Der Leiter des Kölner Gesundheitsamtes, Johannes Nießen, sieht seine Behörde in der Lage, auch bei hohen Inzidenzwerten die Nachverfolgung von Corona-Kontaktfällen sicherzustellen. Im Deutschlandfunk sagte er, das Kölner Gesundheitsamt habe das Personal von 350 zu Beginn der Krise auf mittlerweile 1.000 Personen aufgestockt: "Es ist ein immenser Personalaufwand, der betrieben werden muss, um die Krise zu bewältigen", sagte Nießen. Köln habe zeitweise 60 Personen pro Woche eingestellt, um die Kontakte zu verfolgen. Damit schaffe man es, jede Infektion nachzuverfolgen und alle Kontaktpersonen in Quarantäne zu schicken. Allerdings brauche es einen Modernisierungsbedarf bei der Kommunikation, sagt Nießen. "Wir müssen weg vom Fax-Gerät und hin zu modernen Kommunikationsmitteln." Der Bund habe Gelder zugesagt, allerdings sei noch kein Cent angekommen.
Johannes Nießen appellierte auch an die Kommunen, selbst tätig zu werden, um personell aufzustocken und die Kontaktnachverfolgung zu bewältigen. "Man kann leider nicht auf den Bund warten, bis der tätig wird", sagt der Leiter des Gesundheitsamt Köln.
Mit Blick auf das Bund-Länder-Treffen am Mittwoch (10.02.2021) zu weiteren Corona-Maßnahmen betont Nießen, dass der Inzidenzwert nicht der einzige Wert sein sollte, der beachtet wird. Es müsse auch geschaut werden, wie viele Menschen auf Intensivstationen liegen, wie viele sterben oder wie der R-Wert ist.
Nießen trat ganz grundsätzlich dafür ein, die Inzidenz auf deutlich unter 50 zu senken. "Wir haben noch zu viele neue Fälle, wir haben noch zu viele versterbende Menschen, die unter der Pandemie leiden", sagte er. Von daher müsse man mit der Inzidenz eher unter 35 kommen und eigentlich sogar Richtung null: "Ich weiß, das ist ein großes Ziel, aber das muss uns durch die Krise leiten und führen. Dafür ist ein weiterer Lockdown erforderlich. Nur so werden wir auch irgendwann Normalität wieder erreichen können."
Die Stadt Köln hatte zuletzt noch einmal schärfere Corona-Maßnahmen eingeführt, um die Infektionen zu verringern. Für den Leiter des Gesundheitsamt Köln, ist die Kombination aus Kontaktbeschränkungen und deren Kontrollen der Schlüssel, um die Inzidenz nach unten zu drücken.
Das ganze Interview im Wortlaut:
Jasper Barenberg: Herr Nießen, Ist es so? Kann Köln wie auch andere Gesundheitsämter vor allem in größeren Städten viel mehr leisten, als viele im Moment noch denken?
Johannes Nießen: Ja, es ist so. Wir haben ein Jahr lang Zeit gehabt, uns an die Krise zu adaptieren, sage ich mal so. Wir mussten im November die schmerzhafte Erfahrung machen, dass wir mit einer über 200er-Inzidenz doch massiv noch mal nachsteuern mussten. So haben wir zum Beispiel in einer Großstadt mit über einer Million Einwohnern es geschafft, jede Woche 60 neue Personen einzustellen, so dass wir uns jetzt verdreifacht haben.
Man schafft es nur mit einem immensen Personalaufwand, jede Infektion nachzuverfolgen und alle Kontaktpersonen in Quarantäne zu schicken, wenn ich das mal so sagen darf.
Barenberg: Sie haben gesagt, Sie haben zeitweise 60 Personen pro Woche eingestellt. Wieviel Personal haben Sie jetzt im Vergleich zum ursprünglichen Zustand?
Nießen: Wir hatten mal 350 Personen, als die Krise anfing, die im Gesundheitsamt mitgearbeitet haben. Inzwischen sind wir über 1000. Wir haben uns quasi verdreifacht. Das ist schon ein immenser Personalaufwand, den man betreiben muss, um der Krise dann auch gerecht zu werden.
"Wir haben immer noch einen erheblichen Modernisierungsbedarf"
Barenberg: Es gab ja Diskussionen nicht nur ums Personal, sondern auch um die Ausstattung mit IT und moderner Technologie. Da gab es viel Häme über Zettelwirtschaft und Faxgeräte. Hat sich da auch viel geändert?
Nießen: Da hat sich einiges geändert, aber noch nicht alles. Das ist ein Punkt, den Sie ansprechen, wo wir einen erheblichen Modernisierungsbedarf immer noch haben.
Der Bund hat ja mit seinem ÖGD-Pakt - vier Milliarden Euro sind im September entschieden worden; leider ist noch kein Cent angekommen – aber auch eine Digitalisierungsoffensive für die Gesundheitsämter beschlossen. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, dass man weg vom Faxgerät, hin zu modernen Kommunikationsmitteln an der Stelle kommt.
