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Corona-Maßnahmen für Geimpfte
Karl Lauterbach (SPD): „Rückgabe der Grundrechte alternativlos und richtig“

Es sei richtig, dass die Corona-Maßnahmen für Geimpfte gelockert werden sollen, sagte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im Dlf. Grundrechte seien nur mit zwingenden Gründen einschränkbar. Man müsse aber dringend aufpassen, dass die Lockerungen keinen Wiederanstieg der Infektionen auslösen.

Karl Lauterbach im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD) spricht bei einer Sitzung des Bundestags
Im Sommer werde man einen deutlichen Impfeffekt auf die Fallzahlen sehen, sagte Karl Lauterbach im Interview (picture alliance/dpa/Kay Nietfeld)
Union und SPD haben sich nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur am 3. Mai auf weitreichende Befreiungen von Corona-Schutzmaßnahmen geeinigt. Schon bis zum 6. Mai könnten Bundestag und Bundesrat die Änderungen beschließen.
Das sei eine "notwendige und gute Entscheidung", sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im Deutschlandfunk. Grundrechte seien nur mit zwingenden Gründen einschränkbar, die Rückgabe der Grundrechte sei daher "alternativlos und richtig". Man müsse die Öffnungen allerdings so durchführen, dass es nicht zu einem Wiederanstieg der Infektionen komme, man dürfe nicht vergessen, dass erst ungefähr sieben Prozent der Deutschen vollständig geimpft seien und auch die Quote der Erstimpfungen liege noch unter einem Drittel und sei damit weit von der Herdenimmunität entfernt.
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Lauterbach warnte daher vor dem zu schnellen Öffnen der Gastronomie und Hotellerie. Diese sollten über Pfingsten nicht "über das unbedingt notwendige Maß hinaus" geöffnet werden. Ein großes Problem für Öffnungen sei hierbei, dass kaum zu kontrollieren sei, ob diese dann auch wirklich auf Geimpfte begrenzt würden. Mangelnde Kontrollmöglichkeiten dürften nicht dazu führen, dass Geimpfte und Nichtgeimpfte aufeinandertreffen und sich dabei die Nichtgeimpften infizieren. Lauterbach betonte, dass Geimpfte zwar Anspruch auf die Rückgabe ihrer Grundrechte hätten, es gebe aber kein Recht darauf, dass die Gastronomie für Geimpfte geöffnet wird.
Lauterbach bekräftigte außerdem seine Prognose, dass der Sommer "sehr gut" werde. Es sei zu erwarten, dass die Fallzahlen noch im Laufe des Monats Mai deutlich sinken. Ab 40 oder 50 Prozent Erstimpfungen werde man auch einen stärkeren Impfeffekt sehen. Man müsse jetzt aber dennoch dringend achtsam und vorsichtig bleiben, um das Erreichte nicht auf den letzten Metern zu verspielen.

Diese Lockerungen sollen für Geimpfte gelten:

  • Eine rechtliche Gleichstellung mit Genesenen und mit Menschen, die negativ getestet sind.
  • Besuche von Geschäften, Zoos oder Friseuren ohne vorherigen Test
  • Lockerungen oder Aufhebung der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen
  • Aufhebung der Quarantänepflicht nach Reisen – es sei denn, sie reisen aus einem Virusvariantengebiet ein.
  • Die Pflicht zum Tragen einer Maske an bestimmten Orten sowie das Abstandsgebot im öffentlichen Raum sollen aber für alle weiter gelten.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

Das vollständige Interview im Wortlaut:

Tobias Armbrüster: Herr Lauterbach, die Geimpften sollen ihre Grundrechte wieder zurückbekommen. Ist das eine gute Entscheidung?
Karl Lauterbach: Das ist eine notwendige und gute Entscheidung. Die Grundrechte können nur eingeschränkt sein, wenn es dafür zwingende Gründe gibt, und die entfallen, wenn man vollständig geimpft ist oder wenn man durch die Infektion gerade weder für sich selbst, noch für andere ein Risiko darstellt. Somit ist die Rückgabe der Grundrechte hier alternativlos und richtig.
Armbrüster: Ich versuche, mir das gerade vorzustellen, was da in den kommenden Wochen passieren könnte. Zum Beispiel so etwas: 20 ältere Menschen, alle geimpft, treffen sich zum abendlichen Grillen im Garten oder zum Essen im Wohnzimmer, während die Familie nebenan weiter in Isolation lebt und niemand treffen darf. Kann das so gut sein?
Lauterbach: Das muss tatsächlich erklärt werden und das wird auch Spannungen bringen. Das darf man nicht verharmlosen. Es birgt auch Gefahren. Man darf es auch nicht überziehen, gar keine Frage. Aber wir können einfach nicht anders vorgehen.
Es muss allerdings auch darauf Wert gelegt werden, dass bestimmte Dinge nicht gehen. Was zum Beispiel nicht geht, dass etwa Geschäfte oder auch Restaurants geöffnet werden nur für diejenigen, die geimpft sind. Das würde tatsächlich zu Spannungen führen, die man kaum ertragen könnte. Und zum zweiten: Das Recht, das ich habe, dass mir persönliche Grundrechte zurückgegeben werden, das ist ein Unterschied zum Recht, dass für mich spezielle Geschäfte oder dergleichen wieder geöffnet werden. Von daher muss man da schon mit Augenmaß herangehen. Aber es muss gemacht werden und es gibt auch einen Anreiz für die Impfung. Wir werden ja bald in der Lage sein, jeden zu impfen, der sich impfen lassen möchte.

