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Corona-Pandemie
Dresdner Sinfoniker spielen Hochhauskonzert

Unter freiem Himmel und mit viel Abstand haben die Dresdner Sinfoniker zum Konzert in den Stadtteil Prohlis geladen: Alphornisten und Blechbläser spielten auf den Dächern der Plattenbau-Siedlung. Nicht nur für das Publikum eine spannende Erfahrung.

Von Claus Fischer |
    Das Publikum sitzt - mit Abstand - auf Stühlen beim Hochhaus-Konzert der Dresdner Sinfoniker.
    Beim Hochhaus-Konzert der Dresdner Sinfoniker blieb das Publikum am Boden (Deutschlandradio/Claus Fischer)
    Der Konzertsaal ist ein Parkdeck, auf dem Dach des Einkaufszentrums von Dresden-Prohlis. Die Bühne: vier Wohnhochhäuser drum herum mit jeweils 16 Geschossen. Darauf postiert: Vier mal vier Alphornbläser.
    "Zwei Alphorn-Quartette in F, ein Alphorn-Quartett in Ges und ein Alphornquartett in Es", erzählt Stephan Katte, im Hauptberuf Hornist in der Klassikerstadt Weimar, aber eben auch passionierter Alphornbläser.

    Beide Instrumente auf Hochleistungsniveau zu beherrschen war die Bedingung, um beim Projekt Hochhauskonzert mitwirken zu können. Entsprechend kamen die engagierten Musiker aus einer ganzen Reihe deutscher Orchester.


