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Corona-Maßnahmen in Berlin
"Wir müssen das Nachtleben einfach ausschalten"

In Berlin wurde eine Sperrstunde ab 23 Uhr eingeführt, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) glaubt zwar nicht, dass sie damit illegale Partys komplett verhindern kann, doch die Sperrstunde mache Kontrollen viel leichter, sagte sie im Dlf.

Dilek Kalayci im Gespräch mit Dirk Müller |
Die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) spricht bei einer Pressekonferenz
Dilek Kalayci: "Bei den Jüngeren haben wir eine sehr hohe Inzidenz" (picture alliance/ dpa/ Bernd von Jutrczenka)
Die Zahl der Corona-Infektionen hat Anfang Oktober einen neuen Höhepunkt erreicht. Mitten in der Herbstferienzeit besteht Handlungsbedarf. Für Reisende in Deutschland sind die neuen Regeln und Maßnahmen recht unübersichtlich, denn sie unterscheiden sich je nach Bundesland und Kommune.
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Keine Einreiseverbote wie im Frühjahr, dafür Testpflicht oder Quarantäne – oder auch nicht. Die neuen innerdeutschen Reiseregelungen in der Corona-Pandemie sind weder überschaubar noch schlüssig, kommentiert Frank Capellan.
Besonders hoch sind die Zahlen in den großen Städten. In Berlin wurden darum Kontaktbeschränkungen und eine Sperrstunde eingeführt. Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci steht hinter dieser Entscheidung. Es habe sich gezeigt, dass die Menschen nachlässig geworden seien, sagte sie im Dlf. Man habe auch analysiert woher die Infektionen kommen und die Inzidenz sei besonders bei den Jüngeren sehr hoch gewesen.

Dirk Müller: Frau Kalayci, wollen Sie in Bayern Urlaub machen?
Dilek Kalayci: Nein, ich möchte zurzeit gar keinen Urlaub machen. Nicht nur, weil ich Gesundheitssenatorin bin und in Berlin ordentlich zu tun habe zurzeit in der Pandemie-Bewältigung, sondern weil ich tatsächlich denke, dass jetzt auch nicht die Reisezeit ist. Natürlich: Innerhalb von Deutschland kann man auch reisen, sollte man auch. Man braucht ja auch Erholung. Aber auch da muss man genau hingucken, wo man hinreist, wo es am besten nicht sehr voll ist, wo es kein Infektionsrisiko gibt. Das kann man auch nicht nur daran festmachen, wie hoch die Inzidenz ist in einer Stadt, in einem Landkreis, sondern es gibt ja auch Orte, die sind sehr voll. Es gibt Orte, man kann auch Urlaub machen, wo es wenig Menschen gibt, wo man alleine ist. Aber insgesamt finde ich, in einer Pandemie-Zeit ist auch nicht wirklich die Reisezeit.
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Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
"Es macht Sinn, dass man einheitliche Regeln hat"
Müller: Aber es kommt doch nicht darauf an, wo man hinfährt, sondern wo man herkommt.
Kalayci: Ja, natürlich! Jetzt haben wir natürlich zwei Perspektiven. Einmal: ich brauche Erholung, ich will reisen. Auf der anderen Seite ist die Perspektive natürlich in einer Pandemie, dass über Reisende auch eine Einschleppungsgefahr ist. Diese Einschleppungsgefahr haben wir immer vom Ausland gesehen, weil wir niedrige Inzidenzen in Deutschland hatten und das Risiko weltweit war. Deswegen veröffentlicht auch das RKI Risikoländer. Darauf achten wir. Da gibt es Regelungen für Einreisende aus dem Ausland (aus) Risikogebieten kommende. Das ist natürlich eine Schutzmaßnahme, damit kein Infektionsrisiko eingeschleppt wird.
Jetzt haben wir die Situation innerhalb Deutschlands, dass es hier Landkreise und Städte gibt, wo die Grenze von 50 erreicht wird, und da macht es auf jeden Fall Sinn zu gucken, dass man einheitliche Regeln hat.