"Ich sehe schon eine Gefahr"

Armbrüster: Herr Lauterbach, liege ich da falsch, wenn ich in Ihrer Stimme trotzdem ein bisschen Zweifel heraushöre, dass das alles so schnell geht? Sie waren ja immer ein großer Warner bei diesem Vorgehen, auch bei allem, was irgendwie mit schneller Rückkehr in den Alltag, schneller Rückkehr in die Normalität zu tun hat.
Lauterbach: Ja, ich sehe schon eine Gefahr, und zwar zum einen, weil es sehr schlecht kontrolliert werden kann. Wenn die mangelnde Kontrolle dazu führt, dass Geimpfte und Nichtgeimpfte aufeinandertreffen und dabei sich die Nichtgeimpften infizieren, dann könnte es sogar sein, dass die Geimpften, wo der Impfschutz noch nicht vollständig ist oder wo der Impfstoff nie vollständig war, dass die sich infizieren.
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Zum zweiten: Ich sehe große Gefahren beim Reisen, weil wir dürfen nicht in die Situation kommen, dass wir bei der Rückkehr aus Reisegebieten Mutationen mitbringen, die gefährlich sind. Aber grundsätzlich ist der Schritt tatsächlich jetzt richtig. Wir müssen den Geimpften und den Genesenen ihre Rechte zurückgeben. Das darf allerdings nur so passieren, dass es nicht zu gefährlichen Wiederanstiegen der Fallzahlen kommt, und da sind insbesondere geschlossene Räume und Restaurants von großer Bedeutung. Da man die Innenräume sehr schlecht oder nicht kontrollieren kann, kann man hier nur appellieren, dass die Kontaktbeschränkungen, die dann aufgehoben sind, auch nur für diejenigen aufgehoben sind, die vollständig geimpft sind.
Armbrüster: Ich kann mir vorstellen, dass viele jetzt überrascht sind, wenn Sie das so sagen, wenn Sie das auch so gutheißen. Kann das sein, dass Sie da selber auch einen kleinen Kurswechsel gemacht haben - Sie sind ja immer als großer Warner aufgetreten – und dass die zurückgehenden Zahlen der vergangenen Tage, der vergangenen Wochen bei Ihnen zu einem Umdenken geführt haben?
Lauterbach: Nein, das ist kein Umdenken, sondern tatsächlich was hier die treibende Kraft ist, dass die Studien einfach zeigen, dass diejenigen, die vollständig geimpft sind, sich nur noch sehr selten anstecken, und wenn sie sich angesteckt haben, dass sie dann wahrscheinlich kaum andere mehr anstecken können. Das heißt, darauf müssen wir reagieren. Die Fallzahlen sind weiterhin beunruhigend. Sie gehen jetzt zwar langsam zurück, aber wir sind nach wie vor auf einem sehr hohen Niveau unterwegs. Das ist gerade jetzt eine besonders kritische Phase, in der wir sind, weil wir haben teilweise Geimpfte, viele sind ja erst einmal geimpft und haben noch nicht die zweite Impfung, und es ist aber trotzdem mit sehr hohen Fallzahlen noch zu rechnen. Somit ist das eine Phase, in der wir unterwegs sind, wo es Mutationen besonders leicht fällt, sich zu verbreiten. Daher warne ich vor zu schnellem Öffnen.
Ich warne zum Beispiel auch vor dem Öffnen der Hotels und der Gastronomie zu Pfingsten über das unbedingt notwendige Maß hinaus. Aber was den Unterschied macht: Der einzelne ist nicht mehr ansteckend nach der Impfung, nach der vollständigen Impfung. Das sind allerdings auch wenige. Das muss man beachten. Wenn wir jetzt sehen, dass sich sehr viel auf den Straßen wieder tut und dass die Kontakte nicht eingeschränkt bleiben, wir wissen aber, es ist nur ein kleiner Teil, der vollständig geimpft ist, dann wissen wir, wir haben einen Fehler gemacht.

