Es sei eine großartige Entwicklung, dass nach einem halben Jahr schon 160 Impfstoff-Kandidaten da seien, sagt der Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner im Dlf. Das hätte man angesichts der großen ökonomischen Unsicherheiten bei der Forschung nicht erwartet, denn kein Unternehmen wisse, ob wirklich am Ende ein Wirkstoff dabei rauskommt. Aber es sei natürlich auch eine riesige Nachfrage zu erwarten. "Jedes Land der Erde will und braucht einen Impfstoff, um zur Normalität zurückzukehren. Und es ist aus Sicht der Unternehmen zu erwarten, dass dort beim Preis nach oben verhandelt werden kann", so Greiner.
Es zeige sich aber auch, "dass marktwirtschaftliche Systeme nicht immer zu einem gesellschaftlich optimalen Ergebnis führen." Das sehe man nun, wo die Impfstoffe von einigen Staaten aufgekauft oder anders gesichert werden, "obwohl er noch nicht einmal da ist." Eine solche Verteilung rein nach Zahlungsfähigkeit, könne nicht dazu führen, dass die Pandemie weltweit optimal bekämpft werden könne - und zwar weder "medizinisch aber auch nicht wirtschaftlich, weil eine solch nationale Strategie die weltweite Verflechtung nicht berücksichtigt."
Es braucht Modelle für die Impfstoff-Verteilung
Beim Impfstoff ginge es ganz klar auch um "Prestige und politische Vorherrschaft." Die Staaten versprächen sich mit einem Impfstoff schnell aus der Krise zu kommen. Das sei aber etwas kurz gedacht. Einem Land wie Deutschland fehlten dann Absatzmärkte, "wenn wir nicht darauf achten, dass die Pandemie weltweit bekämpft wird."
Von der Produktionsseite werde es nicht möglich sein, die ganze Welt oder ein ganzes Land auf einen Schlag mit einem Impfstoff zu versorgen. "Dann müssen Risikogruppen, ab er auch medizinisches Personal am Anfang bevorzugt werden, vielleicht auch bestimmte Träger von Verantwortung." Jetzt habe man die Zeit, sich diese Fragen zu stellen. "Es sollten jetzt solche Modelle aufgestellt werden, auch wenn Datenlage noch nicht perfekt ist."
Jürgen Zurheide: Herr Greiner, zunächst einmal die Produktion. Da wissen alle, das kostet furchtbar viel Geld und das ist unsicher. Die Unternehmen machen das natürlich, weil sie Aussicht auf große Gewinne haben. Was sagt der Ökonom zu diesen Entwicklungen?
Wolfgang Greiner: Ja, erst mal ist das natürlich eine großartige Entwicklung, dass nach einem halben Jahr schon 160 Kandidaten da sind. Das hätte man vielleicht, gerade angesichts der Unsicherheit, über die Sie eben sprachen, also kein Unternehmen weiß am Ende, ob wirklich ein Wirkstoff dabei rauskommt, das hätte man vielleicht so nicht erwartet, aber es ist natürlich auch eine riesige Nachfrage zu erwarten, jedes Land der Erde will und braucht einen solchen Impfstoff, um zur Normalität zurückzukehren. Und es ist natürlich auch aus Sicht der Unternehmen zu erwarten, dass dort beim Preis durchaus nach oben verhandelt werden kann, weil eben der Nutzen durch die desaströsen Auswirkungen des Virus so hoch ist. Aber andererseits zeigt sich eben auch, dass marktwirtschaftliche Systeme nicht immer zu einem gesellschaftlich optimalen Ergebnis führen. Das sehen wir jetzt, wo die Impfstoffe von einigen Staaten – zum Beispiel die USA, aber auch Deutschland und anderen europäischen Staaten – aufgekauft werden, obwohl sie noch gar nicht da sind. Und eine solche Verteilung rein nach Zahlungsfähigkeit, also wer am besten, am meisten bieten kann, die kann einfach nicht dazu führen, dass die Pandemie weltweit optimal bekämpft werden kann – und zwar weder medizinisch, weil wir eben nicht die maximale Anzahl von Erkrankungen verhindern können, aber eben auch nicht wirtschaftlich, weil eine solche rein nationale Strategie die weltwirtschaftlichen Verflechtungen natürlich nicht berücksichtigt.
