Impfstoffentwicklung, das war früher ein extrem langwieriges Geschäft. Zuerst musste der Erreger isoliert, dann in großen Mengen hergestellt und schließlich abgetötet oder zumindest abgeschwächt werden. Heute gibt es eine Abkürzung: die moderne Gentechnik. Statt darauf zu warten, bis das neue Coronavirus isoliert werden konnte, legten die Forscher mit den Erbgutsequenzdaten los, die chinesische Wissenschaftler schon im Januar bereitgestellt hatten.
"Das ist das Schöne an diesen Ansätzen, dass man allein nur mit der genetischen Information da schon anfangen kann, Experimente zu machen und diesen Impfstoff zu produzieren."
Forschung seit dem SARS-Ausbruch 2003
Stephan Becker ist Impfstoff-Spezialist am Institut für Virologie der Universität Marburg. Konkret verwendeten er und seine Kooperationspartner aus München den genetischen Bauplan für das Spike-Protein des neuen Coronavirus. Corona heißt Krone und die Spike-Proteine sind sozusagen deren Zacken oder Spitzen. Sie bilden die Außenhülle des Virus. Wenn das Immunsystem lernt, sie zu erkennen, dann kann es den Erreger auch abfangen, bevor er Schaden anrichten kann. Stephan Becker forscht bereits seit dem SARS-Ausbruch im Jahr 2003 an einem Impfstoff gegen Coronaviren.
"Und ich denke mir, diese Erfahrung kann man auch benutzen, gegen das neue Coronavirus einen Impfstoff zu machen. Und wir lernen einfach mit jedem neuen Ansatz, den wir machen, viel dazu. Wir werden immer schneller."
Das gilt nicht nur für die Forscher in Marburg. Weltweit gibt es fast zwei Dutzend Impfstoffkandidaten gegen das neue Coronavirus SARS-CoV2. Sie lassen sich in drei Gruppen einteilen:
Impfstoffe aus Vireneinweiß
Das Spike-Protein des neuen Coronavirus wird in der Zellkultur von Bakterien produziert, gereinigt und mit einem Wirkverstärker als Impfstoff verwendet. Nach dieser Methode funktionieren zum Beispiel einige Grippeimpfstoffe oder auch die Tetanusimpfung. Das US-Unternehmen Novavax und Forscher der Universität von Queensland in Australien setzen auf diese Strategie.
Impfstoffe mit Vektorviren
Ausgangspunkt hier sind im Grunde harmlose Viren, die sozusagen verkleidet werden. In Marburg ist das das etablierte Impfvirus Vaccinia. Andere Forscher arbeiten mit einem abgeschwächten Impfstamm des Masernvirus oder dem Atemwegserreger RSV. In das Erbgut der Vektorviren bauen die Forscher das Gen für das Spike-Protein des neuen Coronavirus ein. Das Immunsystem reagiert auf diese Verkleidung, auf die Hüllproteine des Erregers, und bildet Antikörper, die – hoffentlich – vor ihm schützen. Neben der Universität Marburg gehen auch das amerikanische Pharmaunternehmen Janssen und Wissenschaftler der Universität Oxford diesen Weg.
Impfstoffe aus Erbsubstanz
Diese Methode ist ganz neu und wird unter anderem vom Unternehmen CureVac in Tübingen vorangetrieben. Es möchte die genetische Bauanleitung für das Spike-Protein in den Arm der Impfpatienten spritzen. Die Idee dahinter: Die Schnipsel der Virus-RNA werden von den Muskelzellen aufgenommen und die fangen an, Spike-Proteine zu bilden und ins Blut auszuscheiden. Obwohl das Eiweiß im Körper gebildet wird, erkennt es das Immunsystem als Fremdkörper und bildet – hoffentlich - schützende Antikörper, erklärt CureVac-Vorstandsmitglied Ingmar Hoerr.