"Die Bundesnotbremse wirkt"

Armbrüster: Herr Lauterbach, ganz kurz zu den Zahlen, weil Sie sagen, die Zahlen bleiben auf hohem Niveau. Wir verzeichnen heute einen Rückgang der Neuinfektionen um ein knappes Drittel gegenüber vor einer Woche. Das ist ja doch ein ordentlicher Sprung nach unten. Deshalb noch mal die Frage: Kann es sein, dass Sie die Zahlen in den vergangenen Wochen immer etwas sehr dramatisiert haben?
Lauterbach: Nein. Die Zahlen gehen runter, weil die Bundesnotbremse wirkt und auch die Ankündigung der Bundesnotbremse schon dazu geführt hat, wie wir dann sehen konnten, dass die Menschen sich vorsichtiger verhalten haben. Es ist immer richtig. Die Zahlen gehen bei einer solchen Virusmutation, wie wir sie jetzt haben, entweder steigen die Zahlen exponentiell, oder sie stabilisieren sich und gehen dann auch wieder exponentiell herunter. Somit sind die Zahlen nie dramatisiert worden, sondern es war das Ergebnis seriöser Grundlagenforschung, die wir allesamt richtig interpretiert hatten. Aber es ist tatsächlich jetzt wieder das passiert, was wir das Präventionsparadoxon nennen. Das heißt, wenn die Prävention wirkt, dann wirkt das nachher immer so, als wenn man sie nie benötigt hätte. Derweil wenn sie nicht wirkt, dann setzt man sie nie ein.
Armbrüster: Herr Lauterbach, ich will noch auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen. Sie haben es selber angesprochen: die Lage der Hotels und Gaststätten und auch die Lage im Einzelhandel. Wie wollen Sie das einem Hotelier oder einem Ladenbesitzer erklären, wenn der sagen würde, ich lasse in meine Geschäftsräume nur Geimpfte rein? Da kann ja eigentlich nichts passieren, hat sogar der Karl Lauterbach gesagt. Dann kann man den Leuten das ja nicht vorschreiben, ihre Geschäfte und ihre Hotels trotzdem geschlossen zu halten.
Lauterbach: Es gäbe schon Gründe, die hier heranzuführen sind. Zum einen, wenn es nicht flächendeckend kontrollierbar ist, dass tatsächlich nur die Geimpften in diesen Restaurants sitzen, wenn der Kontrollaufwand zu groß ist und realistischer Weise nicht geleistet werden kann, dann müssen wir den Erfolg, den wir jetzt haben, den wir zurecht ausgewiesen haben, dass jetzt die Fallzahlen stabil sind und sinken, den müssen wir sichern. Das kann möglicherweise nicht anders gehen.
Man kann auch argumentieren, dass tatsächlich das zu einer solchen Spaltung führen könnte, dass man das zum jetzigen Zeitpunkt nicht vertreten kann. Ich glaube, dass zum jetzigen Zeitpunkt, auch weil die Zahl der vollständig Geimpften noch so klein ist, die Öffnung der Restaurants in den Innenräumen zu gefährlich wäre für die nur Geimpften. Das ließe sich nicht kontrollieren und das Restrisiko wäre zu hoch.
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Armbrüster: Kann das denn sein? Können Grundrechte eine Frage der Kontrolle sein?
Lauterbach: Das Grundrecht ist ja hier das Grundrecht, dass ich persönlich beispielsweise von den Aufenthaltsbeschränkungen ausgenommen bin. Das andere ist ein Grundrecht, was sich ableitet, wann kann ich wieder das Restaurant öffnen. Die Öffnung des Restaurants, die müssen wir so machen, dass tatsächlich auch sichergestellt ist, dass wir die Restaurants danach dauerhaft öffnen können. Wir dürfen nicht den Fehler machen, jetzt einen schnellen frühen Rückfall zu riskieren, wenn man alles öffnet. Man darf nie vergessen: Wir sind noch sehr weit von der Herdenimmunität entfernt. Wir haben bisher weniger als ein Drittel der Bevölkerung einmal geimpft. Das heißt, zwei Drittel der Bevölkerung sind noch gar nicht geimpft. Wir haben vielleicht 28 oder 29 Prozent, die bisher insgesamt einmal geimpft sind. Das heißt, wir sind noch so weit weg von einer wirklich sicheren Situation, dass sich das nicht wirklich grundsätzlich geändert hat und somit diese Einschränkungen noch gerechtfertigt werden können.

"Im Sommer das Gröbste dieser Pandemie hinter uns"

Armbrüster: Herr Lauterbach, wir sehen überall um uns herum auch in den übrigen europäischen Ländern, dass alle Länder wieder aufmachen, teilweise auch deutlich offener, deutlich forscher als wir hier in Deutschland. In vielen Ländern ist das so. Kann man festhalten, wir sehen hier schon wieder ein bisschen Rückkehr zur Normalität, das Ende der Pandemie ist absehbar?
Lauterbach: Ich glaube, dass wir im Sommer tatsächlich das Gröbste dieser Pandemie hinter uns haben, und ich bleibe dabei, dass der Sommer sehr gut sein wird. Die Fallzahlen werden deutlich sinken Ende Mai, Mitte, Ende Mai. Dann werden wir tatsächlich auch einen Impfeffekt stärker noch wahrnehmen als jetzt. Wenn mehr als 40, 50 Prozent der Bevölkerung Erstimpfungen haben, dann gehen die Fallzahlen auch durch die Impfung herunter. Von daher wird im Sommer tatsächlich die Situation sehr gut sein. Aber ich warne einfach davor, dass wir jetzt auf den letzten Metern das Erreichte nicht verspielen, indem wir zu früh jetzt alles lockern. Die Rückgabe der Grundrechte an die Geimpften ist davon aber unberührt. Das muss sein. Das ist ein Individualrecht, was wir nicht einschränken dürfen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.