Bei der Impfstoff-Beschaffung geht es "um Prestige und um politische Vorherrschaft"
Zurheide: Wir werden gleich über die Verteilung reden, ich will aber zunächst bei der Produktion bleiben. Wir sehen ja, dass die Staaten mit viel Geld reingehen, sich zum Teil direkt an Unternehmen beteiligen. Was sagt der Ökonom dazu?
Greiner: Ja, Deutschland ist hier ja ein gutes Beispiel, das Unternehmen Curevac, da werden wir nun 21 Prozent als Deutschland mit dabei haben. Und man fragt sich, warum das eigentlich der Fall sein muss. Es war ja die Frage, ob es von außen aufgekauft wird, dazu gab es andere Instrumente, die man hätte anwenden können, um das zu verhindern. Es ist auch die Frage, ob man sich so die Impfstoffe für Deutschland dann entsprechend sichern kann, auch das geht, über Verträge auch auf andere Art und Weise. Es schafft hier wirtschaftliche Ungleichheiten und auch am Markt eine Unfairness, weil andere Unternehmen davon natürlich nicht profitieren können. Insgesamt zeigt es sich, dass hier insgesamt für den Pharmamarkt ein sehr hohes wirtschaftliches Geschehen da ist, das ist erst mal zu begrüßen, aber eben nicht in dieser Weise, wie die Staaten darauf reagieren.
Zurheide: Auf der anderen Seite steht natürlich die Sorge im Raum, weil es alle machen, müssen wir mitmachen oder wir fallen hinten rüber, denn der Impfstoff ist auch ein geopolitischer Machtfaktor. Vermischen sich da verschiedene Dinge?
Greiner: Absolut. Es ist nicht mehr nur eine naturwissenschaftliche oder auch nicht mehr nur eine wirtschaftliche Frage, es geht hier ganz klar um Prestige und um politische Vorherrschaft, denn diejenigen Staaten, die hier zuerst am Start sein werden mit einem Impfstoff, versprechen sich davon, dass sie natürlich auch besser aus der Krise kommen, aber ich glaube, das ist zu kurzfristig gedacht, weil sie vergessen, dass sie natürlich auch in anderen Staaten Vorprodukte einkaufen, dass sie dort Importe auch machen müssen, die sie brauchen für die eigene Produktion, dass dann für ein Land wie Deutschland mit einem starken Export natürlich auch Absatzmärkte fehlen, wenn wir bei anderen Staaten nicht auch darauf achten, dass die Pandemie hier weltweit bekämpft wird. Weil wenn die Pandemie ungebremst fortgeführt wird in anderen Staaten, dann wird es natürlich auch in Deutschland nicht anders sein, weil das Virus wird ja nicht komplett verschwinden, selbst wenn wir eine effektive Impfung zur Verfügung hätten als Erste.
"Verhandlungsposition wäre international oder multinational eine viel besser"
Zurheide: Jetzt kommen wir zur Verteilungsfrage, Sie haben gerade schon gesagt, eigentlich bringt das nichts, wenn man das nur national sieht. Dann kommt man jetzt zu der spannenden Frage, weil zunächst wird Knappheit herrschen: Erstens, was heißt das für den Preis, es sei denn, der Staat ist jetzt schon in Unternehmen drin, kann er da mäßigend auf den Preis einwirken oder was müsste auf der anderen Seite passieren, dass die Preise nicht durch die Decke schießen bei demjenigen, der möglicherweise als Erster da ist.
