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Corona-Pandemie in Polen
Kohlebergwerke als Infektionsherd

Während in Polen strikte Corona-Maßnahmen galten, haben polnische Bergbauer weiter in Stollen gearbeitet. Schlesische Kohlebergwerke wurden so zum Infektionsherd für das Corona-Virus. Die Regierung in Warschau steht nun in der Kritik: Sie hätte zu spät gehandelt – und die Lage unterschätzt.

Von Florian Kellermann |
Kommentare über ihre angeblich zu laxe Einstellung sind für die Bergleute unangenehm. Nun fürchten sie auch um ihre Arbeitsplätze.
Kommentare über ihre angeblich zu laxe Einstellung sind für die Bergleute unangenehm. Nun fürchten sie auch um ihre Arbeitsplätze. (picture-alliance / dpa / Koszowski)
Der polnische Staatspräsident Andrzej Duda hatte Anfang der Woche keinen leichten Termin: Er reiste er nach Gleiwitz in Oberschlesien. So wollte er seine Solidarität mit der Region demonstrieren, die in Polen am stärksten vom Coronavirus betroffen ist. Im örtlichen öffentlichen Radio sagte Duda:
"Wir stehen an der Seite von Schlesien, wir sind die ganze Zeit in Gedanken hier. Ihr schafft das! Die Menschen hier sollen wissen: Ich komme nicht nur in guten, sondern auch in schlechten Zeiten, wenn viele Menschen Angst haben, hierher zu kommen."
Die gemeldeten Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Polen blieben in den vergangenen Tagen und Wochen konstant – ganz im Gegensatz zu den meisten Nachbarländern, wo sie kontinuierlich abnahmen. Inzwischen gibt es in Polen ebenso viele aktiv Infizierte wie in Deutschland. Das liegt am Regierungsbezirk Schlesien, der vor allem die historische Region Oberschlesien umfasst. Gestern meldeten die Behörden hier 187 neue Fälle, fast 80 Prozent aller neuen Fälle in ganz Polen.
In der Region Schlesien steigen die Infektionsfälle
Bei den Infektionsherden handelt es sich um die Kohlebergwerke der Region. Die Bergleute konnten trotz Corona-Einschränkungen weiter in den bis zu über 1000 Meter tiefen Stollen arbeiten – dicht an dicht. Ideale Voraussetzungen für das Virus, sagt die Virologin Krystyna Bienkowska-Szewczyk von der Universität Danzig:
"Am gefährlichsten sind schlecht gelüftete, feuchte Innenräume, wo sich viele Menschen drängen. Die Aufzüge, die Bergleute unter Tage transportieren, gehören da ganz offensichtlich dazu. Dort sollte so viel wie möglich getestet werden, um die Verbreitung des Virus zu kontrollieren."
Aber genau das sei lange Zeit nicht passiert, sagen Kritiker der Regierung. Die Laborkapazitäten in der Region seien nicht ausreichend gewesen und nur sehr allmählich ausgebaut worden.
Während es den Polen verboten war, selbst Parks oder Wälder zu betreten, fuhren die Bergleute weiterhin ungetestet unter Tage. Zumindest diejenigen, die keine Symptome aufwiesen.
Warschau weist Kritik zurück
Die Verantwortlichen in Warschau hätten die Gefahr unterschätzt, meint Jerzy Gosielik. Er ist Kunsthistoriker an der Universität in Kattowitz und Vorsitzender der regierungskritischen Vereinigung "Bewegung für die Autonomie Schlesiens":
"Statt sich zu entschuldigen, haben Vertreter der Regierung die Verantwortung bei den Schlesiern gesucht. Da hieß es, wir seien eben sehr gesellig und träfen uns gerne. Wohl, weil wir nach der Arbeit gerne gemeinsam ein Bier trinken gehen. Unsere Sorglosigkeit sei das Problem. Es ist kein Wunder, dass das bei den Menschen hier nicht besonders gut angekommen ist, milde ausgedrückt."
Der Besuch von Präsident Duda sei also der Versuch gewesen, den Image-Schaden zu begrenzen, meint Gosielik. Schließlich steht in wenigen Wochen eine Präsidentschaftswahl an. Und die Umfragewerte von Duda, der noch vor kurzem wie der sichere Sieger aussah, zeigen deutlich nach unten.
Kommentare über ihre angeblich zu laxe Einstellung sind für die Bergleute unangenehm. Noch weit belastender ist für sie aber die Sorge um ihre Arbeitsplätze. Die polnische Wirtschaft leidet unter den Corona-Maßnahmen. Deshalb sinkt der Energieverbrauch und damit die Nachfrage nach Kohle. Der Preis pro tonne fiel um 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ein schwerer Schlag für die polnischen Bergwerke, Der Regierungskritiker Jerzy Gosielik:
Kumpel bangen um ihre Arbeitsplätze
"Schon seit Jahrzehnten gibt es die Diskussion, wie es mit dem Bergbau in Schlesien weitergehen soll. Nun infizieren sich viele Bergleute, unsere Förderung geht zurück, und gleichzeitig importieren wir weiterhin billige Kohle aus dem Ausland. Da befürchten manche, die Regierung könnte die Situation als Vorwand nutzen, um Bergwerke ganz zu schließen."
Eine Theorie, die in sozialen Netzwerken die Runde macht, die aber von der Regierung vehement zurückgewiesen wird. Vielmehr erstelle sie bis Ende Juni einen Sanierungsplan für den schlesischen Bergbau, erklärte der Minister für Staatsbeteiligungen Jacek Sasin.
Zunächst allerdings müssen die Verantwortlichen das dringendste Problem in den Griff bekommen: die Corona-Infektionen unter den Bergleuten.
Minister Sasin wird daran erst einmal nur von zu Hause aus mitarbeiten können. Er befindet sich seit gestern selbst in Quarantäne. Wie sich im Nachhinein herausstellte, hatte er Kontakt zu einem infizierten Bergarbeiter.