Fünf Jahre Corona
War der erste Lockdown überzogen oder alternativlos?

Es war ein tiefer Einschnitt: Im März 2020 verhängte die Bundesregierung den ersten Corona-Lockdown. Dann sanken die Fallzahlen. Laut einer Studie wurden wohl Hunderttausende Leben gerettet. Doch die sozialen Folgen wogen schwer.

Von Volkart Wildermuth |
    Blick durch ein rundes Loch in ein Klassenzimmer mit hochgestellten Stühlen und ohne Schüler
    Eine der umstrittensten Maßnahmen in der Pandemie: die Schließung der Schulen während des Corona-Lockdowns 2020 (picture alliance / Eibner-Pressefoto / Weber / Eibner-Pressefoto)
    Am 22. März 2020 begann in Deutschland der erste bundesweite Corona-Lockdown. Es galten strenge Kontaktbeschränkungen. Kitas, Schulen, Geschäfte, Klubs und Theater wurden geschlossen. Bei den schnell steigenden Infektionszahlen gab es dazu wohl keine Alternative. Die Belastungen waren aber sehr ungleich verteilt.

    Überblick

    Gangelt bis Ischgl: So kam die Coronapandemie nach Deutschland

    Vor fünf Jahren, am 27. Januar 2020, wurde beim bayrischen Unternehmen Webasto der erste Coronafall in Deutschland registriert. Der Ausbruch konnte schnell beendet werden. Corona schien hierzulande ein handhabbares Problem zu sein. Im Frühjahr kam es aber zu ersten größeren Ausbrüchen, etwa bei der Karnevalssitzung im nordrhein-westfälischen Gangelt.
    Die Fallzahlen stiegen, die Intensivstationen meldeten die ersten Todesfälle. Am 21. März wurden zweitausend Infektionen registriert. Einen Tag später meldete das Robert-Koch-Institut schon über 4.000 Neuinfektionen. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag im einstelligen Bereich – im Rückblick sind das im Vergleich zu späteren Coronawellen niedrige Werte. Trotzdem war die Sorge in der Politik und der Bevölkerung groß.
    Fernsehbilder aus dem italienischen Bergamo zeigten, wie sich die Situation weiter entwickeln könnte. Dort waren die Intensivstationen überfüllt, viele schwer an COVID-19 Erkrankte konnten kaum behandelt werden. In der Kleinstadt starben 670 Menschen in der ersten Coronawelle. Die Bestatter waren überlastet. Militär-LKWs mussten die Leichen abtransportieren.
    Der Ausbruch im Skigebiet von Ischgl führte auch zu einem Anstieg der Infektionen in Deutschland. Damit war klar, dass die erste Corona-Welle auch Deutschland erreichen würde. In dieser Phase wurden vor allem Virologen, Epidemiologen und Intensivmediziner um Rat gefragt.
    Tatsächlich war das Genom des neuen Coronavirus bereits entschlüsselt. Es gab einen verlässlichen PCR-Test, entwickelt in Berlin. Aber über die Infektionswege von SARS-CoV-2 war noch wenig bekannt.  Die Wissenschaft konnte im Grunde nur einen ganz allgemeinen Rat geben: „Weniger Kontakte – weniger Infektionen.“ 

    Welche Maßnahmen ergriffen Bund und Länder?

    Gesundheit ist in Deutschland Sache der Bundesländer. Als erstes wurden planbare Operationen verschoben und zusätzliche Betten auf den Intensivstationen organisiert, um mit dem erwarteten Anstieg der Patientenzahlen besser umgehen zu können. Parallel sollten Reisebeschränkungen das Coronavirus möglichst lange fernhalten. Es war aber klar, dass es vor allem auf die Unterbrechung der Infektionsketten ankommen würde.
    Um eine einheitliche Strategie zu entwickeln, trafen sich seit Anfang März 2020 Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten in den sogenannten Bund-Länder-Runden.
    Bereits am 13. März wurden Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern abgesagt und in Regionen mit hohen Fallzahlen die Schulen geschlossen. Am 22. März einigte sich die Bund-Länder-Runde bei einer Telefonkonferenz auf einen Lockdown Die Details der Auflagen und Einschränkungen legten die jeweiligen Bundesländer fest. 

    Bevölkerung befürwortete ersten Lockdown mehrheitlich

    Anders als etwa in Frankreich oder Spanien gab es nirgends eine Ausgangssperre, nur strenge Kontaktbeschränkungen. Im öffentlichen Raum durften sich maximal zwei Personen treffen, die nicht demselben Haushalt angehörten. Restaurants wurden geschlossen, genauso wie Friseursalons und ähnliche Betriebe. Das öffentliche Leben kam zum Erliegen. Kinder und Jugendliche blieben zuhause. In den Betrieben wurde aber weitergearbeitet – obwohl auch dort Ansteckung drohte. Besuche in Pflegheimen waren kaum noch möglich.
    Laut Umfragen stand die Bevölkerung weitgehend hinter den Maßnahmen. Die meisten Bürgerinnen und Bürger hielten sich daran – ein Hauptgrund dafür, dass der Lockdown Wirkung zeigte. Nach sechs Wochen lag die Zahl der Neuinfektionen pro Tag wieder unter 1.000 und die Einschränkungen wurden gelockert.
    Insgesamt starben in der ersten Coronawelle in Deutschland knapp 7.000 Menschen in Zusammenhang mit Corona. Pro Kopf der Bevölkerung ist das eine im internationalen Vergleich niedrige Zahl. Der Lockdown hatte Erfolg, weil er im Vergleich zur Entwicklung der Epidemie früher in Kraft trat als etwa in Italien.

    Welche Kritik gibt es an den Entscheidungen?

    Kritisiert werden vor allem einzelne Maßnahmen. Warum die Kinder während des Lockdowns nicht mehr auf Spielplätze im Freien durften, konnte schon damals kaum jemand nachvollziehen. Für problematischer hält der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, der Düsseldorfer Jurist Helmut Frister, die Situation in den Alten- und Pflegeheimen. Dort seien Sterbende allein gelassen worden.
    Es gab auch einige soziale Schieflagen. Kassiererinnen oder Paketboten waren dem Virus viel stärker ausgesetzt als etwa Angestellte, die zuhause bleiben konnten. Restaurants, Friseursalons, aber auch Freiberufler gerieten in wirtschaftliche Schwierigkeiten, die die später beschlossenen Corona-Hilfen nur zum Teil ausgleichen konnten.
    Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Art und Weise, in der der Lockdown beschlossen wurde. Während der gesamten Pandemie beobachtete der Berliner Politologe Wolfgang Merkel eine Verschiebung der Macht hin zu den Regierungen. Dabei ist die Bund-Länder-Runde in der Verfassung gar nicht vorgesehen. Natürlich mussten schnell Entscheidungen gefällt werden. Aber eigentlich wäre es Sache des Parlaments gewesen, derart weitgehende Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte zu beschließen, so Merkel.
    Der Deutsche Bundestag verabschiedete erst einige Tage nach Inkrafttreten des ersten Corona-Lockdowns das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“. Darin erteilte er der Bundesregierung weitreichende Vollmachten.

    Gab es Alternativen zum Lockdown?

    Trotz der Kritik an einzelnen Maßnahmen im ersten Lockdown sind sich Expertinnen und Experten einig, dass es angesichts der großen Unsicherheiten und der schnell steigenden Infektionszahlen zum Lockdown keine Alternative gab. Eine Nature-Studie vom Juni 2020 kam zu dem Schluss, dass die schnellen Maßnahmen in Deutschland über einer halben Million Menschen das Leben gerettet haben könnten.