Barenberg: Zwischenfazit: Sie können viel mehr leisten als zu Beginn und sicherlich auch viel mehr, als viele immer noch denken. Beschreiben Sie uns doch mal: Wie funktioniert das im Moment in Köln? Wir haben, glaube ich, eine Inzidenz von etwas über 82 pro Woche. Wie funktioniert da Kontaktverfolgung? Wie müssen wir uns das vorstellen?
Nießen: 82 war gestern; heute Morgen ist 79. Damit liegen wir ein bisschen überdurchschnittlich. Wir waren Monate unterdurchschnittlich, bis wir gemerkt haben, wir mussten nachsteuern.
Wenn heute uns ein Fall gemeldet wird aus einem Labor, rufen wir innerhalb kürzester Zeit dort an bei dem Indexfall – so nennen wir diesen angesteckten, positiv getesteten Patienten – und informieren ihn über seine Infektion. Er wird gebeten, innerhalb von kürzester Zeit uns seine Kontaktpersonen zu melden, und die werden wir auch innerhalb von 24 Stunden dann anmailen, per SMS informieren, dass sie nachgucken in ihrem Postfach. Und dann bekommt er oder sie auch noch eine klassische Ordnungsverfügung per Post. An drei Stellen agieren wir, dass derjenige, diejenigen auch Bescheid wissen, dass sie jetzt in Quarantäne sind.
Wenn ich das gerade noch sagen darf, dann ist das ein ganz wichtiger Punkt, möglichst schnell und früh die Menschen zu informieren. Nur so kriegt man letzten Endes die Sterbequote auch runter, und da liegen wir in Köln unterdurchschnittlich.
"Wir können auch mit dreifachen Inzidenzen umgehen"
Barenberg: Was die Schnelligkeit angeht, da sind Sie viel besser aufgestellt als bisher. Ich höre jetzt vom Düsseldorfer Oberbürgermeister Stephan Keller, dass man dort sagt, man könnte auch Nachverfolgung bei einer Inzidenz von 300 leisten. Sie hatten vorhin ja geschildert, wie das im vergangenen November war und wie überfordert Sie waren bei einer Inzidenz von 200. Ist jetzt in solchen Dimensionen eine konsequente Kontaktverfolgung und dann auch konsequente Quarantäne möglich?
Nießen: Jetzt ja. Das ist, glaube ich, mit der akuten Personalstärke, so wie wir uns aufgestellt haben, problemlos möglich. Wir können auch mit dreifachen Inzidenzen umgehen.
Das Wichtigste ist, gibt es Personal einzustellen und da nicht auf den Bund zu warten, bis er mit seinem ÖGD-Pakt um die Ecke kommt, wenn ich das mal so sagen kann, sondern da muss jede Kommune leider selber heran. In einer Studierendenstadt wie Köln hat man da keine Probleme, auch Studierende zu finden, die einem dabei helfen. Wichtig ist, Personal aufzustocken, um der Krise dann an der Stelle auch Paroli zu bieten.
Das Wichtigste ist, gibt es Personal einzustellen und da nicht auf den Bund zu warten, bis er mit seinem ÖGD-Pakt um die Ecke kommt, wenn ich das mal so sagen kann, sondern da muss jede Kommune leider selber heran. In einer Studierendenstadt wie Köln hat man da keine Probleme, auch Studierende zu finden, die einem dabei helfen. Wichtig ist, Personal aufzustocken, um der Krise dann an der Stelle auch Paroli zu bieten.
Barenberg: Ich habe das am Anfang angesprochen: Dieser Inzidenzwert von 50 ist ja Dreh- und Angelpunkt der ganzen Diskussion und wird sicherlich morgen eine Rolle spielen, wenn die Kanzlerin und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten zusammensitzen. Da wird sich die Kanzlerin auch wieder auf diesen 50er-Wert berufen. Ihr Regierungssprecher hat gestern gesagt, da sind wir noch gar nicht. Ist das ein inzwischen falscher Wert, ein missverständlicher Wert?
Nießen: Ja, es ist ein besonderer Wert, der uns durch die Krise führt. Ich meine, dass es nicht nur der einzige Wert sein sollte. Man muss gucken, wie viele Patienten liegen auf Intensivstationen, wie viele Menschen versterben. Es gibt noch ein paar Parameter, die auch mit einbezogen werden müssen, nicht zuletzt der Reproduktionswert, das heißt wie viele Menschen stecken wie viele andere Menschen an. Wenn der unter eins ist, ist man gut dabei, sage ich mal. Wenn der über eins ist, ist die Pandemie noch weiter am groß werden, sich am weiter entwickeln.
"Wir können uns auf keinen Fall eine höhere Inzidenz leisten"
Barenberg: Noch mal nachgefragt. Wenn wir morgen wieder hören, wir sind noch nicht bei 50, also müssen wir die strengen Regeln noch verlängern, müssen wir den Lockdown noch verlängern, ist das dann eine falsche Grundlage, auf der diskutiert wird? Würden Sie sagen, wir können uns eine höhere Inzidenz leisten?