"Berlin war immer ein Kandidat, Hotspot zu werden"
Müller: Und dann ausgerechnet Berlin, Ihr Berlin trifft es, und zwar dann auch Berlin-Mitte. Wir haben das gehört. Friedrichshain, Neukölln, alles das, was ziemlich weit in der Mitte liegt. Tempelhof-Schöneberg gehört ja dann auch noch dazu. Warum ist es so weit gekommen in Ihrem Bezirk?
Kalayci: Berlin war immer ein Kandidat, Hotspot zu werden. Metropolen, schauen Sie sich weltweit um: Hohe Dichte, viel Mobilität. Da ist das Infektionsrisiko größer als in einem ländlichen Gebiet, sage ich mal, wo die Dichte gar nicht da ist. Deswegen war uns immer bewusst, dass Berlin ein Kandidat für einen Hotspot ist. Wir sind über die erste Phase der Pandemie auch sehr gut gekommen. Wir haben sehr frühzeitig Maßnahmen getroffen. Wir konnten die steile Kurve, die exponentielle Kurve am Anfang auch abbremsen mit sehr drastischen Maßnahmen. Berlinerinnen und Berliner waren sehr, sehr diszipliniert. Unsere Gesundheitsämter haben die Kontaktnachverfolgung gut gemacht und wir haben harte, harte Einschränkungen gemacht.
"Wir haben sehr viele Probleme mit Reiserückkehrenden gehabt"
Müller: Und dann hat das aufgehört. Dann hat sich das verändert. Warum?
Kalayci: Dann kam die Sommerpause. Deutschlandweit hatten wir sehr geringe Infektionszahlen. Da haben wir uns konzentriert auf die Reiserückkehrenden. Und ja, wir sehen ja, dass die Infektionszahlen mit Verlaub nicht nur in Berlin jetzt wieder hochgehen, sondern das ist bundesweit ein Thema, und dann trifft es so eine Stadt, so eine Hauptstadt, wo sehr, sehr viel Mobilität ist, sehr hohe Dichte ist und tatsächlich auch das Reisegeschehen nach Berlin auch anders ist. Wir haben sehr viele Probleme mit Reiserückkehrenden gehabt und das wirkt sich jetzt natürlich nach.
"Ab einer gewissen Größenordnung kommt jedes Gesundheitsamt an die Grenzen"
Müller: Haben Sie genug kontrolliert?
Kalayci: Ja. Unsere Gesundheitsämter waren viel, viel besser ausgestattet als im Bundesdurchschnitt. Danach wurden natürlich auch die anderen Bereiche wieder normalisiert, das Personal wieder ein bisschen runtergefahren. Aber die Bezirke haben personelle Verstärkung. Auch jetzt sind die Gesundheitsämter gut ausgestattet. Aber wir erinnern uns, dass bundesweit ja auch diese 35er-Marke als Vorsichtsmarke entstanden ist, und diese 35 wurde so ermittelt, dass das eine Grenze ist, wo die Gesundheitsämter nicht mehr die Kontaktpersonen-Nachverfolgung schaffen. Das heißt, es ist bundesweit ein Thema, dass ab einer gewissen Größenordnung von Inzidenzen jedes Gesundheitsamt natürlich an die Grenzen kommt und diese Einzelfall-Nachverfolgung dann schwer leisten kann. Das ist eine Sache, was überall gilt und jetzt auch natürlich in Berlin auch Thema ist.
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"Wir haben die Bundeswehr natürlich als Unterstützung"
Müller: Das sagen Sie ganz klar, wenn ich da noch mal unterbrechen darf? Ab 35 wird es im Grunde nahezu unmöglich, vernünftig flächendeckend zu kontrollieren beziehungsweise nachzuverfolgen – seit Monaten in der Diskussion?
