Im Frühjahr starb in Deutschland einer von fünf Patienten, die wegen einer SARS-CoV-2-Infektion in die Klinik mussten. Von den beatmeten Patienten überlebte sogar nur die Hälfte. COVID-19 ist eine tödliche Krankheit. Inzwischen gibt es bessere Medikamente und die Ärzte haben mehr Erfahrung. Das sollte die Prognose verbessern. Sollte - denn noch gibt es dazu kaum aussagekräftige Studien.
An der Universität Oxford hat sich der Statistiker Jason Oke die englischen Daten von April bis August angesehen: "Von April an halbierte sich die Zahl der Patienten in den Krankenhäusern alle 30 Tage. Aber die Zahl der COVID-19-Toten sank viel schneller, sie halbierte sich alle 16 Tage. Deshalb denken wir, dass COVID-19 nicht mehr ganz so gefährlich ist wie zu Beginn der Pandemie."
Sterblichkeit gesunken – auch bei Älteren
Nur woran liegt das? Eine Möglichkeit lautet, dass das Virus selbst harmloser geworden ist. Allerdings scheinen die vielen inzwischen bekannten Mutationen keinen Einfluss auf die Aggressivität des Erregers zu haben. Eine andere Erklärung beruht auf der Verschiebung der Altersgruppen. Aktuell infizieren sich vor allem jüngere Menschen, weil sie aktiver sind, reisen, Party machen. Einige von ihnen erkranken schwer, aber eben nur sehr wenige. Doch auch die Älteren für sich genommen haben Teil an dem Trend zu milderen Verläufen. Das konnte Jason Oke an Daten vom deutschen Robert-Koch-Institut nachweisen:
"Wir sehen in allen Altersgruppen ähnliche Trends, auch bei den über 80-Jährigen. Ihre Sterblichkeit ist deutlich höher als die der jüngeren, aber sie ist von anfangs 30 Prozent auf zehn Prozent bei den neuesten Daten gefallen."
Wirksame Medikamente und klinische Erfahrung
Das spricht dafür, dass die Ärzte tatsächlich besser mit COVID-19 umgehen können. In Deutschland sammelt das LEOSS-Netzwerk Daten zum Krankheitsverlauf der COVID-19-Patienten. Es geht vor allem darum, Faktoren zu identifizieren, die früh Hinweise auf den Krankheitsverlauf geben. Aber im Austausch mit ihren Kollegen kann die Infektiologin Maria Vehreschild vom Universitätsklinikum Frankfurt doch wesentliche Verbesserungen feststellen. Erstens gibt es wirksame Medikamente. Dexamethason und vergleichbare Wirkstoffe senken die Sterblichkeit gerade der schwer betroffenen Patienten. Und Remdesivir ist bei den frühen Phasen der Erkrankung nützlich.
"Also beide Medikamente zusammen können uns da helfen. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass diese beiden Medikamente jetzt ein großer Durchbruch in der Behandlung dieser Erkrankung sind. Es sind Bausteine, die sich in ein großes Ganzes einfügen", so Vehreschild. Das große Ganze, das ist vor allem die klinische Erfahrung, die die Ärzte gewonnen haben. "Wenn ich eine Erkrankung neu kennenlerne, dann verstehe ich natürlich auch besser, woran ich an einem Patienten erkennen kann, wie sich der klinische Verlauf gestalten wird. Ich denke einfach schon viel weiter mit nach vorne."
Angstabbau durch Routine
Es ist inzwischen klar, dass COVID-19 keine reine Lungenerkrankung ist. Auch das Herz, die Niere und insbesondere die Blutgerinnung müssen überwacht werden, um frühzeitig einzugreifen. "Ein Beispiel ist die Tatsache, dass diese Patienten von einem doch sehr stabilen Zustand, wo sie im Bett sitzen, mit einem reden, wirklich rasant schnell in einen instabilen Zustand übergehen können und dann eben beatmungspflichtig werden", sagt Vehreschild.
Das kannten die Ärzte nicht von anderen Krankheiten, aber jetzt sind sie vorbereitet. Anfangs herrschte noch eine große Unklarheit, auch was die Sicherheit des medizinischen Personals betraf. Inzwischen gibt es überall Hygienekonzepte und Schutzkleidung.
"Ich glaube, dass vor allem Ängste sehr stark abgebaut wurden über den Gewinn von Routinen mit der Behandlung dieser Patienten und ich würde sagen, dass es heute wirklich nichts Besonderes mehr ist, wenn ein neuer COVID-19-Patient kommt. Das ist wirklich ein Patient wie jeder andere für uns mittlerweile."
Lebensgefahr bleibt – aber vermutlich mehr milde Verläufe
Vieles deutet darauf hin, dass beachtliche Erfolge nicht nur bei der Infektionsvermeidung, sondern auch in der Klinik erzielt wurden. Klare Aussagen werden aber, so traurig das ist, erst möglich sein, wenn im Herbst und Winter wieder mehr Menschen auf die Intensivstationen kommen. COVID-19 bleibt in jedem Fall eine lebensgefährliche Krankheit. Aber vielleicht, so meint Jason Oke, tragen die AHA-Regeln nicht nur dazu bei, Ansteckungen zu verhindern, sondern auch zu einem milderen Verlauf der Krankheit: "Menschen die sich jetzt infizieren, bekommen wahrscheinlich eine geringere Virendosis ab als zu Beginn. Das könnte einen Einfluss haben." Wie groß dieser Einfluss ist und ob er tatsächlich existiert, soll jetzt die nächste statistische Studie klären.