Sam und Andi, gesungen von zwei Frauen, sind sich während des Lockdowns online auf einer Videoplattform nähergekommen. Nun treffen sie sich zum ersten Mal. Wie wird sie sein, die Begegnung in der Wirklichkeit? Kann es so etwas wie Romantik in Zeiten von Corona überhaupt geben?
Hannah Peel ist eine von 20 Komponistinnen und Komponisten, die für das Projekt "20 Shots of Opera" der Irish National Opera in Dublin eine Kurzoper komponiert haben.
"Unser erster Austausch zu diesem Thema ging um Liebe und zwar vor allem um Sex und Einsamkeit in diesen Zeiten der Corona-Pandemie. Wir haben uns diese beiden Figuren ausgedacht, die sich zuerst über Zoom kennenlernen und nun zum ersten Mal aufeinandertreffen. Es geht um ihre Gefühle dabei, die von Humor, den Umständen aber auch von einer Portion Romantik bestimmt werden. Uns hat vor allem die Frage beschäftigt, wie nah man sich näherkommen kann, wenn die Romantik derzeit etwas auf der Strecke bleibt."
Romanze in Corona-Zeiten
Das Date zwischen Sam und Andi ist von vielen Unsicherheiten geprägt, beide tasten sich langsam vor – noch unsicherer als im Corona-freien Leben. Bei der ersten Berührung tragen sie Handschuhe.
Hannah Peel hat für diese Romanze in Corona-Zeiten eine eingängige, ariose Musik komponiert – große Oper im Kleinformat, zwei Sängerinnen, vier Instrumente, aufgeführt auf der großen Bühne der Oper Dublin mit einer Parkszenerie und Laub auf dem Bühnenboden.
Der durch Corona verursachte Lockdown war nicht nur der Grund für das Kurzopernprojekt der Irish National Opera, er beherrscht auch die Themen von vielen der entstandenen Opern. Es geht um Lockdown-Erfahrungen, den Umgang mit der Krankheit unsere eingeschränkte Kommunikation. Aber auch Themen wie der Klimawandel oder Umweltverschmutzung kommen vor.
"Insgesamt sind 165 Personen in diesen 20 Opern beschäftigt"
Die Idee zu diesem Kurzopern-Projekt hatte der Künstlerische Direktor der Irish National Opera Fergus Sheil:
"Nachdem klar geworden war, dass wir unser ambitioniertes Projekt einer Neuproduktion von Rossinis ‚Wilhelm Tell‘ nicht verwirklichen konnten, haben wir uns entschlossen, stattdessen Kompositionsaufträge für 20 Kurzopern zu vergeben. Es sollte ein ebenso wagemutiges Projekt werden wie die ursprünglich geplante Produktion. Eines, das genauso viele Menschen involviert und ebenfalls eine starke künstlerische Aussagekraft beinhaltet, sodass alle sagen: Schaut mal, so geht Oper in Irland im Jahre 2020. Insgesamt sind 165 Personen in diesen 20 Opern beschäftigt, aber in kleinen Gruppen von maximal 10 bis 15 Leuten. Dabei ist ein sehr vielfältiges Kaleidoskop herausgekommen und eine Menge Statements von ungeheurer Widerstandskraft und Kreativität angesichts der Herausforderungen 2020. So können Menschen auf aller Welt etwas über irische Kreativität erfahren und darüber, was wir in der Oper alles schaffen können."
Ausgewählt wurden von der Irish National Opera bekannte und unbekannte Komponistinnen und Komponisten aus Irland. Die Vorgaben waren: sechs bis acht Minuten Dauer und kleine Besetzung.
Desinfektionsmittel und Trauer
In ihrer Oper "Dichotomies of Lockdown" porträtiert Jenn Kirby zwei Personen in verschiedenen Stadien des Lockdowns. Die Szenerie ist denkbar reduziert, die beiden Protagonisten, ein Mann, eine Frau, stehen sich in einem weißen Raum an einem langen weißen Tisch gegenüber, auf dem jede Menge Desinfektionsmittel drapiert ist. Je nach Abstandsregel lässt sich der Tisch zwischen den beiden verlängern.
Jenn Kirby: "Die Oper geht den zwiespältigen Phasen des Lockdowns und den dadurch entstehenden emotionalen Konflikten nach. Das wird natürlich individuell verschieden wahrgenommen. Deshalb versuche ich, mich auf gemeinsame emotionale Erfahrungen zu konzentrieren. Ich denke, da gibt es viele Parallelen zu den Phasen der Trauer. Wir erleben gerade eine Zeit der abrupten Veränderungen. Wir werden Zeugen dieser schnellen Veränderung, die normalerweise nur in Zeitlupe zu beobachten ist. Außerdem bemerken wir die Veränderung auch an uns selbst. Ich wollte das alles eher empirisch denn retrospektiv einfangen."
Nicht alles ist ernst und traurig, was die 20 Komponistinnen und Komponisten in diesem Opernkaleidoskop präsentieren. Gerald Barry hat aus Briefen Beethovens, die sich mit Hauswirtschaftsthemen befassen, eine grotesk-komische Wut-Arie für Tenor solo plus ein paar Tubatöne komponiert: Statt um den verlorenen Groschen geht es hier um die Wut über verlorene Socken. Beethoven steigert sich in eine regelrechte Paranoia hinein und spricht von seinem Golgotha.
Kurz-Opern wurden an verschiedenen Orten der Oper in Dublin gedreht
Schräg-witzig und hochoriginell in der filmischen Umsetzung ist auch "Message for Marty" von Conor Mitchell. Marty hat Jackie verlassen, woraufhin Jackies Schwester den Übeltäter mit einer Beschimpfungsarie zur Schnecke macht. Der Zuschauer sieht die mit dem eigenen Handy gefilmte Anklage, während Schwester Jackie verzweifelt in einer Ecke Fotoalben zerreißt. Die Trash-Ästhetik mit Leopardenweste und grell geschminktem Gesicht und Fingernägeln ist stilecht und wunderbar komisch. Die Verfluchung des Verlobungsrings gemahnt musikalisch an Wagners Ring und auch das, was hier gesungen wird, ist hochartifiziell und anspruchsvoll.
Die 20 Kurz-Opern wurden nacheinander unter Einhaltung der Hygieneregeln an verschiedenen Orten der Oper in Dublin aufgeführt und gefilmt. Am 17. Dezember war Online-Premiere, seitdem sind alle 20 Minutenopern jederzeit online auf der Website der Oper kostenlos zu sehen – ein großes Vergnügen und ein grandioses kreatives Statement über und gegen die kulturellen Einschränkungen der Pandemie.