Es sind vor allem die großen Einrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte, in denen sich Beschäftigte und Untergebrachte immer wieder mit dem Coronavirus infizieren – und gerade in Pflege- und Altenheimen verläuft eine Infektion tendenziell eher schwer und sogar tödlich. Nur: Warum gelingt es noch immer nicht, gerade die Alten und Schwachen zu schützen?
"Es reicht eben nicht immer, nur an die Verantwortung der Einzelnen zu appellieren", betonte der Pflegewissenschaftler von der Universität Bremen im Dlf. Es müsse auch eine vom Staat organisierte Prävention in diesen Institutionen angeboten werden. Das sei auch eine Führsorgepflicht gegenüber den Älteren. So fordert er häufigere Corona-Tests sowohl von Mitarbeitern, Bewohnen und Besuchern. Das könne nur teilweise durch Schnelltests geschehen, man brauche auch PCR-Ergebnisse.
Mangel an Ressourcen ein Dauerzustand in Pflegeheimen
Mehr Priorität auf Alten- und Pflegeheime brauche es aber nicht nur in der Krise. Die Krise zeige den Mangel an Personal an Ressourcen sehr deutlich, doch dieser sei ein Dauerzustand. Immerhin fehle es im Gegensatz zum Beginn der Corona-Pandemie kaum noch an Schutzausrüstung.
Das vollständige Interview im Wortlaut:
Sina Fröhndrich: Warum trifft es jetzt wieder die Pflegeheime?
Gerd Glaeske: Das ist ein großes Problem, was wir sehen, weil die Hotspots tatsächlich sozusagen von den Alten- und Pflegeheimen gar nicht weggekommen sind. Wir haben natürlich immer ganz bestimmte Situationen in Pflegeheimen und Altenheimen gesehen – Wolfsburg steht ja sozusagen für ein großes Problem, Bremen stand auch für ein großes Problem –, weil es natürlich immer auch gemangelt hat an Ausrüstung, an Schutzmöglichkeiten. Es hat auch gemangelt daran, ist genügend Pflegepersonal da – Überlastung führt natürlich dann auch dazu, dass man möglicherweise zu schnell agiert und sich zu wenig schützt.
Das war eigentlich der Anlass dafür, dass wir noch einmal angemahnt haben, auch bei Regierungsstellen und letzten Endes auch die Regierung selber, dass man gerade diese Hotspots, also gerade die Altenheime, die Pflegeheime, aber auch Rehabilitationseinrichtungen, die aus unserer Sicht völlig vernachlässigt worden sind, viel stärker in den Blickpunkt nimmt. Weil wir immer Institutionen im Mittelpunkt sehen, die tatsächlich auch viele Menschen beherbergen, viele Menschen behandeln, aber wo die Ausrüstung, der Schutz sozusagen dieser Menschen und derer, die dort arbeiten, und derer, die dort wohnen und behandelt werden, nicht ausreichend ist.
"Zumindest zweimal in der Woche sollte getestet werden"
Fröhndrich: Das heißt, es ist tatsächlich noch so, dass es Heime gibt, in denen die Beschäftigten immer noch nicht ausreichend eine Schutzausrüstung haben, Schutzkleidung, ist das so?
Glaeske: Es gibt unterschiedliche Defizite. Mit der Schutzkleidung, mit der Ausrüstung, das hat sich, glaube ich, verbessert, aber was wir meinen, ist zum Beispiel, dass wir ja auch gerade bei den Alten- und Pflegeheimen die Diskussion darüber hatten, wie es eigentlich mit den Besuchsregelungen, wie ist es mit den Regelungen der Infizierten, die dann möglichst nicht in denselben Räumlichkeiten sein sollten wie die Nichtinfizierten. Haben wir getrennte Wege zu Speiseräumen, zu Gemeinschaftsräumen, und haben wir vor allen Dingen konkrete Maßnahmen, die auch die Testungen berücksichtigen?
Wir haben vorgeschlagen, dass zumindest zweimal in der Woche getestet werden sollte, das ist ja kein großes Kunststück, so zu testen, also nicht nur die Menschen, die dort tätig sind, sondern auch die Bewohner, aber letzten Endes auch die Besucher. Das heißt, diese Schutzmaßnahmen sind aus unserer Sicht tatsächlich notwendig und müssen überall in gleicher Weise angeboten werden, weil wir sonst immer wieder die Gefahr sehen, dass es zu Herdenausbrüchen kommt. Das ist etwas, was wir vermeiden können. Insofern ist das Wort Prävention aus unserer Sicht ganz deutlich und ganz wichtig, und das muss insbesondere dann für solche Institutionen tatsächlich sehr viel stärker in Betracht gezogen werden.
Fröhndrich: Gesundheitsminister Spahn hat doch aber eigentlich Schnelltests angekündigt.
