Deutschland im April 2021. Gerade hat die dritte Welle ihren Höhepunkt überschritten, die Impfungen nehmen endlich Fahrt auf, da flattert eine besorgniserregende Meldung aus Peru ins Postfach. Die Kliniken sind überfüllt, Sauerstoff knapp. Die Übersterblichkeit ist die höchste weltweit. Schon ein halbes Jahr zuvor war das Gesundheitssystem des südamerikanischen Landes kollabiert.
Nun spitzt sich die Situation wieder so zu, dass "Ärzte ohne Grenzen" zwei Behandlungszentren für die Notversorgung eröffnet. Die Ärztin Ebel Saavedra schildert die Situation in Huacho, 150 Kilometer nördlich der Hauptstadt:
"Wir sind hier ein provisorisches Zentrum mit zwei Abteilungen. Eine für Patienten mit moderaten Corona-Symptomen, die aber zu krank sind, um zu Hause zu sein und ständig ärztliche Betreuung brauchen. Und eines für Patienten, die Sauerstoff brauchen. Damit wollen wir das örtliche Krankenhaus entlasten, in dem alle Betten belegt sind. Weil viele schon sehr schwer erkrankt sind, wenn sie ein Bett bekommen können, sterben 70 bis 80 Prozent der Intensivpatienten. Wir wollen dabei helfen, dass sie früher behandelt werden können."
Sauerstoffgeneratoren sind knapp in Peru
In Deutschland hat fast jedes Krankenhaus einen Sauerstoffgenerator im Keller stehen, doch im heruntergewirtschafteten Gesundheitssystem von Peru hat man bislang darauf verzichtet.
"Vor der Pandemie gab es nur zwei Unternehmen, die Sauerstoff herstellen, und die konnten die durch Corona stark gestiegene Nachfrage nicht decken." Fernando Jimenez ist Professor für Ingenieurswissenschaften an der katholischen Universität Lima. Als während der ersten Welle in Peru zigtausende Menschen sterben, überlegt er, was er tun könnte.
"Bis dahin wurden alle Sauerstoffgeneratoren importiert. Es waren jedes Jahr nur einige Dutzend, die an Privatkliniken geliefert wurden. Mit der Pandemie stieg die Nachfrage und es dauerte bis zu 150 Tage, bis die Geräte ausgeliefert wurden. Außerdem stiegen die Preise. Da fragten wir uns, ob wir solche Geräte nicht selber herstellen könnten."
Weitere Lockdowns nicht mehr verkraftbar
Gerade einmal einen Monat dauert es, bis er mit seinen Studenten den Prototyp fertig gestellt hat. Innerhalb eines Jahres werden 275 Stück dieser lebensrettenden Maschinen produziert und ausgeliefert.
Mit Hilfe internationaler Organisationen kann auch die Zahl der Intensivbetten aufgestockt werden. Aber flächendeckend ist die Versorgung damit immer noch nicht. Ebel Saavedra: "Wir können nicht noch mehr Intensivbetten aufstellen, denn dafür brauchen wir mehr Personal, das für die Arbeit auf Intensivstationen ausgebildet ist. Das haben wir nicht. Deshalb brauchen wir Impfungen, um die Zahlen runter zu bringen."
Weitere Lockdowns und Kontaktbeschränkungen könne sich die Bevölkerung nicht mehr leisten, sagt die peruanische Ärztin: "Es geht einfach nicht mehr, die Menschen müssen wieder Geld verdienen. Impfungen sind die einzige Möglichkeit, damit das Land wieder auf die Beine kommt."
Der Plan: Impfstoffe gerecht verteilen
Zu Beginn der Pandemie hatte die Weltgemeinschaft beschlossen, Impfstoffe, Diagnostica und Arzneien global gerecht zu verteilen. Die Initiative COVAX, das steht für "Covid-19 Vaccines Global Access", sollte die weltweite Impfstoffentwicklung und dessen Verteilung koordinieren. Jedes der 140 teilnehmenden Länder sollte einen garantierten Anteil an Impfdosen erhalten, um bis Ende 2021 die am stärksten gefährdeten 20 Prozent der Bevölkerung impfen zu können. Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen:
"Dann haben sich aber schnell einige Länder dazu entschlossen, die USA, Großbritannien, aber eben auch die Europäische Union und damit Deutschland, bilateral vorab Verträge mit Pharmaunternehmen abzuschließen und damit quasi sich schon den Bestand, der zur Verfügung steht für 2021, zu sichern. Und damit blieb eben wenig für Covax übrig; und im Moment ist es eben so, dass der Mechanismus erstens immer noch unterfinanziert ist und zweitens eben nicht die Dosen zum Verteilen hat, die er eigentlich bräuchte."
