Die Debatte um eine mögliche Lockerung der Corona-Schutzmaßnahmen nimmt Fahrt auf. Nach Ostern will die Bundesregierung mitteilen, wie ein möglicher Ausstieg aus den Maßnahmen aussehen könnte. Im Deutschlandfunk äußerte sich jetzt Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel: "Ich habe nicht ganz so viel Verständnis dafür, dass man einen Supermarkt aufmachen kann und eine Boutique nicht", sagt der SPD-Politiker.
Nach Ostern könne man die sehr strengen Maßnahmen wieder lockern und "ein kontrolliertes Infektionsgeschehen erlauben", sagte er mit Blick auf die Situation in seiner Stadt. Man habe sich in Düsseldorf gut vorbereitet und die Krankenhäuser präpariert.
Dort wo die Regeln des Social Distancing eingehalten werden können, da könne man wieder aufmachen.
Die Risikogruppen müssten so geschützt werden, dass ihr Infektionsrisiko minimiert wird. "Und es ist die gesellschaftliche Aufgabe, dies so zu tun, dass sie nicht alleine gelassen werden", sagt der Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel.
Nach Ostern könne man die sehr strengen Maßnahmen wieder lockern und "ein kontrolliertes Infektionsgeschehen erlauben", sagte er mit Blick auf die Situation in seiner Stadt. Man habe sich in Düsseldorf gut vorbereitet und die Krankenhäuser präpariert.
Dort wo die Regeln des Social Distancing eingehalten werden können, da könne man wieder aufmachen.
Die Risikogruppen müssten so geschützt werden, dass ihr Infektionsrisiko minimiert wird. "Und es ist die gesellschaftliche Aufgabe, dies so zu tun, dass sie nicht alleine gelassen werden", sagt der Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel.
Das Interview in voller Länge:
Armbrüster: Herr Geisel, wie lange sollen die Deutschen noch zuhause bleiben?
Armbrüster: Herr Geisel, wie lange sollen die Deutschen noch zuhause bleiben?
Geisel: Das hängt ja im Wesentlichen von drei Faktoren ab. Das eine ist: Wie gelingt es uns, gewissermaßen die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Das zweite ist: Wie gut können wir unser Gesundheitswesen aufstellen. Und das dritte ist: Wie weit gelingt es uns, insbesondere die Bevölkerungsgruppen zu sensibilisieren für die Gefahr die im Falle einer Infektion besonders betroffen wären, in der Regel die Älteren mit Vorerkrankungen.
Je nachdem wie das gelingt – und ich glaube, wir sind da auf ziemlich gutem Wege -, kann man dann das öffentliche Leben auch sukzessive wieder hochfahren und – ich sage es mal so – ein kontrolliertes Infektionsgeschehen erlauben.
Armbrüster: Was würden Sie denn sagen? Könnte man das in den kommenden ein, zwei Wochen schon erreichen, diesen Punkt?
Geisel: Ich kenne natürlich in erster Linie die Situation in Düsseldorf. In Düsseldorf ist es so, dass wir in der Tat eine sehr, sehr gute Koordination der Kliniken in der Stadt haben. Wir haben in erheblichem Umfang freie Kapazitäten geschaffen, insbesondere auch Beatmungskapazitäten, so dass wir sagen können, die Kliniken in Düsseldorf sind vorbereitet auf eine – ich darf noch mal sagen – kontrollierte Infektionsentwicklung. Und wir haben auch, glaube ich, die Bevölkerung sensibilisiert, welche Gruppen sind besonders gefährdet. Wir haben auch organisiert, dass diesen Menschen ein besonderer Schutz zuteilwird durch Solidarität, dass man für Ältere etwa die Einkäufe übernimmt.
Manchmal ist auch ganz wichtig, dass der Hund Gassi geführt wird, dass immer dort, wo das nicht durch die Familie oder durch die Nachbarschaft geregelt wird, dass da auch städtische Dienstleistungen mit sehr, sehr vielen Freiwilligen, die sich gemeldet haben, zur Verfügung stehen. Vor dem Hintergrund, glaube ich, kann man in der Tat jedenfalls nach Ostern die sehr, sehr strengen Maßnahmen, an die sich ja die Deutschen bisher sehr, sehr vorbildlich gehalten haben, auch wieder lockern. Und wie gesagt, man muss natürlich auch im Blick behalten: Je länger diese Maßnahmen anhalten, desto größer sind die Kollateralschäden nicht nur wirtschaftlicher Art, sondern natürlich auch zwischenmenschlich sozialer Art.
"Die Folgen sind natürlich dramatisch"
Armbrüster: Wenn Sie da jetzt von der Situation in Düsseldorf sprechen, kann man da Rückschlüsse ziehen auf ganz Deutschland? Sind wir da möglicherweise an einem Punkt, wo man vielleicht in vielen Städten und Gemeinden, in vielen Regionen sagen könnte, da können wir langsam anfangen, das wieder zu lockern?