Nießen: Ich meine, wir können uns auf keinen Fall eine höhere Inzidenz leisten. Wir haben noch zu viele neue Fälle, wir haben noch zu viele versterbende Menschen, die unter der Pandemie leiden. Von daher müssen wir nicht Richtung unter 50, sondern müssen Richtung unter 35. Wir müssen sogar Richtung null kommen.
Ich weiß, das ist ein großes Ziel, aber das muss uns durch die Krise leiten und führen. Nur so werden wir auch irgendwann Normalität wieder erreichen können. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass es richtig ist, mit Corona zu leben, aber die 50er-Inzidenz ist ein ganz wichtiger Marker, unter den wir deutlich kommen müssen. Es reicht jetzt nicht mehr 49, sondern wir hatten am Anfang die Zahl 35. Wir müssen deutlich noch darunter kommen und dafür ist ein weiterer Lockdown aus unserer Sicht, aus infektiologischer Sicht erforderlich.
"Ich hoffe, dass wir im Frühjahr dann auch wieder mehr Lockerungen haben werden"
Barenberg: Das heißt, Sie sind eher an der Seite derjenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die jetzt für eine No-Covid-Strategie plädieren und sagen, wir müssen jetzt noch durchhalten, wir müssen die Zahlen noch weiter runterbringen, noch konsequenter sein, möglichst unter zehn?
Nießen: Genau so! Das sollte das Ziel sein. Ich weiß, das ist schwer, nach so einer langen harten Zeit dann auch noch die Geduld aufzubringen, das jetzt alles noch so weiter durchzuführen, aber wenn wir wirklich ganz da heraus wollen, dann brauchen wir diese Zeit. Das geht leider nicht ohne, dass wir jetzt noch weiter Geduld üben und die Maßnahmen, an die wir uns ja mehr oder weniger auch gewöhnt haben, in Zukunft eine gewisse Zeit durchhalten.
Aber ich wage nicht zu sagen wie lange, aber ich hoffe, dass wir im Frühjahr – und das ist ja nicht allzu weit weg – dann auch wieder mehr Lockerungen haben werden.
Aber ich wage nicht zu sagen wie lange, aber ich hoffe, dass wir im Frühjahr – und das ist ja nicht allzu weit weg – dann auch wieder mehr Lockerungen haben werden.
Barenberg: Was können die Gesundheitsämter, was können Sie im Gesundheitsamt Köln beitragen, dass diese Strategie Erfolg hat? Im Moment hat man ja den Eindruck, es gibt die Regeln, aber es gibt auf der anderen Seite trotzdem noch viele Infektionen.
Nießen: Wir haben für die Stadt Köln ja eine Verschärfung der Regeln durchgeführt. Wir haben jetzt nicht nur Empfehlungen ausgesprochen, dass man sich zu zwei Haushalten nur mit einer anderen Person treffen darf, sondern dass das auch einen verpflichtenden Charakter hat. Wir haben jetzt über Karneval ein Alkoholverbot, ein Alkohol-Konsumverbot in der Öffentlichkeit ausgesprochen, auch ein Verkaufsverbot.
Man muss dann auch noch mal bestimmte Maßnahmen verschärft angehen, damit die Inzidenz auch eine Wirkung zeigt nach unten. Das geht gar nicht anders, dass diese Regelungen auch mit verschärft werden müssen.
"Uns haben viele gesagt, uns fehlen auch die Kontrollen"
Barenberg: Was heißt verschärfen?
Nießen: Einerseits das mit den Haushalten möglichst beschränken und dann auch kontrollieren. Wir haben in der Stadt umhergefragt, wir haben uns mit 100 Experten getroffen und gefragt, was braucht es, um die Inzidenz weiter nach unten zu treiben. Uns haben viele gesagt, uns fehlen auch die Kontrollen.
So hart das klingen mag, aber an der Stelle Gebote oder Verbote auszusprechen, ist das eine, aber man muss auch darüber nachdenken und auch nachgucken und auch das machen, wie werden diese Verbote umgesetzt oder nicht umgesetzt. Wir haben von Partys erfahren, die im Keller ohne Licht stattfinden und ohne Musik, damit man nicht entdeckt wird. Aber es gibt diese Situation, dass man an der Stelle auch kontrolliert nachlegen muss.
Barenberg: Letzte Frage. Können Sie sich am Ende dieses Weges in Richtung noch niedrigerer Infektionszahlen diese sogenannten grünen Zonen vorstellen, wo in einer Stadt etwas möglich ist, was in der Nachbarstadt noch nicht möglich sein wird?
Nießen: Das ist eine Option. Das hat ja auch einen Anreizcharakter, dass man als Kommune und als Bürgerin und Bürger in der Kommune sich selber mit anstrengt und weiß, wenn wir jetzt aus Orange oder Rot in Grün kommen, dann dürfen wir auch mehr. Von daher sehe ich das als eine Option, auch dezentrale Verantwortung mehr zu übernehmen, als eine sehr hilfreiche und gute Sache an, diese grünen Zonen dann perspektivisch einzurichten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.