Die Realität: die jeweils eigene Bevölkerung geht vor
Im April 2021, als in Peru täglich hunderte Menschen sterben, weil sie nicht mit Sauerstoff versorgt werden, schnellt in Indien die Zahl der Corona-Infektionen in schwindelerregende Höhe. Bis zu 400.000 Ansteckungen und mehr als 6.000 Coronatote werden pro Tag registriert – und das sind nur die offiziellen Zahlen.
Die zweite Welle ist nicht nur eine Katastrophe für Indien. Sie hat auch erhebliche Auswirkungen auf die globale Versorgung mit Impfstoffen. Denn Indien ist der größte Impfstoffproduzent der Welt. AstraZeneca, Novavax, das indische Covaxin - fast alle der über Covax zu verteilenden Impfdosen sollten dort vom Serum-Institut produziert werden.
"Serum hat einen Vertrag über eine Milliarde Impfdosen, die an 92 verschiedene Länder geliefert werden sollten. Doch wegen des enormen Anstiegs der Infektionen hat die indische Regierung den Zugang zu den Impfungen für alle über 18jährige geöffnet. Deshalb haben wir nun nicht mehr genug für den Export."
Afrika auf Lieferungen aus Indien angewiesen
Achal Prabhala arbeitet für accessibsa, eine indische Organisation, die sich für die gerechte Verteilung von Arzneimitteln einsetzt. "Viele in Indien, auch die Regierung gehen davon aus, dass dieser Impfstoff Indien gehört. Dabei sagt der Vertrag, dass Indien Impfstoff für die globale Versorgung produzieren soll. Das ist ein großer Unterschied. Aber weder die Regierung noch das Serum-Institut betrachten den Impfstoff als Eigentum der 92 Länder, für die er bestellt wurde."
Und so nimmt sich Indien einen deutlich größeren Teil des Impfstoffs, als es erhalten würde, wenn das Serum anderswo auf der Welt produziert würde. Und es versorgt seine eigene Bevölkerung zuerst. "Im April sagte das Serum-Institut noch ‚in zwei Monaten können wir exportieren‘. Inzwischen sagen sie, dass sie wohl nicht vor Ende des Jahres mit dem Export beginnen werden."
Afrika ist davon am stärksten betroffen. 99 Prozent aller dort verabreichten Impfdosen werden importiert, der Kontinent ist nahezu vollständig auf die Lieferungen aus Indien angewiesen.
"Die Reichen sterben an Corona, die Armen am Hunger"
Nach den schrecklichen Bildern aus Indien und Peru wirkt die Lage in Kenia Ende Mai auf den ersten Blick entspannt. Das Land hat seine einigermaßen flache dritte Welle überstanden, Geschäfte und Restaurants haben wieder geöffnet und die Ausgangssperre gilt erst ab 10 Uhr abends. In den wohlhabenderen Vierteln halten sich die Menschen an die noch immer geltende Maskenpflicht. Doch in den Slums haben die Bewohner andere Sorgen.
So wie in Mathare. Hier im Norden der Stadt drängen sich die Wellblechhütten dicht an dicht, dazwischen fließt das Abwasser in offenen Gräben hinunter in den völlig verdreckten Fluss. Im Schnitt leben in jeder Hütte sieben Menschen, die sich Toilette und Wasseranschluss mit mehreren Nachbarn teilen.
In Kenia gibt es ein neues Sprichwort: "Die Reichen sterben an Corona, die Armen am Hunger." Vor dem von den "German Doctors" betriebenen Ernährungszentrum hat sich eine lange Schlange gebildet. Früher, vor Corona, wurden hier 150 Menschen versorgt, meist waren es Patienten, die zu krank zum Arbeiten waren. "Während des Lockdowns haben wir 800 Menschen versorgt. 800! Es waren so viele, dass man dachte, hier fände eine Versammlung statt."