Geisel: Wie gesagt, ich kann aus eigener Anschauung nur die Situation in Düsseldorf beurteilen. Ich gehe aber davon aus – das ist auch das, was mir meine Experten sagen -, dass natürlich überall das Gesundheitswesen vorbereitet wird, dass überall darauf geachtet wird, dass man sogenannte elektive Operationen, solche, die aufgeschoben werden können, dass man die jetzt verschiebt, um für einen Anstieg von Infektionen tatsächlich die Krankenhauskapazität zu haben, die man braucht.
Man darf ja nicht vergessen: Die ganze Logik hinter dieser Flatten-the-Curve-Strategie ist ja, dass wir unter allen Umständen verhindern wollen, dass das Gesundheitswesen überfordert wird.
Armbrüster: Was haben Sie denn für einen Eindruck? Hat die Bundesregierung solche Situationen wie bei Ihnen in Düsseldorf auf dem Schirm?
Geisel: Das hoffe ich. Ich kann nur sagen, es ist ja die Frage des verantwortungsvollen Krisenmanagements, dass man in der Tat diese drei Gesichtspunkte, die ich eingangs erwähnt habe, im Gesundheitswesen "Das Thema Sensibilisierung der vulnerablen Gruppen", und als Funktion davon muss man dann sich überlegen, in welchem Umfang muss ich noch Freiheitsbeschränkungen aufrecht erhalten und inwieweit kann ich sie lockern.
Das ist vernünftiges Krisenmanagement. Ich hoffe, dass die Bundesregierung alle drei Gesichtspunkte im Blick hat, und dann, glaube ich, kann man kontrolliert das öffentliche Leben auch wieder hochfahren.
Armbrüster: Welche Folgen haben diese Schutzmaßnahmen denn in Ihrer Stadt, in Düsseldorf bislang hinterlassen?
Geisel: Sie meinen jetzt die Verhaltensbeschränkungen?
Armbrüster: Genau! Und die Geschäftsschließungen.
Geisel: Die Folgen sind natürlich dramatisch. Es gibt manche Bereiche – das ist insbesondere das Veranstaltungswesen, die Gastronomie, die Hotellerie -, da ist ja gar nichts mehr. Dann gibt es den Einzelhandel mit Ausnahme der Lebensmittel- und einiger Geschäfte, die ausdrücklich noch geöffnet sein dürfen. Da ist ja auch praktisch alles zu.
Das hat natürlich insbesondere bei diesen kleinen Unternehmen und Betrieben dramatische Folgen. Die haben ja alle keine wahnsinnig lange Kapitaldecke sozusagen. Die Soforthilfen ziehen zwar, aber das ist natürlich nichts, was nachhaltig diesen Unternehmen hilft. Die brauchen Geschäft.
Ich würde auch sagen, gerade was etwa den Einzelhandel, aber auch die Gastronomie angeht: Man kann ja selektiv vorgehen. Man kann ja durchaus dort, wo die Regeln des Social Distancing eingehalten werden können, auch wieder aufmachen. Ich habe nicht ganz so viel Verständnis dafür, dass man zwar einen Supermarkt aufmachen kann, aber eine Boutique nicht aufmachen kann, zumal häufig in Supermärkten das Gedränge größer ist als in Boutiquen.
Armbrüster: Jetzt sagen viele Leute – wir haben zum Beispiel vorhin Annegret Kramp-Karrenbauer hier im Programm gehabt -, wir dürfen solche wirtschaftlichen Entwicklungen, wir dürfen auch solche Unternehmenspleiten nicht gegenrechnen gegen Menschenleben, die wir retten müssen. Eine Aufrechnung von diesen beiden Seiten ist nicht gestattet. Können Sie dem zustimmen?
Geisel: Ich würde mal so sagen: Das Geschäft der Politik ist es, immer sorgfältig abzuwägen. Natürlich kann man nicht sagen, wir wiegen hier gegen Menschenleben ab, aber man muss natürlich auch sehen, welche Gefahren es hat, wenn wir Existenzen kaputt machen.
Ich würde mal so sagen: Die Politik muss eine Entscheidung treffen, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Gesundheitswesen hier tatsächlich in eine Schieflage gerät, und wie groß sind die sonstigen gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Schäden, und ich glaube, da ist es immer geboten – dafür werden Politiker gewählt -, dass sie da eine verantwortungsvolle Abwägungsentscheidung treffen.
Wenn es etwa darum ginge, dass ich sage, die Gefahr einer Überforderung des Gesundheitswesens schätze ich mit zehn Prozent ein und ich kann sie auf fünf Prozent reduzieren, allerdings mit der Folge unübersehbarer sozialer und wirtschaftlicher Schäden, dann bin ich nicht hundertprozentig sicher, ob die Entscheidung immer zu Gunsten einer noch weiteren Reduzierung der Gefahr fürs Gesundheitswesen ausgehen muss. Das Geschäft der Politiker ist die sorgfältige Abwägung dieser Belange, und ich glaube, das kann man erwarten.
"Wir sind so gut vorbereitet, wie man sich vernünftiger Weise darauf vorbereiten kann"
Armbrüster: Das heißt, bestimmte Opfer, möglicherweise auch Menschenopfer, auch Gesundheitsopfer muss man bereit sein, in Kauf zu nehmen?
