspreche an der Stelle Herrn Wendt nicht. Wir sehen, dass durchaus hier rechtskonform gehandelt wird. Allerdings ist die Frage, setze ich solche Daten, die auf einmal zur Verfügung stehen und die zur Verfügung stehen, weil ich das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Regelung haben will, ein für Nichtigkeiten, für Alltagsdinge, nehme ich sie direkt als erste Möglichkeit, anstatt andere Ermittlungsmethoden zu verwenden, oder wende ich sie für schwerste Straftaten zur Aufklärung, wo wahrscheinlich jeder Verständnis dafür hätte, diese Daten heranzuziehen. Das ist die Fragestellung im Augenblick: Schießt die Polizei auch in einzelnen Fällen über das Ziel hinaus, und die Folge wäre, dass die Bürgerinnen und Bürger sich in diese Datenlisten nicht mehr eintragen und es dann keine Möglichkeit gibt, eine Infektionskette zu verfolgen und zu unterbrechen.
Rohde: In vielen Verordnungen steht eindeutig drin, dass eine Verarbeitung der Daten zu anderen Zwecken nicht zulässig ist. Was würde denn jetzt eine neue Regelung durch ein Corona-Freiheitsschutz-Begleitgesetz, wie das ja einige Ihrer Länderkollegen fordern, überhaupt verändern?
Kelber: Insoweit sich die Sicherheitsbehörden … aber es ist, wie gesagt, nicht die einzige Missbrauchsmöglichkeit, die größere sehe ich durchaus natürlich auf privater Seite, und auch da muss man Dinge klären, aber was die Sicherheitsbehörden angeht, insoweit sie sich auf die Strafprozessordnung berufen, könnte man natürlich mit einer bundeseinheitlichen Gesetzgebung dafür sorgen, dass in diesem Abwägungsverhältnis geklärt wird, wann stehen diese Daten überhaupt für diesen Weg zur Verfügung.
Rohde: Und sind Sie dafür?
Kelber: Ich bin dafür. Ich bin immer dafür, dass es klare gesetzliche Regelungen gibt, wann Daten verwendet werden dürfen, dass es eine Grundlage dafür gibt, und dann jedem auch klar ist, für was werden diese Daten verwendet und für was nicht.
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Schutz vor Missbrauch notwendig
Rohde: Das Justizministerium von Christine Lambrecht, die SPD-Politikerin, hat gesagt, man braucht jetzt keine Neuregelung. Was hat Ihre Parteikollegin da nicht verstanden?
Kelber: Ich bin kein SPD-Politiker als Bundesdatenschutzbeauftragter.
Rohde: Aber Sie sind in der SPD:
Kelber: Ich bin SPD-Mitglied, und ich werde da wahrscheinlich mein Leben lang drin bleiben. Ich weiß nicht, was die Bundesregierung untereinander bereits besprochen hat. Ich komme inhaltlich zu einer anderen Auffassung.
Rohde: Bedenken gab es ja von Anfang an. Warum hat man sich nicht vorher darum gekümmert, dass die Daten sicher sind und nur zu bestimmten Zwecken benutzt werden?
Kelber: Auch das müssen Sie den Gesetzgeber fragen. Wir haben damals natürlich beim entsprechenden Pandemie-Schutzgesetz, Infektionsschutzgesetz, beraten. Wir haben deutlich gemacht, wie man Regelungen ausgestalten muss, damit zunächst einmal gesammelte Daten sicher sind. Wir hatten ja auch da Missbrauchsfälle. Die berühmten Beispiele, dass der Kellner dann die junge Dame angerufen hat, die ihre Handynummer hinterlassen musste und gestalkt hat. Das andere Beispiel, das man natürlich sehen könnte, wer ist gerade in einer Einrichtung und entsprechend Einbrecherkollegen Bescheid geben könnte. Man lernt als Datenschützer nie aus, auf welche Ideen Missbraucher von persönlichen Daten auch kommen. Wir haben natürlich auch drauf hingewiesen, dass es eine Zurückhaltung geben muss bei den üblichen Wegen, auf denen Sicherheitsbehörden Daten beschlagnahmen oder anfordern können.
"Verschwörungstheoretiker finden immer irgendetwas"
Rohde: Wie wichtig ist der Datenschutz eigentlich in diesen Corona-Zeiten? Viele Bürgerinnen und Bürger geben ihre Daten ja bereitwillig an. Muss der Datenschutz sich nicht einfach unterordnen, weil es ein übergeordnetes Ziel gibt, nämlich Infektionsschutz?
Kelber: Wir glauben, dass beides gleichzeitig geht, und der beste Beweis dafür ist die Corona-Warn-App. Die ist am Ende so ausgestaltet worden, dass sie absolut datenschutzkonform ist, das heißt, wir bekommen die Leistung und die Funktion, ohne dass persönliche Daten kompromittiert, verteilt werden an der Stelle. Dann ist auch das Vertrauen da, das zu nutzen, und mit dem Vertrauen sind die Daten da, die man dafür benötigt, die Pandemie wirklich zu bekämpfen.
Rohde: Es gibt aber auch noch die andere Seite, und auf die verweist der Trierer Strafrechtsprozessor Mark Zöller, der sagt nämlich, wenn der Staat die Daten für andere Zwecke nutzt als die Corona-Nachverfolgung, dann spielt das Verschwörungserzählerinnen und Corona-Leugnern in die Karten. Was halten Sie davon, also von dieser Idee, dass das möglicherweise ein bestimmtes Narrativ stärken könnte?
Kelber: Die Verschwörungstheoretiker, die finden immer irgendetwas, und wenn es nicht ist, erfinden sie es. Das halte ich für eine schwierige Argumentation. Allerdings beim Vertrauen in der normalen Bevölkerung, bei den 95, 99, 99,9 Prozent Menschen, die sich objektiv mit Dingen auseinandersetzen, für die ist es schwierig, wenn man ihnen erst sagt, die Daten erhebe ich für den Zweck A, und dann verwende ich sie auch für den Zweck B, und dann noch nicht einmal vielleicht besonders eng für den Zweck B, sondern dann, ich sage mal so, jetzt habe ich auf einmal eine Datenquelle, jetzt verwende ich sie für alles, was ich habe. Das merken die Menschen, dass das zu häufig passiert ist. Wir erheben die Maut-Daten angeblich nur für Maut-Zwecke, auf einmal werden sie für alles mögliche andere verwendet, und das finden Sie so häufig vor, dass dieses Vertrauen schwindet. Das ist eine gefährliche Handlungsstrategie für den Staat.
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Rohde: Und ist das jetzt bei Corona noch schlimmer geworden?
Kelber: Jetzt sind die ersten Fälle bekannt, und wenn dann kommt, dass es noch nicht mal vielleicht um einen schweren Mord oder Ähnliches gegangen ist, also um einen Mord gegangen ist, um ein Kapitalverbrechen, sondern dass es sehr viel einfachere Fälle waren und dass es die erste Ermittlungsmethode war der Polizei, dann schwindet natürlich das Misstrauen. Solche Beispiele, wie ich das genannt hatte mit dem stalkenden Kellner, bringt vielleicht auch junge Frauen dazu, sich nicht mehr mit ihren Daten einzutragen. Also muss man die ganze Maßnahme von vornherein so anlegen, dass ein Datenmissbrauch ausgeschlossen ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.