Corona stürzt Kenia in tiefe Wirtschaftskrise
Caroline Wanjiku Munyi leitet das Ernährungszentrum, das noch immer wesentlich mehr Menschen versorgt als vor der Pandemie. "Als die Schulen wieder öffneten, bekamen die Kinder dort wieder etwas zu essen und die Eltern gingen wieder zurück zu ihren Jobs. Aber wir sind noch lange nicht zurück in der Normalität. Viele Menschen kommen und sagen, ihre Arbeitgeber brauchen sie nicht mehr."
Die Lockdowns, die ausbleibenden Touristen und die unterbrochenen Warenströme haben Kenia in eine tiefe Wirtschaftskrise gestürzt. Leidtragende sind besonders diejenigen, die sich als Tagelöhner von Tag zu Tag durchschlagen. Das sind etwa 80 Prozent der Bevölkerung Nairobis.
"Covid-19 hat mich schwer getroffen, denn durch die Pandemie findet mein Mann keine Arbeit mehr. Mir geht es genauso. Es ist sehr schwer, während Corona einen Job zu finden", erzählt Alice, die mit ihrer kleinen Tochter in das Ernährungszentrum gekommen ist. "Früher hatten wir genug Geld, um uns gut zu ernähren, aber jetzt reicht es nur noch für Maismehl. Manchmal haben wir auch gar kein Geld, dann gehen wir ins Bett, ohne etwas gegessen zu haben."
Kinder besonders gefährdet durch Unterernährung
Eine Krankenschwester kümmert sich um das 16 Monate alte Baby von Alice. "Wieviel wiegt das Baby?" "7,21 Kilo" "Und wieviel sollte sie wiegen? So ungefähr?" "Sie sollte etwa 12 Kilo wiegen. Sie ist schon recht schwach und stark unterernährt. Es wird hart werden, das wieder aufzuholen."
Und Caroline Wanjiku Munyi zieht Bilanz: "Wir haben derzeit sehr viele Fälle von Unterernährung. In den letzten zwei, drei Monaten ist die Zahl steil angestiegen. Alleine in diesem Monat kamen 20 schwere Fälle dazu. Das ist ungewöhnlich. Wenn wir nicht eingreifen, besteht die Gefahr, dass diese Kinder sterben."
Und Caroline Wanjiku Munyi zieht Bilanz: "Wir haben derzeit sehr viele Fälle von Unterernährung. In den letzten zwei, drei Monaten ist die Zahl steil angestiegen. Alleine in diesem Monat kamen 20 schwere Fälle dazu. Das ist ungewöhnlich. Wenn wir nicht eingreifen, besteht die Gefahr, dass diese Kinder sterben."
In der Slumklinik der German Doctors ist hingegen nicht mehr los als vor der Pandemie, sagt Janet Awino Okeyo, die im Baraka Medical Centre die medizinische Leitung innehat. "Aus irgendeinem Grund hat uns die Krankheit hier nicht so hart getroffen. Wir haben kaum schwerkranke Patienten, die Sauerstoff und Intensivbehandlung brauchen oder sterben. Es ist eher ruhig."
Schwere Covid-19-Verläufe sind selten in Afrika
Wie viele Menschen sich mit Corona infiziert haben, ohne schwere Symptome zu entwickeln, kann Janet Awino Okeyo nicht sagen – weder in der ersten, noch der zweiten oder dritten Welle war die Klinik mit ausreichend Tests ausgestattet. Schnelltests sind in Kenia nicht verfügbar und PCR-Tests teuer.
"Wir hatten eine ganze Reihe von Patienten mit Symptomen und haben sie zum Testen geschickt, aber die meisten sind nicht hingegangen. Als wir sie dann das nächste Mal gesehen haben, waren sie wieder gesund. Sechs ließen sich testen – und waren alle positiv."
Generell erklärt man sich die wenigen schweren Verläufe nicht nur in Kenia, sondern auf dem gesamten Kontinent damit, dass die Bevölkerung hier sehr jung und damit weniger anfällig ist. Nur drei Prozent der Kenianer sind älter als 65. In Deutschland sind es 22 Prozent.