Kalayci: Das ist tatsächlich die 35, wie sie entstanden ist. Wir haben ja nicht nur die 50er-Grenze in der Diskussion, sondern auch die 35er, und diese 35 wurde genauso ermittelt. Das gilt nicht nur für Berlin, auch für andere. Aber ich will dazu sagen, wir haben die Bundeswehr natürlich als Unterstützung.
Müller: Die wollen aber auch nicht alle haben bei Ihnen in Berlin, wenn wir das richtig verstanden und gelesen haben.
Kalayci: Ja, ein Bezirk ziert sich da, aber das ist auch nicht so relevant. Die Soldaten sind ja in Berlin eingesetzt.
Müller: Ist nicht relevant, wenn sich ein Bezirk da ziert, obwohl da auch die Inzidenz-Koeffizient weit über 50 liegt.
Kalayci: Das habe ich auch kritisiert, aber der Bezirk sagt, sie haben ausreichend Personal. Und die Soldaten, die helfen ja trotzdem mit.
Müller: Ja, ja. Aber es hat ja trotzdem nicht funktioniert. Offenbar ist die Nachverfolgung ja da gescheitert bei über 50.
Kalayci: Das würde ich jetzt nicht sagen. Jedes Gesundheitsamt bundesweit kommt irgendwann ab einer Größenordnung natürlich an die Grenzen, und das ist jetzt kein ein Bezirks-spezifisches Phänomen. (Anm. d. Redaktion: Gemeint ist: kein spezifisches Problem von nur einem Bezirk) Wie gesagt, bundesweit hat man da sogar eine Orientierung. Ab 35 wird es für jedes Gesundheitsamt dieser Welt schwierig. Einige schaffen es noch bis 50, andere bis 60, aber es ist immer eine Grenze, die Kontaktnachverfolgung auch wirklich hinzubekommen. Das ist allgemein.
"Bei den Jüngeren haben wir eine sehr hohe Inzidenz"
Müller: Frau Kalayci, reden wir noch einmal über die Kontrollen. Sie haben gesagt, die Gesundheitsämter sind gut ausgestattet und die Behörden, besser als in vielen anderen Teilen hier in Deutschland. Wenn eine bestimmte Grenze erreicht ist, dann wird es schwierig, auch was die Nachverfolgung anbetrifft. Es gibt immer wieder Kritik auch an fehlenden Kontrollen, nicht flächendeckend genug, zu wenig Ordnungskräfte aus den Ordnungsämtern, zu wenig Polizisten, die vor Ort das durchsetzen, was Sie jetzt auch als Verschärfung beschlossen haben, beispielsweise Sperrstunden für Bars, Restaurants, Cafés, 23 bis sechs Uhr. Einschränkungen des Personenkreises, der sich da treffen darf. Da wird immer wieder berichtet, Großhochzeiten von türkischen, arabischen Familien in Berlin, was manchmal in der Politik ein bisschen unter dem Deckel gehalten wird. Wie groß ist das Problem?
Kalayci: Wir haben sehr harte Maßnahmen in Berlin getroffen. Das zielt das Nachtleben an. Wir haben analysiert, wo kommen die Infektionen her. Wir sehen das auch in der Alters-Inzidenz. Bei den Jüngeren haben wir eine sehr, sehr hohe, mehr als doppelt so hohe Inzidenz. Und wir haben gesagt, wir müssen das Nachtleben einfach ausschalten, und haben die Sperrstunde in Berlin eingeführt, sehr breit auch eingeführt, inklusive Kontaktbeschränkungen. Und wir hoffen, dass das jetzt natürlich entsprechend auch wirkt. Das wissen wir aber nicht. Wir werden das jetzt natürlich abwarten und entsprechend überlegen, wie es dann weitergeht.
"Pandemie-Zeit ist keine Party-Zeit"
Müller: Großhochzeiten, noch mal unser Stichwort. Wir haben das gelesen mit über 300 Personen, die da zusammengekommen sind. Ärgert Sie das?