Greiner: Auch die Preisfindung ist ein gutes Beispiel, dass man eigentlich international oder multinational eine viel bessere Position hätte. Die EU hat das so langsam erkannt und geht jetzt von nationalen Strategien über zu einer europaweiten Strategie, jetzt zurzeit sogar noch zusammen mit Großbritannien. Das ist der wesentlich effektivere Weg auf der Nachfrageseite, wenn man sich nicht von eventuell sehr wenigen Anbietern, vielleicht sogar nur einem einzelnen, völlig in einem Monopol ergeben will und über den Tisch ziehen lassen will. Der Schaden ist so groß, dass man im Grunde fast jeden absurden Preis aufrufen könnte, der würde sich immer noch rechnen, weil wenn es eine effektive Impfung gäbe, dann wäre das immer noch zu vertreten. Aber das wollen wir natürlich nicht, und ich glaube auch nicht, dass hier die Bäume komplett in den Himmel wachsen, weil das ja alles namhafte Unternehmen sind, die auch danach noch Geschäfte machen wollen in diesem Ländern. Aber wie gesagt, auch das ginge international wesentlich besser. Die Preise werden natürlich auch sonst stark davon abhängen, wie effektiv sie sind, das wissen wir noch nicht, ein hundertprozentiger Schutz ist nicht zu erwarten. Und auch die Verträglichkeit, das muss man abwarten, inwieweit da zum Beispiel Verstärker mit dazukommen, die dann eventuell dazu führen können, dass es hier auch zu Reaktionen kommt, die man nicht möchte.
"Nicht möglich mit einem Schlag die gesamte Bevölkerung zu impfen"
Zurheide: Das war jetzt die Verteilung zwischen den Staaten. Als letzte Frage, mit Blick auf die schlechte Qualität will ich das ein bisschen abkürzen: Was heißt das denn für Menschen, es können ja nicht am Anfang direkt alle geimpft werden, also müsste man sich auf Risikogruppen konzentrieren. Wer kann und darf und muss diese Entscheidung treffen? Ist das auch wieder der Staat, der da eine starke Rolle hat?
Greiner: Das wird so sein müssen, das haben wir auch in anderen Bereichen, dass wenn medizinische Güter so knapp sind, dass dann die Instrumente der Marktwirtschaft natürlich nicht wirken können. Wir haben aber dazu auch Kosten-Nutzen-Analysen gemacht, die im Grunde herausfinden sollen, welche Gruppen davon besonders profitieren würden, und dann eine Impfempfehlung abzugeben. Das ist also kein ganz neues Feld für den Staat, aber auch die Wissenschaft, hier solche Modelle aufzubauen, die uns dann Auskunft darüber geben können, welche Gruppen am Anfang besonders geimpft werden sollten. Sie haben sicherlich recht, natürlich wird es für die Produktionsweise es nicht möglich sein, mit einem Schlag die gesamte Bevölkerung eines Landes oder sogar weltweit entsprechend zu versorgen. Und dann müssen zum Beispiel Risikogruppen, aber auch medizinisches Personal am Anfang bevorzugt werden, vielleicht auch bestimmte Verantwortungsträger. Aber das sind alles Dinge, die sich herausstellen, wenn man die Daten zusammenführt und dann die Modell prüft, wie man zu einer möglichst guten Abdeckung kommt, wie die Pandemie effektiv bekämpft werden kann.
Zurheide: Auf der anderen Seite, da muss man sich ja jetzt langsam Gedenken drüber machen, auch wenn ich vorhin gesagt habe, wir haben nicht morgen oder übermorgen einen Impfstoff. Aber diese Gedanken muss man sich ja machen, bevor man den Impfstoff hat.
Greiner: Ja, absolut. Wir hätten jetzt die Zeit, das ist das Gute. Im März und April konnten wir uns nicht darauf einstellen, das ist für mich auch einer der Gründe, warum internationale Absprachen schlecht geklappt haben und alle die Grenzen zugemacht haben. Jetzt haben wir die Chance bis nächstes Jahr, vielleicht Mitte nächsten Jahres, vorzubereiten, was wir eigentlich machen in der Anfangsphase, wenn noch nicht so viele Impfdosen vorliegen, wie machen wir das international, aber auch national. Dazu sollten jetzt schon solche Modelle aufgestellt werden, auch wenn die Datenlage noch nicht perfekt ist, aber wir lernen jeden Tag. Und ich denke, das ist auch eine Aufgabe, der sich das Robert-Koch-Institut widmen wird.
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