Immunsystem bei Slumbewohnern besser trainiert?
Aber es gibt noch eine andere Beobachtung: Eine Studie des kenianischen Gesundheitsministeriums ergab, dass mehr als die Hälfte der Coronainfizierten keinerlei Symptome aufweist. Dabei gibt es auch hier durchaus schwere Verläufe. Auf dem Höhepunkt der Wellen waren die Intensivstationen des Landes voll und Sauerstoff knapp. Doch die meisten dieser Patienten kamen aus den besseren Vierteln und nicht aus den Slums.
"Haben Sie das Gefühl, da ist eine Art Immunität?" "Ja, ganz sicher. Das Gesundheitsministerium kam zu dem Schluss, dass die Menschen in den Slums auf irgendeine Weise Antikörper gegen Corona entwickelt haben – mehr, als anderswo. Aber ich kann nicht sagen, was uns gegen Covid immun macht."
Wenn man sich die schlechten hygienischen Bedingungen in den Slums anschaut, dann kann man sich gut vorstellen, dass, wer hier überlebt, Corona einiges entgegenzusetzen hat. Doch wissenschaftlich erforscht ist das noch lange nicht.
Angst vor der Delta-Variante
Wenn ein Großteil der Bevölkerung ohnehin kaum von Corona betroffen ist, könnte man dann nicht in Zukunft auf die Lockdowns verzichten, die der Wirtschaft und damit gerade den Ärmsten so sehr schaden? Janet Awino Okeyo:
"Wir können froh sein, dass wir bislang einigermaßen verschont geblieben sind. Aber wir können uns deshalb nicht entspannen, denn wir wissen nicht, wie das Virus in Zukunft mutiert. Wenn wir das Social Distancing nicht mehr einhalten und die Maßnahmen zu sehr lockern, dann kommen wir in die Situation von Indien. Dazu kann es überall auf der Welt kommen."
Beim Blick auf Indien wird Janet Awino Okeyo angst und bange. "Gerade hat die Regierung verkündet, dass die indische Variante in Kenia angekommen ist. Wir brauchen die Impfung, um uns darauf vorzubereiten. Das ist unglaublich wichtig!" Denn für den kenianischen Winter ist die nächste Welle schon angekündigt.
"Impf-Nationalismus ist krassester Egoismus"
"Sind Sie schon geimpft?" "Nein, noch nicht. Der Großteil der Kenianer ist noch nicht geimpft." "Wann wird es soweit sein?" "Ein durchschnittlicher Kenianer wird erst 2023 seine Impfung erhalten können."
Dan Owalla ist der kenianische Vertreter des Peoples Health Movements. Das internationale Netzwerk setzt sich für eine weltweite Basisgesundheitsversorgung und die gerechte Verteilung von Arzneimitteln ein. Im Moment sei die global gesehen absolut ungerecht, sagt der Gesundheitsaktivist.
"Das liegt am Impf-Nationalismus. Sehen Sie, was Kanada gemacht hat. Bevor Länder im Globalen Süden eine einzige Dosis erhalten haben, hat Kanada fünfmal so viel Impfstoff gekauft, wie es für seine Bevölkerung braucht. Das ist krassester Egoismus."
Kenia hat über COVAX eine Million Dosen des AstraZeneca-Impfstoffs erhalten. Impfberechtigt sind Mitarbeiter des Gesundheitswesens, Lehrer und alle, die älter als 68 Jahre sind. Knapp zwei Prozent der Kenianer haben ihre erste Impfung erhalten, doch weil Indien nicht liefert, fehlen nun die Dosen für die zweite Impfung. "Jetzt wird überlegt, Impfstoff aus dem Kongo zu importieren. Der ist wegen des Bürgerkriegs nicht in der Lage, seine Dosen zu verimpfen, bevor sie verfallen."
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Impfskepsis hat auch historische Gründe
In Afrika können etliche Länder ihre von Covax gespendeten Impfdosen nicht schnell genug an Mann und Frau bringen. Das liegt auch an der Logistik – aber nicht nur. Dr. Moses Alobo, auf dessen Visitenkarte tatsächlich "Programm Manager Grand Challenges Africa" steht, ist bei der African Academy of Sciences, der afrikanischen Wissenschaftsakademie, für die großen Herausforderungen des Kontinents zuständig.
