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Corona-Pandemie
Kubicki: Offene Debatte über Maßnahmen ist wichtig

Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki hält einen weiteren Lockdown in der aktuellen Lage für unwahrscheinlich. Es sei aber wichtig, weiter offen über die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu debattieren. Dadurch entziehe man Verschwörungstheoretikern den Boden für ihre Theorien.

Wolfgang Kubicki im Gespräch mit Christoph Heinemann |
Der FDP-Politiker und Partei-Vize Wolfgang Kubicki
Der FDP-Politiker und Partei-Vize Wolfgang Kubicki sprach sich im Dlf für eine offene Diskussion über die Corona-Maßnahmen und gegen deren Vereinheitlichung aus (dpa-Bildfunk / Frank Molter)
Wolfgang Kubicki, Vizepräsident des Deutschen Bundestages, glaubt nicht an einen weiteren Lockdown während der Corona-Pandemie. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte zuletzt die weitreichenden Beschränkungen im Frühjahr verteidigt. Manche Entscheidungen erschienen im Nachhinein allerdings nicht mehr so gerechtfertigt, wie zu dem Zeitpunkt, als man sie getroffen habe. Kubicki sagte dazu: "Ich finde es sehr mutig von Jens Spahn, dass er selbst offen und mutig diese Diskussion anstößt. Je offener wir darüber debattieren, welche Maßnahmen richtig und welche falsch sind, desto mehr entziehen wir Verschwörungstheoretikern den Boden für ihre Theorien." Kubicki sprach sich jedoch gegen eine "Vereinheitlichung der Maßnahmen" aus. Die regionale Bekämpfung des Virus sei "ein besonderes Gut, auf das wir uns viel zugutehalten können".
"Masken Weg!" steht auf dem "Mundschutz" eines Teilnehmers einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen.
Soziologe Nassehi: "Die Maske ist eine Zivilisierungsübung"
Die Maske sorge für Distanz und ermögliche darüber Nähe, sagte der Soziologe Armin Nassehi im Dlf. Damit symbolisiere sie im Grunde alltägliches Verhalten im Zusammenleben großer Gruppen.
Kritik an Russland
Kubicki kritisierte im Dlf außerdem den versuchten Giftmord auf den Kreml-Kritiker Nawalny scharf. Der Kreml mache es jenen Menschen in Deutschland nicht leicht, die zu einem vernünftigen Verhältnis zu Russland zurückkehren wollten. Die russischen Behörden müssten selbst ein Interesse daran haben, die Angelegenheit aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. "Ich möchte mit Regierungsvertretern, die möglicherweise für ein Verbrechen verantwortlich sind, künftig keine Gespräche mehr führen. Sollte sich der Verdacht bewahrheiten, "dann muss es auch weitere Sanktionen geben", fordert Kubicki.

Heinemann: Herr Kubicki, wo sind die Fakten, fragt man in Moskau. Wir haben Marija Sacharowa gehört. Was antworten Sie?
Kubicki: Ich halte das für eine völlig unangemessene Reaktion auf die Feststellung, dass Herr Nawalny offensichtlich (und die deutschen Behörden lügen ja nicht) mit einem Nervengift vergiftet worden ist. Ich gehöre zu denjenigen, die zu einem ausgeglichenen Verhältnis zu Russland raten. Der Kreml macht es momentan den Menschen, die in Deutschland zu einem vernünftigen Verhältnis zu Russland zurückkehren wollen, nicht leicht. Deshalb geht mein Appell auch an meine russischen Kollegen in der Staatsduma, alles dafür zu tun, dass die Sache aufgeklärt wird, dass die Russen sich endlich mal dazu bekennen, Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen, um diejenigen dingfest zu machen, die für diese Vergiftung verantwortlich sind.
"Es ist ein Verbrechen"
Heinemann: Glauben Sie, dass dieser Appell gehört wird?
