Die Sieben-Tage-Inzidenz sinkt derzeit spürbar. Der Corona-Modellierer und Mitentwickler des Covid-Simulators, Thorsten Lehr, sieht zwei Gründe dafür: "Zum einen sehen wir einen leichten Impfeffekt, aber der dürfte noch nicht sehr stark sein. Was wir momentan sehen, sind vor allem die Effekte der Bundesnotbremse."
Die Auslastung der Intensivstationen ist weiterhin hoch. Laut DIVI-Intensivregister werden derzeit knapp 5.000 Covid-Patienten auf Intensivstationen behandelt. Da zwischen Infektion und der Einweisung ins Krankenhaus eine gewisse Zeit vergeht, schlagen sich neue Infektionen erst verzögert in der Zahl der Patienten im Krankenhaus oder auf der Intensivstation nieder.
Man sehe aber in den Mobilitätsdaten, dass die Menschen ihr Verhalten änderten und auf die erhöhte Infektionslage reagierten, so Dirk Brockmann.
"Der saisonale Effekt wird viel diskutiert. Er ist sicherlich da, er ist für alle Coronaviren nachgewiesen, aber so stark wie bei anderen Coronaviren ist er für SARS-CoV2 unserer Meinung nach und der Meinung von anderen Forschern nicht unbedingt", sagt Thorsten Lehr. Er schätzt eine Reduktion des R-Werts (Wie viele weitere Menschen steckt eine infizierte Person im Durchschnitt an?) von 10-20 Prozents bei gutem Wetter ein. "Wir werden damit das Virus letztendlich nicht in den Griff bekommen, auch wenn wir uns das vielleicht wünschen".
Trotzdem geht Thorsten Lehr davon aus, die Inzidenz bis zum Sommer deutlich drücken zu können. "Wenn es gut geht und die Bevölkerung auch mitmacht, glaube ich schon, dass wir im Sommer wieder Inzidenzen unter 50 erreichen können." Das hänge von der Impfbereitschaft ab, aber eben auch von der Frage, wie gut trotzdem die Abstandsregeln, Hygieneregeln und Alltagsmasken-Regeln eingehalten werden. Lehr ist aber optimistisch:" Ich denke schon, dass dieser Sommer auf jeden Fall entspannter wird als die Weihnachtsfeiertage, die wir durchlebt haben."
Die bundesweite Notbremse koppelt Maßnahmen-Schritte nun an Inzidenzwerte. Modellierer Dirk Brockmann schätzte schon vor der Einführung der Notbremse, dass diese Wirkung zeigen werde.
Besonders kontrovers wird die nächtliche Ausgangssperre ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 100 diskutiert. Diese wirke nur kurzfristig, sagte Kai Nagel, Physiker und Corona-Modellierer an der TU Berlin, im Deutschlandfunk. Sie bringe aber mittelfristig nicht sehr viel, da die Menschen ihre privaten Verabredungs-Routinen dann eben entsprechend anpassen würden, um die Regelungen zu umgehen. Effektiver sei ein vollständiges Verbot privater Kontakte in Innenräumen, auch wenn das sehr hart klinge.
Neben den konkreten Auswirkungen der Maßnahmen könnten außerdem psychologische Effekte eine Rolle spielen. Die Ankündigung von Maßnahmen und die Diskussionen darüber führten in der Bevölkerung zu mehr Vorsicht, zu einer reduzierten Zahl an Kontakten. "Das bedeutet auf der anderen Seite aber auch: Wenn die Zahlen wieder sinken, sehen wir den gegenteiligen Effekt: dass die Leute sich nicht mehr so stringent an die Maßnahmen halten", so Thorsten Lehr von der Universität des Saarlandes.
Kai Nagel plädierte für ein Baukastensystem, mit dem verschiedene Maßnahmen kombiniert werden könnten – vor allem in Büros und Schulen: Reduzierung von Personen in Innenräumen, regelmäßige und verbindliche Tests, Impfungen und Maskentragen. Sein Forscher-Kollege Brockmann bezeichnete Ausgangssperren hingegen als "ein Werkzeug", um die Zahl der Kontakte zu beschränken.
Dirk Brockmann dämpfte im April die Erwartungen auf einen schnellen Effekt durch die Impfungen. "Wir müssen sehen, dass wir auf jeden Fall noch den Mai, wenn nicht den Juni benötigen, damit die Impfquote so hoch ist, dass sie substanziell auf das Infektionsgeschehen Einfluss hat", sagte der Forscher. Dies zeige auch der Blick nach Großbritannien. "Da waren schon vor Wochen 50 Prozent der Bevölkerung geimpft, und dennoch war das ganze Land noch in einem Lockdown."
Da sich die Impfgeschwindigkeit deutlich erhöht hat, geht der Modellierer Thorsten Lehr von ersten deutlichen Effekten schon Ende Mai aus. Er warnt aber auch: "Wir müssen gucken, dass das nicht in eine große Entspanntheit der Menschen übergeht. Das heißt: Wir haben immerhin 50 Prozent noch nicht geimpft."
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