Geisel: Ich sage immer, man muss sorgfältig abwägen. Jeder Politiker muss immer ein Stück weit eine Entscheidung treffen vor dem Schleier der Ungewissheit. Diese Abwägung muss sorgfältig geschehen. Und wie gesagt: Es kann nicht sein, dass ein Ziel absolut gesetzt wird und alle anderen Ziele darunter komplett ausgeblendet werden. Das ist keine verantwortungsvolle politische Entscheidung. Ich glaube, gerade der Punkt des verantwortungsvollen Krisenmanagements erfordert hier die sorgfältige Abwägung.
Armbrüster: Deshalb noch mal die Frage. Haben Sie den Eindruck, dass die Bundesregierung diese Abwägung sorgfältig trifft?
Geisel: Ich vertraue darauf, dass sie das tut. Da ich nicht weiß, was sie vorhat, kann ich es letztlich nicht beurteilen, aber mein Vertrauen ist natürlich darauf, dass diejenigen, die demokratisch legitimiert sind, solche Entscheidungen zu treffen, diese auch wirklich verantwortungsvoll treffen.
Armbrüster: Oder sollte sich die Bundesregierung vielleicht ein Beispiel an Österreich nehmen? Die haben ja gestern das vorgemacht und gesagt, wir fangen nächste Woche einfach mal ganz vorsichtig an mit den ersten Ladenöffnungen?
Geisel: Ich darf noch mal wiederholen: Die Bundesregierung muss sich anschauen, wie gut ist mein Gesundheitswesen vorbereitet. Dazu haben wir mittlerweile Daten. Ich kenne am besten die Daten von Düsseldorf. Hier kann ich sagen, ich glaube, wir sind so gut vorbereitet, wie man sich vernünftiger Weise darauf vorbereiten kann.
Die Bundesregierung muss genau schauen, kann es gelingen, diejenigen, bei denen eine Infektion ein besonders hohes Risiko hätte, diese Menschen zu sensibilisieren und gezielt zu schützen. Da, glaube ich, können wir in den Kommunen auch durchaus einen wichtigen Beitrag leisten. Und je nachdem, wie ich die beiden Punkte einschätze, kann ich dann das öffentliche Leben wieder sukzessive hochfahren. Das ist die Entscheidung, die die Bundesregierung treffen muss, und wie gesagt, ich kann nur hoffen und darauf vertrauen, dass sie dies in verantwortungsvoller Weise tut.
"Ich habe selber einen 88-jährigen Vater. Der geht im Moment nicht raus"
Armbrüster: Sie haben es jetzt immer wieder betont, Herr Geisel. Eine Ihrer Säulen wäre, die Risikogruppen zu schützen, alte Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen, die möglichst fernhalten von diesem Virus.
Geisel: Die so zu schützen, dass ihr Infektionsrisiko minimiert wird, und es ist die gesellschaftliche Aufgabe, dies in einer Art und Weise zu tun, dass sie nicht allein gelassen werden. Ich habe selber einen 88jährigen Vater. Der geht im Moment nicht raus.
Der bekommt auch keinen Besuch von seinen 14 Enkelkindern. Aber der telefoniert jedes Wochenende oder mehrfach unter der Woche mit denen. Der ist nicht allein gelassen und der hat eine Nachbarschaft, die dafür sorgt, dass für ihn eingekauft wird und dass er im Prinzip durchaus noch teilhaben kann am gesellschaftlichen Leben, ohne dass er sich einem Risiko aussetzen muss.
Armbrüster: Aber gerade das ist ja die große Frage. Wie sieht diese gesellschaftliche Teilhabe dann noch aus, wenn solche Menschen, ich sage es einfach mal drastisch, isoliert werden, wenn sie in Isolation leben, wochen-, möglicherweise monatelang, und anschließend, wenn man sie dann wieder teilhaben lässt am öffentlichen Leben, dann ist ja die Gefahr riesig, dass sie sich dann anstecken.
Geisel: Nee, nee! Was die Virologen sagen, ist ja – das ist jedenfalls das, was ich von allen höre -, dass im Prinzip dieser Virus nur gewissermaßen überwunden werden kann, wenn wir den Zustand der Herden-Immunisierung erreicht haben. Professor Drosten geht davon aus, dass sich etwa 60 bis 70 Prozent infiziert haben müssen. Dann ist dieser Zustand der Herden-Immunisierung erreicht.
Unter diesen 60 bis 70 Prozent sollten möglichst wenige sein, bei denen eine Infektion einen schweren Krankheitsverlauf hätte, möglicherweise lebensgefährlich würde. Wenn diese Herden-Immunisierung erreicht ist, dann können wir alle – und zwar auch natürlich die sogenannten vulnerablen Gruppen, die Älteren mit Vorerkrankung – damit umgehen. Dann ist im Prinzip die Gefahr gebannt.
Das ist das, was, glaube ich, immer noch herrschende Meinung bei den Virologen ist. Die einzige Ausnahme würde dann bestehen, wenn sehr, sehr zeitnah ein wirksamer Impfstoff gefunden würde. Wann der kommt – ich glaube, da ist niemand in der Lage, gegenwärtig genaue Prognosen abzugeben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.