Kubicki: Ich hoffe das, denn wir haben ein Interesse daran, dass es ein vernünftiges Verhältnis zwischen Deutschland und Russland gibt. Aber bei aller Freundschaft, die wir in der Vergangenheit ausgetauscht haben, es ist ein Verbrechen. Das hat die Bundeskanzlerin zurecht gesagt. Ein Verbrechen, Herrn Nawalny zu vergiften. Und die russischen Behörden müssen selbst ein Interesse daran haben, dass die Sache aufgeklärt wird und dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Denn ansonsten wird das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland erheblich belastet bleiben.
Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawaln 
"Der einzige Oppositionelle, der dem Putin-Regime die Stirn bietet"
Mit seinen Enthüllungsberichten über Korruption und Machtmissbrauch habe sich Kreml-Kritiker Alexej Nawalny in Russland ungemeine Anerkennung in der Gesellschaft eingebracht, sagte Manfred Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift "Osteuropa", im Dlf.
Heinemann: Glauben Sie tatsächlich, dass jemand in Moskau sagen würde, stimmt, wir waren es?
Kubicki: Es kommt gar nicht darauf an, ob ich das glaube oder nicht glaube. Unser Verhältnis wie gesagt wird extrem belastet werden, wenn die russischen Behörden sich weiter so verhalten, wie von Ihnen gerade beschrieben, dass geleugnet wird, abgestritten wird, dass Deutschland verantwortlich gemacht wird für eine eigentliche Medienkampagne. Entscheidend ist, Herr Nawalny ist vergiftet. Das ist ein Verbrechen und jeder Staat, der für sich in Anspruch nimmt, dass er ernst genommen werden will, dass man mit ihm redet, muss ein Interesse daran haben, dass das aufgeklärt und verfolgt wird. Denn ansonsten haben wir Schwierigkeiten, miteinander künftig weiter zu reden. Ich möchte mit Regierungsvertretern, die möglicherweise für ein Verbrechen verantwortlich sind, künftig keine Gespräche mehr führen.
"Mit Verbrechern redet man und paktiert man nicht"
Heinemann: Herr Kubicki, was wäre eine angemessene gemeinsame Reaktion, an der Angela Merkel jetzt arbeitet?
Kubicki: Da ich nicht glauben will bisher, dass Wladimir Putin oder wirklich die Regierung hinter diesem Anschlag steckt, sondern Kräfte …
Heinemann: Sie bezweifeln das noch?
Kubicki: Da ich nicht glauben will, sondern es gibt ja Kräfte auch in der russischen Administration, die teilweise ein Eigenleben führen, sage ich noch einmal und ich hoffe, dass es gehört wird: Die russischen Stellen, die Regierung und Wladimir Putin selbst müssen ein Interesse daran haben, dass dieser Fall aufgeklärt wird und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Ansonsten wird es schwer sein, in den nächsten Wochen und Monaten noch vernünftige Gespräche zu führen. Selbst die gutmeinensten in Deutschland, und dazu gehöre ich, die wie gesagt ein vernünftiges Verhältnis zu Russland wollen, können dann nicht mehr dafür eintreten, denn mit Verbrechern redet man und paktiert man nicht.
Heinemann: Das heißt, Herr Kubicki, Sie schließen nicht aus, dass russische Behörden am Kreml vorbei diese Vergiftung vorgenommen haben?
Kubicki: Das kann ich nicht ausschließen und wie gesagt, meine Hoffnung geht noch dahin, dass Putin selbst dokumentieren wird, dass es nicht auf sein Geheiß geschehen ist, nicht unter seiner Ägide geschehen ist. Sollte es anders sein, sollten wir keine vernünftigen Erklärungen aus Russland bekommen, werden wir die nächsten Wochen, Monate und Jahre eine Eiszeit zwischen Deutschland und Russland erleben.
"Wirtschaftssanktionen: Das einzige, worauf Staatspräsidenten und Regierungen reagieren"
Heinemann: Sie haben Sanktionen gegen Russland in Frage gestellt. Bleiben Sie dabei?
Kubicki: Sollte sich herausstellen im Ergebnis, dass der Kreml selbst, der Staatspräsident und die Regierung mitverantwortlich ist für einen Anschlag auf einen Menschen mit Gift, dann wird es schwierig sein zu erklären, dass wir bei einem vernünftigen Verhältnis bleiben. Dann muss es auch weitere Sanktionen gegenüber dem Kreml, gegenüber Putin und gegenüber Teilen der Regierung geben – definitiv.