    "Ein Kollege aus München, ein Kollege aus Berlin, noch mehrere Kollegen aus der Staatskapelle in Weimar, der Hornprofessor aus Weimar, Dresdner Staatskapelle, Dresdner Philharmonie."
    Coronavirus
    Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
    "Also ich habe auch ein Alphorn-Trio und ich trete damit solo auf", sagt Juliane Bauke, Hornistin im Orchester des Staatstheaters Darmstadt. "Also man kann das durchaus auch als ernstzunehmendes Instrument ein bisschen betreiben!"
    Vier Alphorn-Quartette auf vier Hochhäusern zu postieren – das war also die Grundidee von Markus Rindt, dem Gründer und Projektleiter der Dresdner Sinfoniker.
    "Zwischen diesen Gebäuden sind mehrere hundert Meter Abstand und wenn man dann Alphörner auf den Dächern positioniert und die miteinander kommunizieren lässt, das ist ja wirklich fast wie in den Bergen, ja? Denn Alphörner können fünf Kilometer, sieben, acht Kilometer gehört werden."
    Markus Lehmann-Horn wurde als Komponist beauftragt
    Für die Umsetzung dieser ungewöhnlichen Idee engagierte Markus Rindt den Münchner Komponisten Markus Lehmann-Horn. Er sagte zu, hatte aber noch Bedenken.
    "Ich glaube, wir brauchen noch ein paar andere Farben dazu, weil Alphörner sind ja tatsächlich auch sehr speziell, auch begrenzt in den Tönen."
    So wurde neben den vier Hochhäusern mit 16 Geschossen noch ein langgestrecktes mit 12 Geschossen einbezogen. Dort wurden noch eine Reihe Trompeten und Tuben postiert. Markus Rindt war sich sicher, dass Markus Lehmann-Horn für diese einzigartige Besetzung etwas Adäquates zu komponieren in der Lage ist.
    "Markus Lehmann-Horn habe ich vor einigen Jahren kennengelernt, als ich in der Jury war, bei der ‚Brandenburger Biennale‘, das ist ein Kompositionswettbewerb. Und er hatte damals den Publikumspreis bekommen. Und mir hat das wahnsinnig gut gefallen, seine Musiksprache. Einerseits zeitgenössisch, aber auch Filmmusik, das macht er ganz toll, z.B. für ARTE und ZDF. Viel haben sicherlich auch noch keine Neue Musik gehört, die hier wohnen, es ist wichtig, dass wir die Menschen hier auch abholen."
    "Himmel über Prohlis" – so nannte Markus Lehmann-Horn seine Komposition, die ganz normal an seinem Schreibtisch entstanden ist. Allerdings, das liegt auf der Hand, fiel es ihm wesentlich schwerer, sich das klangliche Ergebnis vorzustellen als das beim Schreiben für ein Sinfonieorchester oder eine Kammermusikformation möglich ist, die in einem Konzertsaal auftritt. So war Markus Lehmann-Horn mit dem Organisationsteam der Dresdner Sinfoniker bereits während der Entstehung des Werkes vor Ort.
    "Wir hatten Klangtests im Mai und im November letzten Jahres", erzählt Mitorganisatorin Franziska Jahn. "Da waren die Techniker aber ganz zufrieden, dass dieses Modell funktionieren könnte."
    Generalprobe nicht auf dem Dach, sondern in einer Messehalle
    Die Generalprobe mit allen beteiligten Musikern fand in einer Messehalle in Dresden statt. Dabei konnte Markus Lehmann-Horn noch Erkenntnisse bezüglich des Nachhalls in die Komposition einfließen lassen.
    Geprobt werden musste natürlich auch der Vorlauf der Aufführung - sprich wie lange brauchen die Musiker, um per Fußweg und Fahrstuhl ihre Plätze auf den fünf Hochhaus-Positionen um das Parkdeck herum einzunehmen. Da die Hochhausdächer nicht mit Geländern gesichert sind, wurden alle Mitwirkenden an ein Sicherungsseil angekettet. Anfangs, erzählt Alphornbläser Stephan Katte, hatte er dabei schon ein leicht mulmiges Gefühl.
    "Es sind aber auf jedem Dach ein Mediziner Betreuer und ein bergmännischer Betreuer mit da und wir sind eingewiesen worden in Kletterausrüstung!"
    Hochhaus-Konzert der Dresdner Sinfoniker
    Hoch über den Köpfen des Publikums spielten die Dresdner Sinfoniker (Deutschlandradio/Claus Fischer)
    Zehn Minuten vor Konzertbeginn. Auf dem Parkdeck haben sich etwa 350 Zuhörer eingefunden, rund 100 weniger als von den Veranstaltern erhofft. Dazu kommen mindestens 100 Zaun- oder besser Balkongäste in den umliegenden Hochhäusern. Komponist Markus Lehmann-Horn steht am Mischpult und wirkt gelassen
    "Wir haben tolles Wetter, wir haben keinen Wind! Der Wind ist ein großer Feind des Schalls, weil er ihn wegbläst."
    Vom Mischpult aus werden die Musiker auf den Dächern sozusagen dirigiert, via digitales Metronom. Stephan Katte und seine Musikerkollegen tragen Kopfhörer.
    "Wir haben auf den Dächern ja die Herausforderung, dass wir uns gegenseitig nicht mehr hören. Deswegen gibt es ein computergesteuertes Zählsystem, was wir dann über den Kopfhörer empfangen. Das ist sogar so gesteuert, dass wer weiter weg steht, den Klick ein bisschen früher kriegt und wer näher dran ist, den Klick ein bisschen später kriegt, das ist ganz genau austariert und ausgerechnet."
    Abwechslungsreiche Musik vom Hochhaus
    Auf 35 Minuten hat Markus Lehmann-Horn sein Werk angelegt. Eingeteilt ist es in mehrere Sinnabschnitte oder Sätze, ähnlich wie in einer klassischen Sinfonie.
    "Das Stück hat verschiedene, sehr unterschiedlich dramatische Momente. Weil mich auch sehr die Situation in unserer Gesellschaft beschäftigt: Eine sehr lange sehr freie Gesellschaft, in der sich wieder reaktionäre Kräfte zu Wort melden."
    Düster und schwer sind die ersten Klänge, die sich über dem Parkdeck ausbreiten. Das akustische Bild erinnert an Szenen aus einem Horrorfilm. Eine Dystopie, die bei sensiblen Gemütern durchaus flaue Gefühle hervorrufen kann. Die Klänge der Alphornbläser schichten sich auf und übereinander, ein permanentes Echo des Grauens. Schließlich mündet die graubraune Klangwolke in eine Melodie: Das "Horst-Wesssel-Lied"
    Nach diesem Rückblick auf das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte lichten sich die Klangwolken über dem Parkdeck allmählich, ein freundlicherer Grundton wird spürbar. An den Gesichtern der Zuhörer lässt sich diese Entspannung auf frappierende Weise ablesen.
    Und auch dieser musikalische Sinn-Abschnitt mündet in ein Melodiezitat: "Freude, schöner Götterfunken" aus Beethovens Neunter Sinfonie. Man könnte vermuten, dass der musikalische "Himmel über Prohlis" am Ende blau und sonnenbeschienen ist, so wie es der reale bei der Uraufführung am Samstag tatsächlich war. Doch Markus Lehmann-Horn beendet das Werk nicht in plakativem Dur. Es bleibt klanglich ein leichter, aber doch wahrnehmbarer grauer Schatten. Ein durchaus realistisches Abbild der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation in Deutschland. Mag der Schatten nun für rechtspopulistische Tendenzen stehen oder für die derzeitige Corona-Situation, das blieb dem Kopfkino der Zuhörer überlassen.