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Corona-Medienhype
Wohldosierte Panikmache

Fast stündlich tickern die Medien neue Zahlen zum Coronavirus. Dieser ständige Nachrichtenstrom habe einen beruhigenden Effekt, findet Samira El Ouassil - gleichzeitig sieht sie es als Aufgabe der Medien, uns ein bisschen Angst zu machen.

Von Samira El Ouassil |
Der Krisenstab der Bundesregierung im Jahr 2020
Der Krisenstab der Bundesregierung zum Corona-Virus (picture alliance/Kay Nietfeld/dpa)
Unsere Medienagenda hat erhöhte Temperatur, seitdem das Virus Italien und damit nun auch endgültig alle deutschen Titelseiten erreicht hat. Die Nachrichten befinden sich hierbei in einem widersprüchlichen Modus der Aufmerksamkeitsökonomie: Einerseits versuchen sie aufzuklären, zu informieren und zu warnen, wo es notwendig ist, andererseits wollen sie keine Panik verbreiten.
Eine medienethische Herausforderung: In dem Moment, wo ich zum Beispiel vor den Gefahren der Tröpfcheninfektion warne, erzeuge ich Angst vor niesenden Mitmenschen - aber das ist ja gerade der Sinn einer Warnung: Menschen dazu zu bringen, etwas zu tun, das sie schützt. Verbreite ich damit schon Angst?
Samira El Ouassil ist Kommunikationswissenschaftlerin, Schauspielerin und politische Ghostwriterin. 2009 war sie die Kanzlerkandidatin für DIE PARTEI. Seit September 2018 schreibt sie für das Medienkritikmagazin Übermedien die Kolumne "Wochenschau". Mit Gedächtniskünstlerin Christiane Stenger beantwortet sie außerdem im Audible-Podcast "Sag Niemals Nietzsche" Fragen der Philosophie.
Ein interessantes Beispiel, um die delikate Balance zwischen aufklären, mahnen, warnen, Angst schüren und Angst ausnutzen zu veranschaulichen, ist die dieswöchige Ausgabe der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". In dieser einen Ausgabe waren acht Artikel rund um den Virus mit folgenden Schlagzeilen zu finden: "Die Börse in Corona-Panik". "Das Virus bedroht unseren Wohlstand". "Corona-Verlust erinnert an Finanzkrise". "Absage an die Zerstreuung". "Lieber im Hotel als zu Hause schlafen". "Angriff auf die Italianita". (Da ging es darum, dass das Virus die italienische Lebensart in Frage stellt.) Und als letztes ein Artikel mit der Überschrift: "Man kann nicht vorsichtig genug sein".
Zeitungslektüre als Best of der German Ängste
So geballt, klingt das selbst für eine pragmatisch-gelassene Zeitung wie die FAS doch etwas aufgeregt, aber die Artikel selbst waren sachlich, informativ und höchst relevant. In dem medialen Klima liest es sich jedoch wie ein Best of der German Ängste. Und das Problem bleibt auch immer ein strukturelles, für das die FAS nicht einmal was kann: Die Angst aus der Schlagzeile hat im Hypothalamus des Lesers schon einiges in Gang gesetzt, bevor die Fakten aus dem Text mit Besonnenheit nachrücken können.
Coronavirus
Coronavirus (imago / Science Photo Library)
Mit dem Triggern unseres Hirns kennt sich auch die "Bild" zweifelsohne aus: Erwartbar arbeitet sie mit dem Nachrichtenwert Angst, letzte Woche war an fünf Tagen das Virus auf ihrer Titelseite. Um der nachrichtlich ausgeschlachteten Emotion dennoch journalisitische Sachlichkeit vermeintlich entgegen zu halten, folgen die Tage Zahlen - sehr, sehr viele Zahlen. Und diese dienen als Faktensimulation: Wir haben Opferzahlen, Todeszahlen, Infektionszahlen. Krankheitsfälle, Inkubationszeiten, Quarantänefälle, Fluggastverkehrzahlen, Zugfahrtstatistiken und Atemmaskenbestände werden uns präsentiert wie aus einem Spielkarten-Quartett über die vier apokalyptischen Reiter.
Sogar die "Superillu" tickert
Tickern ist die mediale Form der Stunde. Es wird über den Virus getickert als handele es sich um ein Fußballspiel von der Dauer einer Präsidentschaftswahl. "Bild", "Welt", "Spiegel", "Focus" haben alle natürlich einen Ticker. Ja, sogar die "Superillu" berichtet minutengenau über die ersten Infektionen in Brandenburg. Es stellt sich die Frage, wie sinnvoll das Vermelden jeder neuen Infektion wirklich ist, denn es vermittelt lediglich eine protokollarische Unmittelbarkeit und inszeniert eher das Informieren, als tatsächlich zu informieren.
Informationslosigkeit lässt sich während bedrohlich wirkender Situationen aber nur schwer aushalten, weshalb wir diesen Nachrichtenstrom unbewusst gleichermaßen beruhigend wie beunruhigend empfinden. Der Ticker reduziert die Ängste, die er gleichzeitig erzeugt, und das ist das ganze Dilemma von Journalismus in Krankheitszeiten: Die Nachrichten bestimmen nicht, was wir denken sollen, aber sie sagen uns, worüber wir nachdenken sollen, heißt es ja in der Medienwissenschaft. Wenn sie also permanent jede mikroskopische Regung des Virus vermelden, beschäftigen wir uns auf neurotischere Art mit ihm. Das heisst, selbst wenn Medien sachlich berichten, macht uns alleine die schiere mediale Omnipräsenz schon Sorgen.
Aber wenn die Informationen uns nur beruhigen würden, würden wir uns offenbar nicht mehr so fleißig wie jetzt unsere Hände waschen. Die publizistische Herausforderung ist also uns auf pragmatische Art wohldosiert Angst zu machen - irgendwo zwischen publizistischer Homöopathie, Tickern als Nachrichten-Placebo und und tagesaktueller Adrenalin-Spritze.