Heinemann: Welche?
Kubicki: Wirtschaftssanktionen. Das einzige, worauf Staatspräsidenten und Regierungen reagieren, ist die Beeinträchtigung der eigenen wirtschaftlichen Basis, weil die Menschen in dem Land dann selbst erkennen, dass ihre eigene Führung dafür verantwortlich ist, dass das Wohlstandsniveau absinkt, und das muss dann auch jeweils öffentlich dokumentiert werden.
Heinemann: Gehört Nord Stream zwei auf Eis?
Kubicki: Ich bin skeptisch, dass wir in der jetzigen Phase unserer Erkenntnisse ein Projekt dieser Größenordnung in Frage stellen sollen. Die Kanzlerin selbst hat noch vor einigen Tagen gesagt, es ist wichtig, dass das Projekt fertiggestellt wird, und sie setzt sich massiv dafür ein. Aber im Ergebnis kann es auch bedeuten, dass Nord Stream zwei nicht zu Ende gebaut wird, dass wir kein russisches Gas entgegennehmen, wenn wir es mit einem verbrecherischen Regime zu tun haben.
"Zusammenarbeit der russischen Behörden mit der deutschen Staatsanwaltschaft"
Heinemann: Sie haben eben gesagt, sollte sich herausstellen. Wie stellen Sie sich dieses Herausstellen vor, wenn aus Moskau ein entsprechendes Eingeständnis fehlen würde?
Kubicki: Wie gesagt, wir erwarten jetzt zunächst erst mal Aufklärung der russischen Behörden. Ich bin nach wie vor …
Heinemann: Herr Kubicki! Das hat doch nie geklappt. Das hat doch bisher nie geklappt in vergleichbaren Fällen. Da ist überhaupt gar nicht zugearbeitet worden. Wie stellen Sie sich jetzt diese Aufklärung vor?
Kubicki: Eine wirkliche Zusammenarbeit der russischen Behörden mit der deutschen Staatsanwaltschaft, dem Generalbundesanwalt. Wenn wir von vornherein davon ausgehen, dass es so was nicht gibt, dann können wir alle Gespräche mit unseren russischen Partnern einstellen und sofort dazu übergehen, Sanktionen auszusprechen. Aber noch einmal: Ich glaube nach wie vor daran, dass es möglich sein wird, diesen Vorgang aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Ich bin, wie Sie auch richtigerweise andeuten, skeptisch, aber nicht endgültig auf der Schiene, dass ich sage, das wäre unmöglich.
Heinemann: Worin unterscheidet sich in den Methoden Putin in Moskau von Assad in Syrien?
Kubicki: Ich würde jetzt nicht Vergleiche ziehen, die ich für unzulässig halte. Wir sind nach wie vor im Gespräch mit der russischen Regierung. Wir haben nach wie vor sehr offene Kanäle. Wir haben nach wie vor eine Kommunikation zwischen unserer Regierung und der russischen Regierung, anders als mit der Assad-Regierung. Unser Appell geht doch dahin, da wir ja nach wie vor wollen, dass Russland ein Zimmer im Haus Europa bezieht, dass die russische Seite selbst ein Interesse daran haben muss, vor aller Welt nicht als verbrecherisches Regime dazustehen. Und deshalb noch einmal: Mein Appell heute geht auch an die russische Seite, auch an meine Kollegen aus der Staatsduma. Ich werde das auch noch mal schriftlich dokumentieren gegenüber meinen Gesprächspartnern dort, aufzuklären. Wenn diese Aufklärung verhindert wird, haben wir eine neue, und zwar richtige Eiszeit zwischen Deutschland und Russland.