Kalayci: Es ärgert mich ungemein, natürlich! Ich habe immer gesagt, Pandemie-Zeit ist keine Party-Zeit. Ich habe öffentlich sehr häufig auch gesagt, eine Geburtstagsfeier kann man auch nachholen. Eine Hochzeit kann man auch auf nächstes Jahr verschieben. Ich verstehe die Menschen auch, ehrlich gesagt, nicht und das ist das, was insgesamt in Deutschland passiert ist, aber auch in Berlin. Über den Sommer, als die Infektionszahlen so niedrig waren, haben wirklich einige gedacht, okay, wir haben diese Pandemie überstanden. Auch warnende Hinweise von uns sind da nicht so gut angekommen. Jetzt merken wir, was wir schon immer gesagt haben: Die Pandemie ist nicht vorbei. Eine zweite Welle kann kommen. Das haben wir immer gewarnt. Aber bei den Menschen ist dann doch eine Nachlässigkeit zu sehen gewesen und gerade bei den jüngeren Menschen. Das soll jetzt wirklich keine Schuldzuweisung sein, aber es ist eine Beobachtung. Gerade junge Menschen sagen, wir haben keine Angst vor dieser Krankheit, mir wird schon nichts passieren, aber sie tragen eine hohe Verantwortung, dass sie andere anstecken, die wiederum andere anstecken. Und wir sehen, dass die Älteren - das ist eine Frage der Zeit, dass die Älteren auch erreicht werden, und da müssen wir tatsächlich nicht nur dieses Nachtleben im Visier haben, sondern auch junge Menschen, die sehr mobil sind und zum Teil auch Superspreader sein können.
"Kontrollen sind immer Stichproben"
Müller: Haben Sie denn da genug Menschen, Personen, Sicherheitsleute, die das kontrollieren, die das nachverfolgen können, die vor Ort sind, die wilde Partys auflösen können? Ist das realistisch, oder ist das kosmetische Politik?
Kalayci: Die Berliner Polizei kontrolliert regelmäßig. Die Berliner Polizei ist mit an den Wochenenden bis zu 1500 Polizisten unterwegs. Das sagt auch immer unser Innensenator. Da wird mächtig kontrolliert. Auch die Ordnungsämter sind unterwegs. Personelle Verstärkung ist passiert.
Aber wenn Sie kontrollieren mit Polizei und Ordnungsämtern, kann es immer nur eine Stichprobe sein. Das ist schier unmöglich bei der Vielzahl von Gaststätten, Bars und Clubs wie in Berlin, vor jeder Tür einen Polizisten zu stellen. Das schaffen Sie einfach nicht. Kontrollen sind immer Stichproben und die haben stattgefunden in Berlin. Trotzdem hat es illegale Partys gegeben. Sie müssen sich das so vorstellen: In einer Metropole wie Berlin finden diese Partys dann überall statt, in Parks, in Geländen. Die weichen auch aus irgendwann, wenn man bestimmte Bereiche kontrolliert. Dann ziehen sie weiter und machen ihre illegalen Partys woanders. Das heißt, die Kontrollen haben in Berlin stattgefunden, finden auch jetzt statt. Das Problem waren illegale Partys.
Müller: Aber dann müssen sich die Beobachter, die Betroffenen darauf einstellen, dass das sich nicht groß ändern wird, trotz Ihrer Restriktionen?
Kalayci: Ja, selbstverständlich. Wenn wir schließen, ist die Kontrolle auch viel leichter. Wenn Sie sagen, ab 23 Uhr ist Schluss, dann ist die Kontrolle natürlich viel leichter, als wenn Sie etwas komplizierte Hygieneregeln haben und sagen, eine Bar kann zwar öffnen, muss aber so tun, als ob es ein Restaurant ist. Dann ist natürlich die Kontrolle schwieriger, als wenn Sie sagen, ab 23 Uhr ist Schluss.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.