"Das ist sozusagen das Revolutionäre an diesem Ansatz: Es braucht diesen umständlichen Pharma-Prozess gar nicht mehr, sondern der Körper macht eigentlich genau das Gleiche. Also im Körper selbst wird dieser Antikörper hergestellt."
Welcher Impfstoff den besten Schutz bieten wird, ist derzeit völlig offen
Im Tiermodell funktioniert das bereits – und auch als Therapie gegen Krebs. Bislang sind aber noch keine Impfstoffe aus Erbsubstanz offiziell zugelassen. Neben CureVac arbeiten auch die US-Firmen Moderna, Inovio und ConeaRX an solchen RNA- oder DNA-Impfstoffen – und versuchen sich jetzt auch am neuen Erreger SARS-CoV-2.
Unterstützt werden Sie durch Kooperationen mit öffentlichen Geldgebern. CEPI, die internationale Koalition für Innovationen zur Vorbereitung auf Epidemien, finanziert gleich mehrere Projekte mit Millionenbeträgen, unter anderem auch das Tübinger Unternehmen CureVac. Welcher Corona-Impfstoff am Ende den besten Schutz bieten wird, ist derzeit völlig offen. Stephan Becker begrüßt die Konkurrenz, und glaubt, dass sowieso mehrere Impfstoffe notwendig sein werden. Denn mit einem Ansatz allein, wird sich die riesige Nachfrage am Ende kaum bewältigen lassen.
"Die Konstruktion des Impfstoffes selbst ist relativ in kurzer Zeit möglich. Wir reden davon wenigen Monaten."
Versuche zu überspringen, wäre riskant
Viele Impfstoffkandidaten sind bereits fertig und können jetzt an Tieren erprobt werden. Dafür braucht man genveränderte Mäuse, deren Zellen die menschliche Eintrittspforte für das neue Corona-Virus besitzen. Solche Versuchstiere gibt es im Prinzip schon, aktuell sind die passenden Mäuse allerdings nicht mehr lieferbar. In Marburg sucht man deshalb nach einem anderen Tiermodell. Diese Versuche einfach zu überspringen, wäre riskant. Denn Vorversuche aus der SARS-Zeit haben ergeben, dass manche Impfstoffkandidaten die Infektion nicht abwehrten, sondern im Gegenteil sogar verschlimmerten. Besser man bemerkt das bei Tierversuchen, als bei klinischen Tests an Menschen.
Bevor die beginnen könnten, müsste der Impfstoff-Kandidat dann unter hohen Reinheitsbedingungen produziert werden. Einige Unternehmen sind fast soweit und planen klinische Studien schon für Ende März. CureVac aus Tübingen hofft, im Sommer mit Tests am Menschen beginnen zu können. Das wäre aber nur möglich, wenn die Zulassungsbehörden wegen der rasanten Entwicklung der Covid-19-Epidemie zu Kompromissen bereit sind, sagt Unternehmensgründer Franz-Werner Haas.
"Wir sind in enger Abstimmung mit den Behörden, die ja auch gerade ein großes Interesse daran haben, von dem normalen medizinprodukt-zulässigen Weg vielleicht auch Ausnahmen zu machen, wenn bestimmte Kriterien eingehalten werden."
Im Bestfall anderthalb bis zwei Jahre
Die ersten Studien an Menschen beginnen also vielleicht früher als erwartet. Aber auch die sind nur ein erster Schritt. Sie sollen zeigen: Die neuen Impfstoffe sind verträglich. Ob sie auch wirksam sind, können erst größere Studien belegen. Und die brauchen Zeit. Genauso wie die Produktion großer Mengen von Impfdosen für Impfkampagnen.
"Also wenn alles optimal läuft, würde ich denken, anderthalb bis zwei Jahre ist das Schnellste", sagt Stephan Becker aus Marburg. Vielleicht ist SARS-CoV-2 dann längst kein Thema mehr. Aber darauf will niemand wetten. Und in jedem Fall werden die Forscher und Unternehmen weitere Erfahrungen sammeln und beim nächsten neuen Erreger noch schneller sein.