Glaeske: Die Schnelltests sind auch ein Verfahren, was sicherlich Hilfe anbietet, aber wir müssen auch sehen, dass die Schnelltests nicht immer als völlig zuverlässig gelten. Das heißt, wenn man eine hohe Viruslast hat, dann sind die Schnelltests sicherlich relativ stabil in dem, was sie anzeigen. Wenn die Viruslast niedrig ist, kann es durchaus sein, dass die Schnelltests negativ ausfallen. Das bedeutet also auch, dass man auch bei negativen Schnelltests möglicherweise einen PCR-Test, also den üblichen Test, nachschieben muss, um sicher zu sein.
Im Prinzip halte ich sehr viel von den Antikörpertests, aber man muss eben auch die Grenzen erkennen. Wir haben nach wie vor natürlich viele Anbieter in diesem System, sie stehen ja auch auf der Seite des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, aber man muss auch sehen, dass diese Tests letzten Endes nicht von diesem Institut geprüft werden, sondern es ist eine Auflistung, die im Prinzip deutlich macht, was die Hersteller über ihre Tests sagen. Aber dass man genügend Erfahrungen damit hätte, da sind sicher noch Lücken im Wissen, und da sind sicher dann auch Lücken, die darauf hinweisen, dass nicht alles das, was mit diesen Schnelltests geprüft wird, tatsächlich auch sicher und zuverlässig ist.
"Alten- und Pflegeheime so ein wenig übersehen"
Fröhndrich: Wissen wir denn eigentlich, woher das Virus kommt, sind das Beschäftigte, die aufgrund von Personalmangel trotzdem mit vielleicht Symptomen arbeiten gehen? Sind es Angehörige?
Glaeske: Ich glaube, dass diese Ausbrüche tatsächlich auch dadurch zustande kommen, dass wir insbesondere bei den Alten- und Pflegeheimen vieles an Bedeutung übersehen. In Krankenhäusern war relativ früh geschützt, da hatten wir auch Schutzausrüstung da haben wir Masken, das ist all das, was natürlich dann geregelt war, dass auch geregelte Zugänge zu Krankenhäusern waren, dass sozusagen niemand in die Station hinein durfte, dass dann auch getestet wurde und dergleichen.
Man hat leider die Alten- und Pflegeheime aus meiner Sicht so ein wenig übersehen, und das ist im Prinzip aber schon über Jahre so, das ist ja nichts Neues, dass das Pflegepersonal zu wenig ist. Wir haben auch dort Recherchen angestellt, eher so privat angefragt. Also wenn Krankenhäuser oder auch wenn Pflegeinstitutionen Mangel an Pflegekräften haben, dann haben wir auch solche Möglichkeiten, dass Pflegekräfte von außen einspringen. Das ist dann oftmals natürlich eine Situation, wo man Menschen in diesem Haus beschäftigen muss, weil man die Pflege natürlich weiter anbieten will, aber dann letzten Endes über die bisherigen Stationen, in denen diese Menschen gearbeitet haben, auch nicht unbedingt immer genau Bescheid weiß und vor allen Dingen nicht weiß, ob es da Schutzmaßnahmen gab. Insofern, man muss wirklich konsequenter sein in der Fragestellung, wie oft kann getestet werden, wie oft soll getestet werden, und das betrifft nicht nur die Angestellten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern eben auch letzten Endes Besucher und auch die Bewohner und die Behandelten selber.
"Es reicht eben nicht immer, nur an die Verantwortung der Einzelnen zu appellieren"
Fröhndrich: Das heißt, das wäre auch quasi die wesentliche Forderung, wenn wir nicht wieder Besuchsverbote haben wollen am Ende, muss einfach ganz klar dort getestet werden.
Glaeske: Das ist völlig richtig. Es reicht eben nicht immer, nur an die Verantwortung der Einzelnen zu appellieren. Das ist natürlich richtig, dass Sie und ich uns daran halten, Abstand zu halten, die Hände zu waschen, Masken zu tragen, das ist ja auch alles gut begründet. Das Zweite ist aber, dass wir eben auch etwas anbieten müssen – wir können nicht immer verbieten, wir müssen auch etwas anbieten. Und das, was wir anbieten, ist eben auch etwas, was aus meiner Sicht der Staat sozusagen organisieren muss, nämlich Prävention. Das ist so eine Fürsorgepflicht, die man hat und die ich erwarten würde, gerade wenn man weiß, es gilt, die Herdeninfektiosität zu vermeiden. Es geht ja weniger um die sporadische Infektion, wo ein Einzelner vielleicht jemand anderen ansteckt und wo wir natürlich wissen, wie ist die Infektionskette gelaufen, es geht vor allen Dingen um die Institutionen, die tatsächlich gefährdet sind. Da müssten wir wirklich mehr tun, und da ist sozusagen mein Eindruck, dass da noch immer nicht flächendeckend so viel getan wird, wie man machen könnte. Eine stabile Kontrolle durch Prävention, das wäre sozusagen unser Vorschlag, der tatsächlich mehr ausgearbeitet werden müsste.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.