"Malawi hat Impfstoff vernichtet, der abgelaufen war. Das Gesundheitspersonal, die Lehrer und Militärangehörigen, für die er bestimmt war, waren nicht bereit sich impfen zu lassen. Diese Impfskepsis ist in vielen Ländern Afrikas ein echtes Problem."
Die weit verbreitete Impfskepsis hat auch historische Gründe. Zu Kolonialzeiten führten Europäer Versuche an Afrikanern durch. Sie internierten sie in Konzentrationslagern und probierten neue Impfstoffe an ihnen aus. Das Misstrauen sitzt tief.
"Aber das größte Problem ist, dass es einfach nicht genug Impfstoff gibt. Auch wenn es den Regierungen gelingt, die Nachfrage zu steigern, gibt es den Stoff einfach nicht. Es ist an der Zeit, dass Afrika eigene Produktionsstätten für Impfstoff bekommt, um sich im Notfall selber versorgen zu können."
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Zwangslizenzen für die Eigenherstellung von Impfstoffen?
Damit Afrika wenigstens einen Teil der benötigten Impfstoffe selber herstellen kann, muss eine Menge passieren. Als erstes müsste das TRIPS-Abkommen außer Kraft gesetzt werden. Es regelt geistiges Eigentum in den Mitgliedsstaaten der WTO. Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen:
"Indien und Südafrika haben einen Antrag gestellt auf eine Aussetzung für geistige Eigentumsrechte auf Covid-19-Technologien. Also nicht nur Impfstoffe, sondern auch Medikamente, Diagnostika, Masken, Beatmungsgeräte und so weiter. Dass die für den Zeitraum der Pandemie ausgesetzt werden können, damit eben eine Barriere für eine Ausweitung der globalen Produktion und für den Zugang ausgehebelt wird."
Das ist schon einmal passiert. In den 1990er Jahren starben Millionen Menschen, weil die patentierten AIDS-Medikamente für afrikanische Regierungen nicht bezahlbar waren. 2001 beschloss die World Trade Organisation in der Doha-Deklaration, dass arme Mitgliedstaaten zur Bekämpfung schwerwiegender Erkrankungen sogenannte Zwangslizenzen erhalten können. Genau das wird jetzt für den Kampf gegen Covid-19 gefordert.
Angela Merkel verweigert Patent-Aussetzung
Während die USA signalisiert haben, dass sie bereit sind, dem sogenannten TRIPS-Waiver, also der vorübergehenden Aussetzung des Abkommens, zuzustimmen, verweigert sich Angela Merkel. Ihr Argument: Firmen seien womöglich künftig nicht mehr bereit, in die Entwicklung von Impfstoffen zu investieren, wenn sie sich nicht darauf verlassen könnten, damit später auch Profit zu machen. Elisabeth Massute hält dagegen.
"Wir haben ja so schnell diese Impfstoffe, weil eben massiv von öffentlicher Hand investiert wurde. Also allein Deutschland hat 750 Millionen Euro drei Herstellern in Deutschland zur Verfügung gestellt, das Risiko und die Kosten lagen daher nicht alleine bei den Firmen."
Wie viel die Firmen tatsächlich aus eigener Tasche investiert haben, muss nicht offengelegt werden. Doch Ärzte ohne Grenzen geht davon aus, dass ein erheblicher Teil der Entwicklungskosten aus Steuergeldern gedeckt wurde. Statt auf Patentfreigabe setzt die Bundesregierung auf die großzügige Vergabe von Lizenzen. Die Weltgesundheitsorganisation forderte die Hersteller schon im Mai 2020 auf, die über den Patentpool C-TAP zur Verfügung zu stellen. Doch bislang wurde dort keine einzige Lizenz eingebracht.
Impfstoff-Produktionsanlagen nur mit fremder Hilfe denkbar
Und damit wäre es nicht getan. Moses Alobo: "Es ist nicht einfach, eine Anlage zur Produktion von Impfstoffen aufzubauen. Wir brauchen die Unterstützung anderer Länder, um das zu finanzieren. Das ist absolut notwendig, damit diese Anlagen entstehen können."