Verschwörungstheoretikern den Boden für ihre Theorien entziehen
Heinemann: Herr Kubicki, wir wollten heute ursprünglich sprechen über, wie die "Bild"-Zeitung formulierte, "Die Corona-Beichte des Bundesgesundheitsministers", mit dem Wissen von heute hätten Einzelhandelsgeschäfte, Friseursalons oder auch Pflegeeinrichtungen nicht schließen müssen. Das sagte Jens Spahn und der schließt auch aus, dass es noch einmal zu einem allgemeinen Stillstand kommen werde. Kann die Politik dieses Versprechen halten?
Kubicki: Auch das ist eine Frage in die Zukunft, die ich nicht wirklich beantworten kann. Es hängt entscheidend davon ab, nicht nur wie das Infektionsgeschehen ist, sondern wie die Mortalitätsraten, die Todesraten sind und wie viele Leute in Krankenhäuser eingeliefert werden müssen. Aber unser Wissensstand von heute legt es nahe, dass wir einen weiteren Lockdown nicht befürchten müssen. Und ich finde es sehr mutig von Jens Spahn, dass er selbst offen diese Diskussion anstößt, denn je offener wir darüber debattieren, welche Maßnahmen richtig und welche Maßnahmen falsch sind, welche Maßnahmen übertrieben sind, desto mehr entziehen wir Verschwörungstheoretikern den Boden für ihre Theorien. Ich glaube, dass die Demokratie und der Parlamentarismus dokumentieren kann, dass alle Sorgen, Nöte, Bedenken offen erörtert werden können, um dann zu einer Entscheidung zu kommen, die wirklich von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung getragen werden können, selbst wenn das persönliche Einschränkungen bedeutet.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Heinemann: Christian Lindner hat gesagt, die Krise sei verwaltet und nicht gestaltet worden. Was hätte die FDP im Frühjahr anders entschieden?
Kubicki: Wir haben im Frühjahr erst mal gemeinsam mit allen anderen Beteiligten im Deutschen Bundestag das Infektionsschutzgesetz geändert, am 24. März diesen Jahres, weil wir alle keine genauen Kenntnisse hatten über das Virus, seine Gefährlichkeit und seine Verbreitungsmöglichkeiten.
Regionale Bekämpfung des Virus
Heinemann: Hat Herr Lindner den Mund etwas voll genommen?
Kubicki: Nein! Wir hätten beispielsweise, wie wir das auch schon seit Mitte April gemacht haben, erklärt, dass die Verwaltung das eine ist, bundesweit, dass aber die konzentrierte Bekämpfung mit bestimmten Maßnahmen das andere ist. Beispielsweise, um das mal zu sagen, macht es keinen Sinn, in Schleswig-Holstein die Schulen zu schließen oder in Mecklenburg-Vorpommern, wenn in Rosenheim in Bayern ein Hotspot neu entsteht.
Die regionale Bekämpfung des Virus, die Eindämmung der Verbreitung ist ein besonderes Gut, auf das wir uns viel zugutehalten können. Diese dauernde Forderung nach Vereinheitlichung lenkt eigentlich ab von den wesentlichen Tatsachen, die eine Grundlage für grundrechtseinschränkende Maßnahmen sein können. Es gibt hier mittlerweile drei Dutzend Entscheidungen von Gerichten, Obergerichten und Verfassungsgerichten, die Maßnahmen der Regierungen, der Länder und des Bundes für rechtswidrig erklärt haben. Auch das müssen wir ja zur Kenntnis nehmen. Wir hätten beispielsweise – das ist ja bei uns auch ein Teil des Programms gewesen – erklärt, dass man in Senioren- und Altenpflegeheimen zunächst erst mal die Mitarbeiter mit entsprechenden Schutzmasken und Schutzkleidung ausstatten muss und dass man vielleicht mit FFP-II-Masken, die an die Bewohner ausgeteilt worden wären und an die Besucher, hätte verhindern können, dass es über Wochen hinweg zu einer Kontaktsperre kommen kann, was viele Menschen nicht nur in die Vereinsamung getrieben hat, sondern in die Verzweiflung, weil ältere Menschen, die geschützt werden sollen, immer noch ein Recht darauf haben, selbst zu entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten wollen. Dieses Vorgreifliche der Bundesregierung war für viele ein Ärgernis, für mich übrigens persönlich auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.