Ende Mai sagt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Südafrika 50 Millionen Dollar für den Aufbau einer Anlage zur Impfstoffproduktion zu: "Es geht darum, wie machen wir es möglich, dass möglichst schnell möglichst viel Impfstoff produziert wird, wie etwa hier in Südafrika für Afrika produziert werden kann. Und da werden wir auch finanziell unterstützen und dort helfen."
Dabei sind noch viele Punkte offen, die unbedingt geklärt werden müssen, wenn diese Fabriken Erfolg haben sollen. Dan Owalla vom Peoples Health Movement: "Wenn nicht sichergestellt ist, dass das benötigte Rohmaterial zur Verfügung steht und es gut ausgebildetes Personal gibt, dann sind sie nutzlos. Denn dann werden private Firmen Geschäfte mit der Regierung und Profite machen, anstatt dem öffentlichen Gesundheitssektor zu dienen. Das hat Afrika dorthin gebracht, wo es ist."
Reine Finanzhilfen ohne Korruptions-Kontrolle sinnlos
Owalla kann aus der Vergangenheit von einigen Beispielen erzählen, wo sich sowohl afrikanische als auch europäische Firmen an Geldern bedient haben, die für den Gesundheitssektor gedacht waren. Obwohl extrem viel Geld nach Afrika geflossen ist, gibt es dort noch immer kein effizientes Gesundheitswesen:
"Kenia hat für den Kampf gegen Corona eine Milliarde Dollar geliehen bekommen. All dieses Geld ist verschwunden. Es ist nicht dort angekommen, wo es hinsollte. Sonst müsste ich nicht für Masken, Tests oder Desinfektionsmittel zahlen, sondern könnte sie einfach so bekommen."
Die Weltbank hat auch Kredite zur Verfügung gestellt, um fliegende Händler und Tagelöhner in der durch die Corona verursachte Wirtschaftskrise zu unterstützen. "Unter diesen Umständen Geld zu geben, ist Verschwendung und wird nichts verändern. Wir fordern von den Geldgebern, dass sie vorher für Transparenz und Rechenschaft sorgen. Und dass sie die Öffentlichkeit in jeden einzelnen Schritt einbeziehen."
Eigene Impfstoffproduktion auch für andere Krankheiten wünschenswert
Moses Alobo von der African Academy of Sciences sieht in der Aussicht auf eine afrikanische Impfstoffproduktion eine Chance, die dem Kontinent weit über Corona hinaus nutzen würde. "Wir werden in Afrika weiterhin Krankheiten sehen wie beispielsweise Ebola, Marburg- oder Gelbfieber. Mit der Bekämpfung dieser Krankheiten lässt sich kaum Geld verdienen, weshalb sich private westliche Firmen kaum dafür interessieren. Deshalb braucht Afrika seine eigene Impfstoffproduktion."
Während in Deutschlands Sommer die Inzidenzen sinken, die Zahl der Geimpften steigt und Corona für viele vorbei ist, wird es auf der südlichen Halbkugel Winter. Mitte Juni setzt die WHO die Variante Lambda, die ihren Ursprung in Peru hat, auf die Beobachtungsliste. Sie wird auch mit dem steilen Anstieg der Infektionen in Chile in Verbindung gebracht – ein Land, in dem die Hälfte der Bevölkerung mit dem chinesischen Impfstoff Sinovac immunisiert ist. Und auch in Großbritannien steigt die Zahl der Infektionen weiter – die aus Indien stammende Deltavariante ist angekommen. Dan Owalla:
"Wir haben vergessen, dass wir ein globales Dorf sind, das mitten in einem Notfall steckt. Corona auf der einen Seite der Welt auszurotten und es auf der anderen zu vergessen, wird die Pandemie nicht beenden, sondern schlimmer machen, denn wir werden ständig neue Mutationen sehen. Immer und immer wieder."
Inzwischen nimmt in Ostafrika wie vorausgesagt die vierte Welle Anlauf. Im Westen Kenias schnellen die Zahlen getrieben von der Delta-Variante in die Höhe. Diesmal trifft sie auch jüngere Menschen.